Bei dem zweiten Teil des Erziehens, der praktischen Erziehung, solle der Zögling kultiviert, zivilisiert und moralisert werden (Kant in Cassirer, '22, S. 496). Sittlichkeit, die den Menschen moralisch erzieht heisst übersetzt ,sustine', was soviel bedeutet wie ,erdulde'. Bei dieser Erziehungsstufe solle sich der Zögling daran gewöhnen, etwas entbehren zu können, damit aus seinen Neigungen keine Leidenschaften werden. Zuletzt solle dann also der Charakter des Kindes gebildet werden, wobei darauf geachtet werden müsse, dass der Zögling immer sein Wort einhalte, um sich selbst stets trauen zu können. (Kant in Cassirer, '22, S. 497) Lügen solle er demnach unter Anderem deshalb verachten, weil er sich sonst seine eigene Glaubwürdigkeit raubte (Kant in Cassirer, '22, S. 499).
Der Zögling solle in dieser Phase jederzeit seinen Handlungsgrund einsehen können, "denn der ganze moralische Wert der Handlungen besteht in den Maximen des Guten" (Kant in Cassirer, '22, S. 487). Diese Maximen sollten die Denkungsart bilden und sich auf die moralische Kultur gründen (Kant in Cassirer, '22, S. 487). Auch solle der Zögling seine Pflichte, welche aus der Natur der Sache gezogen werden müssen, durch Beispiele erklärt bekommen. So habe er z.B. "Pflichten gegen sich selbst", d.h., "diese Würde der Menschheit in seiner eignen Person nicht zu verleugnen" und "Pflichten gegen andere" - wie das Mitleid. Er solle also die menschliche Würde in seiner Person bewahren, indem er sich mit der Idee der Menschheit vergleiche. ( Kant in Cassirer, '22, S. 498) Man solle sich demnach nicht an seinen Mitmenschen messen, da sonst Missgunst, Neid und Stolz entstünden, sondern an den Begriffen der eigenen Vernunft. Demut sei ein guter Charakterzug, der daraus entstünde, dass man seinen Wert mit der moralischen Vollkommenheit vergleiche. Der von Natur aus amoralische Mensch könne allein durch seine Vernunft zum moralischen Wesen, also fähig, gut oder böse zu sein, werden. Von diesem moralisch guten Menschen fordert Kant Ekel vor Ungereimtheiten anstelle des Hasses, innere Würde, Verstand statt Gefühl und "Fröhlichkeit und Frömmigkeit". Bei seiner aufklärenden Erziehungsmethode sollen dem Zögling im Allgemeinen zuerst die Menschen, dann die Natur und die Welt und zuletzt Gott nähergebracht werden. (Kant in Cassirer, '22, S. 501)
Wohltaten, unter denen Kant verdienstliche Werke versteht, könne man seiner Ansicht nach nur vollbringen, indem man frei handelte, man ansonsten schuldige Werke tue. Auch Gott gegenüber könnten wir immer nur unsere Schuldigkeit erfüllen. (Kant in cassirer, '22, S. 500) Dabei könnten Bräuche wie Wallfahrten etc. nicht plötzlich aus einem "lasterhaften" einen "edlen" Menschen machen (Kant in Cassirer, '22, S. 498). Die Religion, welche sich aus Moralität und Theologie zusammensetze, solle dem Zögling erst am Ende seiner Erziehung, wenn er bereits moralisiert sei, hinzugeführt werden. Dabei solle er das göttliche Gesetz zugleich als Naturgesetz betrachten und nur nach dem Willen seines Gottes handeln. Moralität ohne Religion sei laut Kant undenkbar. (Kant in Cassirer, '22, S. 503f).
Bezüglich der sexuellen Aufklärung fasst er sich recht kurz. Sie sei wichtig, und die Fortpflanzung gehöre zu den Aufgaben des verheirateten Bürgers, Wollust schwäche jedoch Geist und Körper (Kant in Cassirer, '22, S. 406f).
Auch ansonsonsten unterscheidet Kant zwischen Mensch und Bürger. "Das Bewußtsein der Gleichheit der Menschen bei der bürgerlichen Ungleichheit, kann ihm (dem Zögling) nach und nach beigebracht werden." Ein guter Bürger habe sich seiner Meinung nach nichts vorzuwerfen, nutze der Gesellschaft, indem er geduldig arbeite und langweile sich somit auch nicht. (Kant in Cassirer, '22, S. 507)
Am Lebensende solle sich jeder nach dessen Wert fragen können (Kant in Cassirer, '22, S. 508).
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