Die Ethik der Stoiker, durch die diese wohl am bekanntesten geworden sind, setzt eine Reihe von Ansichten über das Seelenleben des Menschen voraus, die eigentlich nicht der Psychologie zuzuordnen sind, sondern die eher den anthropologischdogmatischen Unterbau der stoischen Moral darstellen. Demnach ist es nun zunächst eine grundlegende Feststellung, daß der Mensch außer einem Leib auch eine Seele hat. Diese Seele ist es, die zum einen dem Menschen Selbstbewegung und damit überhaupt Leben verleiht. Sie kann auch ein Teil der Dreiteilung KörperSeeleVernunft sein, oder nur den \"führenden Seelenteil\", nämlich die Vernunft, meinen. Außerdem gilt sie als Sammelname für diese Funktionen in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenspiel. Auf jeden Fall aber bedeutet die Seele immer \"Pneuma\" und soll als solches eine Zusammensetzung aus Luft und Feuer sein, womit sie ein Körper ist, obwohl sie nicht in einem bestimmten Teil des Körpers lokalisiert wird, sondern den ganzen Körper durchdringen soll; nur ausnahmsweise wird sie in das Herz, oder soweit sie Vernunftseele ist in den Kopf verlegt. Damit herrscht bezüglich der Seele ein gewisses Schwanken in der Stoa, da diese einerseits etwas Materielles ist, andererseits aber auch wieder nicht; zum einen soll sie Sinnlichkeit sein, zum anderen Geist; einmal zerfällt sie in Teile, während sie an anderer Stelle eine Einheit ist; sie ist vom Körper wesenhaft verschieden, soll ihm aber dennoch das Leben und somit eine lebendige Einheit geben. Grundlegend für die Moral der Stoa ist aber auch, daß die Vernunftseele im Menschen herrschen soll, weshalb ihr Name \"führende Seele\" ist.
Den Kern der stoischen Anthropologie bildet die Lehre von den Trieben (\"impetus\"). Am Trieb, der eigentlich zur Sinnesseele gehört, wirken Körper, Sinnlichkeit und Vernunft zusammen. Durch die Empfindung empfängt der Mensch vom Körper her Vorstellungen, die automatisch und spontan Triebe auslösen, weshalb der Trieb ein Erleiden ist, ein \"Affekt\". Er wird übermäßig, wenn er nicht mehr von der Vernunft begleitet und beherrscht wird. Die Vernunft ist also ebenfalls am Trieb beteiligt, die Affekte werden von den Stoikern zuweilen sogar für Urteile gehalten; so ließ Zenon die Affekte auf die Urteile hin erfolgen, Chrysipp identifizierte sie gar damit. Beherrscht nun die Vernunft den Trieb, so daß die Bewegungen der Seele geordnet sind und der Mensch damit ein Abbild der Makrokosmos ist, dann wird von \"Willen\" gesprochen, der demnach ein vernunftmäßiger Trieb ist. Wenn jedoch der führende Seelenteil versagt und der Trieb sich selbst überlassen bleibt, entsteht das Gegenteil von Vernunft, nämlich der Wahn. Ein solcher Wahn , wie z.B. Schmerz, Furcht, Begierde oder Lust, ist immer eine falsche Vorstellung und eine Unwahrheit, wobei gerade ein frischer, unüberlegter Eindruck zu diesen falschen Urteilen führt, weshalb die Leidenschaft auch als \"frischer Wahn\" bezeichnet wird. So ist Schmerz ein frischer Wahn über die Anwesenheit eines sbels, Lust ein frischer Wahn über die Anwesenheit eines Guten. Es muß also die Enge des Augenblickes gesprengt werden, um die objektive Wahrheit zu erkennen. Die Vernunft kann diese Aufgabe auf zwei verschiedene Arten bewältigen. Zum einen muß sie Zeit gewinnen, um den frischen Wahn abklingen zu lassen und ihm somit seine Kraft zu nehmen, wie es auch Seneca in seiner Schrift \"De ira\" (\"sber den Zorn\") darlegt: \"Das beste Heilmittel gegen den Zorn ist die Zeit.\". Darauf muß begonnen werden, die falschen Vorstellungen auszulöschen, um nach der Beseitigung dieser Affekturteile den wahren Sachverhalt herauszustellen. So fordert Marc Aurel wörtlich: \"Lösche die Vorstellung aus.\", denn nur so kann die Ruhe des Herzens wiedergefunden werden, da es nur Vorurteile und Einbildungen sein können, die die Ruhe des Gemütes rauben. Auf diese Weise ist auch Epiktet zu verstehen, der geschrieben hat: \"Nicht die Dinge selbst verwirren den Menschen, sondern seine Meinungen über die Dinge. Nicht der Tod selbst ist schrecklich, erschien der doch Sokrates auch nicht so, sondern die Vorstellung von dem Tode ist es.\". Der Weise ist über diese Dinge erhaben, denn ihn regiert ausschließlich die Vernunft, die den Menschen unabhängig, frei, sachlich und wahr macht.
Den Affekten im Sinn der Leidenschaft stehen die edlen Affekte gegenüber: der Begierde der rechte Wille, der entweder Wohlwollen oder Zufriedenheit ist; der Furcht die Vorsicht, die sich in Ehrfurcht und Keuschheit gliedert; der Lust die reine Freude, die aus dem Bewußtsein des tugendhaften Lebens erwächst. Hier wird besonders deutlich, wie sehr die stoische Psychologie von ethischen Interessen geleitet wird, zumal diese förmlich als Tugendlehre auftritt.
In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele erörtert, da zumindest der vernünftige Seelenanteil immer als etwas Ewiges und Göttliches erschien. Aufgrund ihrer Bekennung zum Materialismus muß die Stoa hier jedoch andere Wege gehen. Nach Zenon ist der gröbere Teil der Seelenmaterie vergänglich, wogegen die Vernunft als feinste Materie unsterblich sein soll. Nebenbei gibt es bei Epiktet und Marc Aurel keine individuelle Unsterblichkeit, wogegen Poseidonios die platonischen Beweise für die Unsterblichkeit aufnimmt, was für den in der Stoa teilweise vorliegenden Synkretismus typisch ist, und bei Seneca wiederum die Unsterblichkeit geradezu ein Grunddogma seiner Lehre darstellt: \"Nachdem die Seele, sich reinigend und die anhaftenden Fehler und den Schmerz des sterblichen Lebens abschüttelnd, kurze Zeit über uns geweilt hat, erhebt sie sich zu den Höhen des Weltalls und schwebt unter den seligen Geistern. Es hat sie eine heilige Schar aufgenommen.\".
Besonders beachtenswert ist in der stoischen Ethik der Naturrechtsbegriff und das damit zusammenhängende Humanitätsideal. Dabei ist das positive Recht, das durch Staaten und Regierungen gesetzt wird, weder das einzige noch das allmächtige Recht. Es beruht in seiner Gültigkeit vielmehr auf einem ungeschriebenen Recht, das ewig ist und das zugleich ein Richtmaß für alles positive Denken überhaupt darstellt, dem Naturrecht, das nichts anderes ist als das allgemeine, mit der Weltvernunft identische Weltgesetz. Die sberzeugung hiervon gehört zu den unerschütterlichen Dogmen der Stoa. Noch Cicero und Philodem sprachen im gleichen Sinn nach, was schon die Gründer der Schule festgelegt hatten: \"Das Naturgesetz ist ein göttliches Gesetz und besitzt als solches die Macht, zu regeln, was Recht ist und was Unrecht.\"; ähnlich äußert sich auch Chrysipp: \"Ein und dasselbe nennen wir Zeus, die gemeinsame Natur von allem, Schicksal, Notwendigkeit; und das ist auch die Gerechtigkeit und das Recht, die Einheit und der Friede.\", sowie Heraklit: \"Es nähren sich alle menschlichen Gesetze von dem einen göttlichen.\", und ebenso gehören Platon mit seiner Ideenwelt und Aristoteles in diese Reihe. Dabei ist der Stoiker der Ansicht, daß das Naturrecht von selbst einleuchtet, weil es mit der Vernunft als solcher gegeben ist. Wer diese nur hat, hat damit auch schon ein Wissen bzw. Gewissen über das, was recht ist und was nicht; \"Wem von Natur aus Vernunft zuteil wurde, dem wurde auch die rechte Vernunft zuteil; darum auch das Gesetz... und wenn das Gesetz, dann auch das Recht.\".
Weiterhin beruht das Naturrecht im wesentlichen auf dem Begriff der AllVernunft. Daß alle Menschen daran teilhaben, ergibt sich, da alle Menschen einander gleich sind, alle die gleichen Rechte haben und sich darum auch entsprechend verhalten sollen; Epiktet: \"Wir sind alle Brüder und haben in gleicher Weise Gott zum Vater.\". Als Kosmopolit ist das Vaterland des Stoikers die ganze Welt, weshalb ihre Anhänger zur allgemeinen Menschenliebe, Wohltätigkeit, Milde und Sanftmut aufrufen. Auch gegenüber anderen Völkern, den Sklaven, den Frauen und den unmündigen Kindern, die ursprünglich durch das römische Recht stark benachteiligt waren, wird die Forderung der Rechtsgleichheit erhoben. Das Naturrecht wird die Grundlage für das Völkerrecht. Dann ziehen eine Reihe von stoisch denkenden Kaisern aus dem stoischen Rechtsdenken konkrete Konsequenzen. Während die Frauen im römischen Recht zuvor überhaupt nicht rechtsfähig waren, hebt Augustus wenigstens für die Witwen mit mehreren Kindern die Vormundschaft auf, und unter Nero wurden Polizeigesetze erlassen, um die Sklaven, die früher nur als Werkzeuge angesehen wurden, gegen die Unmenschlichkeit ihrer Herren zu schätzen. Hadrian schließlich stellte die Ermordung eines Sklaven durch seinen Herrn unter Strafe. Antonius Pius gab ihnen das Recht, an die Altäre der Götter zu fliehen, während Marc Aurel die Gladiatorenspiele verbot. Im dritten Jahrhundert können die Staatssklaven über die Hälfte ihres Vermögens testamentarisch verfügen, und ab dem vierten Jahrhundert kann ein Sklave gegen seinen Herrn klagen. Aufgrund des Gedankens eines allgemeinen, mit der Menschennatur selbst gegebenen Rechtes kann man das Naturrecht der Stoa humanistisch nennen. Konsequenterweise rechnete man auch das Verhältnis des Menschen zur Gottheit zu den Naturrechtsvorschriften, da es derselbe AllLogos ist, der sie verbindet, während das Tier kein Rechtssubjekt ist, weil es nicht am Logos teilhat.
Da die Stoa sich bewußt ist, daß die Theorie allein nicht genügt, verweilt sie nicht bei der ethischen Prinzipienfrage, sondern legt die Betonung auf die praktische Tugendlehre.
Die erste Forderung richtet sich dabei auf ein Leben der Tat, denn der Stoiker ist ein Willensmensch, der die Anstrengung, die straffe Spannung, den Kampf, die \"sokratische Stärke\" und den Ponos der Kyniker liebt. Obwohl der Stoiker in der Tugendlehre die Sprache des Intellektualismus spricht, interessiert er sich dennoch weniger für das Wesen und die Schau geistvoller Ideale und Hintergründe, so daß man auch hier wieder zwischen Wort und Sprache unterscheiden muß. Trotz der intellektualisierten Sprache wird die Tugend selbst nicht intellektualisiert. Der Stoiker ist ein Realist und weiß als solcher, daß es im Leben auf das kraftvolle Zugreifen und auf entschlossenes Handeln ankommt; \"sustine et abstine\" (\"Ertrage und entsage\") lautet deshalb das Motto der gesamten Tugendlehre, die hauptsächlich auf den Willen ausgerichtet ist. Die Philosophie besteht nicht aus Worten und Theoremen, sondern aus Leben und Tun, wie es auch Epiktet formuliert: \"Du sollst nicht sagen, daß du ein Philosoph bist, noch unter deinen Bekannten viel reden über Probleme, sondern tue, was aus deinen Einsichten sich ergibt. Beim Essen z.B. rede nicht, wie man essen soll, sondern i, wie es sich gehört!\", und Seneca pflichtet ihm bei: \"Wer ordentlich beschäftigt ist, hat keine Zeit zu Dummheiten; Arbeiten ist das sicherste Mittel, die Laster des Müßiggangs zu vertreiben.\".
Der Stoiker betrachtet als Willensmensch und Charakter die Konsequenz des eigenen Handelns überall als eine der obersten Pflichten, weshalb er auch die Reue ablehnt. Seneca sagt dazu: \"Der Weise bereut nie sein Tun, er ändert nie, was er getan hat, er wechselt nie seinen Entschluß.\".
Die besten Möglichkeiten eines solchen Lebens der Tat bestehen nun in der Beteiligung am öffentlichen Leben. Somit darf der Stoiker, wenn er tugendhaft sein will, nicht in der Einsamkeit bleiben, sondern muß sich für die \"Vita activa\" entscheiden. Er weiß, daß er ein geselliges Wesen ist, daß er, wenn er sich selbst sucht, zugleich die anderen suchen muß, da es immer derselbe Logos ist, der ihm und seinen Mitmenschen zugleich anhaftet, weshalb er kein gemächliches Privatdasein führt, sondern in das öffentliche Leben eingreift, um seine Pflicht zu tun.
Die zweite ständig wiederkehrende Forderung der stoischen Tugendlehre ist die Mahnung zur Apathie, die Voraussetzung für die erste ist. Damit der Weg der Tugend und des naturgemäßen Handelns nicht gestört wird, müssen die Affekte zum Schweigen gebracht werden. Der Stoiker ist zwar auch ein fühlendes Wesen, aber er läßt sich von den Gefühlen keinesfalls überwältigen. Marc Aurel beschreibt dies mit dem Ausspruch \"Du mußt sein wie ein Fels, an dem alle Wogen sich brechen. Er steht, die Brandung aber wird müde.\". Begierde, Zorn und Furcht dürfen einen nicht rühren; \"Erstes Gebot: Laß dich durch nichts erschüttern.\", denn \"Es geht ja doch alles so, wie es in der Natur des Alls vorgesehen ist.\" Horaz beschreibt dies mit den Worten: \"Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae: Und wenn eine zerbrochene Welt auf ihn stürzt, einen Unerschrockenen nur treffen ihre Trümmer.\".
Der die ganze Tugendlehre zusammenfassende Begriff ist das Ideal des Weisen. Der Sophos wird überschwenglich gepriesen, da er alle Tugenden besitzt und immer richtig handelt; er ist wahrhaft unerschütterlich und wahrhaft glücklich; er allein ist reich, frei und schön; von Zeus unterscheidet er sich nur dadurch, daß sein Leben nicht ewig ist.
Daß der Weise der wahrhaft freie Mensch ist, ist ein merkwürdiges Paradoxon der Stoa, denn auf der einen Seite wird an der Freiheit in aller Form festgehalten, wobei die Freiheit des Vernunftmenschen gemeint ist. Alles, was mit der Außenwelt zusammenhängt sowie mit dem Körper und den Affekten, bedeutet eine Fessel für den Menschen. Auf der anderen Seite dagegen steht das Schicksal, denn der Stoiker ist auch Fatalist, so daß die Allmacht des Schicksals sehr stark herausgestellt wird. Es ist \"das Gesetz des Kosmos, nach dem alles Geschehene geschah, alles Geschehende geschieht und alles noch Kommende kommen wird\". Es ist die unbesiegbare, unaufhaltsame, unabwendbare Ursache, die Ursachenreihe selbst, die Weltvernunft, der AllLogos. Es ist ja immer dasselbe, ob von ewiger Ursachenreihe oder Weltgesetz oder Naturgesetz oder Fatum oder Vorsehung oder Zeus die Rede ist.
Dieser Konflikt wird dahingehend gelöst, daß der Weise die Gesetzlichkeit des Geschehens als seine eigene Gesetzlichkeit sieht, nichts anderes erwartet und das Schicksal bejaht. Er leidet nicht an der Notwendigkeit des Fatums, sondern er begrüßt sie, so daß er die Schickungen des Fatums als selbstverständlich annimmt.
Aber auch diese Lösung ist nur eine Scheinlösung, denn nur eine idealer Wille deckt sich mit der Notwendigkeit des Weltgesetzes. So ist denn auch von Seneca zu hören: \"Wenn du einwilligst, führt dich das Schicksal, wenn nicht, zwingt es dich.\".
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