Das ständige Warten auf eine Systemantwort darf nicht zum Normalzustand werden, wenn das Interesse für neue interaktive Lernformen nicht wieder erlahmen soll. Das World-Wide-Waiting läßt sich vorerst selbst an einem PC mit einer breitbandigen ATM-Kopplung kaum vermeiden, da die Bottlenecks des Internets nicht umgehbar sind. Das Routing hat eine zentrale Bedeutung für die Akzeptabilität der Systemantwortzeiten. Studenten sollten deshalb möglichst viele Angebote in "ihrem" Universitätsrechner - oder noch besser in ihrem breitbandigen regionalen Hochschulnetz - finden, um zur Recherche nicht immer erst aufwendige schmalbandige Verbindungen zu anderen Rechnern schalten zu müssen. Um Antwortzeiten zusätzlich zu verkürzen, sollte vermehrt darüber nachgedacht werden, wie unter den aktuell noch unzureichenden Übertragungskapazitäten bzw. den damit verbundenen hohen Preisen durch eine sparsame Verwendung nur wenig aussagekräftiger Grafiken, Töne oder Bewegtbilder ein Optimum an Übertragungskomfort anwendungsspezifisch erzielt werden kann. Hier kann die Devise zum High-Tech-Hype sehr wohl lauten: "small is beautiful". Um einen Fahrplan der Bundesbahn zu lesen, ist mir deren Firmensignet, das ich mir neben den Reisedaten gegen eine erhöhte Online-Gebühr auf den Rechner laden muß, nur wenig hilfreich.
Die Lösung der Übertragungsproblematik nun durch eine neue Universalformel zu erwarten, wie ADSL (Asymmetrical Digital Subscriber Loop), bei der durch die technische Komprimierung Videos in Fernsehbildqualität mit 6 Mbit/s über eine konventionelle Telefonleitung übertragen werden können, orientiert mit den Worten von Gilder nur wieder auf die alte Online-Logik des Fernsehens und des Telefons zurück, oder mit den Worten Eli Noams vom Columbia Telecommunications Center: ADSL is \"like feeding vitamins to a horse rather than buying a new truck\"
Neue Übertragungswege und Frequenzen werden auf unterschiedlichsten Ebenen frei gemacht. So hat nach Gilder Cellular Vision of New Jersey, der neue \"spectrum king of America\", bereits jetzt ein neues kabelfreies System realisiert, bei dem 500 Haushalte in Queens 49 Kanäle mit Studio Video Qualität auf dem 28 Gigahertz Band des elektromagnetischen Spektrums erhalten können, zu einem Preis von 350 $. Die Hochschulen sollten sich deshalb plattformunabhängig vorbereiten auf eine Vielzahl neuer Kommunikationsmöglichkeiten, und sich dabei weder auf die Logik der Telekommunikationsindustrie noch auf die des tradierten Bildungsfernsehens und Fernlernens festlegen lassen. Die wichtigsten Innovationspotentiale sind in den qualitativ neuen Kulturen der jungen Anwender selbst zu finden, die in den neuen, wirklich interaktiven Kategorien der Computerwelt zu denken verstehen.
Neue Techniken, die nicht zwingend auf die Verringerung des Datenvolumens angewiesen sind und dennoch mehr Spielraum für offline-Nutzungen lassen, zeichnen sich bereits ab. So könnten z.B. "Agenten" mit unseren Fragen ins Netz geschickt werden. Wir bleiben nur solange online, wie dies für den unmittelbaren Verkehr mit solchen Fragenträgern oder aktiven Problemlösern erforderlich ist. Agenten haben schon immer zur internationalen Machtbalance beigetragen. Ihr grenzüberschreitender Impetus ist in den Reihen kreativer Systemstörer zu spüren. Junge Studenten, die mit Hilfe des Computers kooperierend studieren wollen, stören den Lehrbetrieb auf eine produktive Weise. Wir Dozenten sollten uns bemühen von diesen jungen Leuten als unseren Agenten des Wissens zu lernen. Ein Kollege im Virtual College formulierte das auf einer amüsanten Zugfahrt einmal folgendermaßen: Studenten sind wie ein ideales Gas. Sie gehen in jeden Winkel. Natürlich sollten wir unseren Schülern, schon zum Selbstschutz, nicht in jede Ecke folgen, aber es lohnt sich tatsächlich die merkantilen Winkelzüge der Technikapologeten von den nützlichen Facetten der Techniken der Gemeinsamkeit zu unterscheiden.
Die geforderte Erneuerung der Universität muß neue Formen der Telekooperation ermöglichen. Sie setzt jedoch eine universitäre Öffentlichkeit voraus, in der es sich auch ohne neue Kommunikationstechniken lohnt zu zweifeln, zu lernen und zu leben. Anstatt die Universitäten mit High-Tech neu zu tünchen, und damit "geputzten Menschen" mehr Spielraum für hohle Multimediarhetorik zu eröffnen. muß sich die innere Erneuerung der Universität die Qualität des urbanen Wissenschaftsverständnisses erschließen, und dieses bedeutet noch immer: Vielfalt in der Mühe des menschlichen Antlitzes. Offenes Lernen - inspiriert durch die ernsthaft erarbeitete Akzeptanz des Anderen - in der schwierigen Konfrontation von Meinung und Gegenmeinung sollte das universitäre Hauptlehrziel sein, anstatt die flinke Replikation des ewig Gleichen per multiple-choice-Kurs zu betonieren. Hierfür gibt es jedoch weder eindeutige Rezepte noch effiziente Techniken, nur den riskanten Versuch der Öffnung des akademischen Blicks.
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Johann Wolfgang Goethe, Faust I
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