Staatskunst. Werte (Edles und Gerechtes).
Nachdem in der Psychologie des Aristoteles (insofern sie für die Nikomachische Ethik relevant ist), die menschliche Seele in ihrem Aufbau und in ihrem Vermögen dargestellt worden ist, erhebt sich die Frage nach dem Zusammenwirken der Seelen in ihrer übergeordneten Einheit, der Polis, dem Gemeinwesen, dem Staate, \"...denn der Mensch ist von Natur bestimmt für die Gemeinschaft.\"(I,5,S.15). Für Aristoteles kommt mit dieser neuen Entität der Gemeinschaft kein neuer Ansatz der Verhaltenserklärung daher: die Staatskunst bedient sich der Ziele der ihr untergordneten (praktischen) Künste (etwa Kriegs-, Haushalts-, Redekunst) als Mittel und bestimmt für die Bürger dazu noch gesetzgeberisch, \"...was zu tun und was zu lassen sei; so umfaßt ihr Endziel die Ziele aller anderen und dieses ihr Ziel ist daher für den Menschen das oberste Gut.\" (I,1,S.6). Dieses umfassenden Ziel geht dabei natürlich nicht über das gefundene oberste Ziel, das Glück, hinaus, vielmehr ist es \"...schöner noch und erhabener..., wenn Völkerschaften oder Polis-Gemeinden so weit kommen.\" (I,1,S.6). So ist es denn Aufgabe des Staatsmannes in der Ausübung der Staatskunst, \"...die Bürger tüchtig [im Sinne der Tüchtigkeit der Seele, Anm.d.Verf.] und gehorsam gegen die Gesetze zu machen.\"(I,13,S.29). Es sind gemäß Aristoteles die \"...Erscheinungsformen des Edlen und Gerechten, die den Gegenstand der Staatswissenschaft bilden...\"(I,1,S.7). Und die angewandten Mittel des Gesetzgebers zur Erreichung dieser Erscheinungsformen (als Ziel) sind die der Gewöhnung (II,1,S.35) (IV,13,S.113). Die Aussicht auf Erfolg dieses Unterfangens ist gegeben, weil die Tüchtigkeit der Seele aus Verstandesvorzügen und Charaktervorzügen besteht; erstere werden durch Lernen erlangt, letztere durch besagte Gewöhnung (II,1,S.34).
Wie richten sich demgegenüber aber die Menschen ein in diesem Gemeinwesen, d.h. welche Lebensform (I,3,S.9) bilden sie aus? \"In der Mehrzahl entscheiden sich die Leute, d.h. die besonders grobschlächtigen Naturen, für den Genuß und finden deshalb Genügen an dem Leben des Genusses (a). Es gibt nämlich drei Hauptformen: erstens die soeben erwähnte (a), zweitens das Leben im Dienste des Staates (b), drittens das Leben als Hingabe an die Philosophie (c).\" (I,3,S.9). Aristoteles legt ausdrückliches Gewicht auf (c) (siehe X,7-9,S.287 ff.).
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