Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit
Die verschiedenen philosophischen Richtungen geben hier verschiedene Antworten. Für die Vertreter "empiristischer" oder "materialistischer" Standpunkte gibt es keinerlei Grund zur Verwunderung: Wir haben die Mathematik ja aus der Wirklichkeit, folglich "gehorcht" sie dieser auch (wie die Physik)."So weit Mathematik empirisch fundiert ist, ist sie auch empirisch anwendbar.", oder "Mathematik ist anwendbar auf Wirklichkeit, weil sie sich von vornherein nach der Wirklichkeit richtet". Erst bei intermathematischen Prozessen kommen Schritte anderer Art hinzu (Definitionen, Deduktionen,...).Für diese müsste aber erst gezeigt werden, dass sie empirisch anwendbar sind. Dem empirischen Ansatz von z.B. John Stuart Mill (vgl. unten) würde dieser Nachweis grobe Probleme bereiten. Zudem tritt das Problem für Standpunkte auf, die Mathematik als apriorische Wissenschaft betrachten. Ihre Formulierung müsste analog zur obigen lauten: "Mathematik ist anwendbar auf Wirklichkeit, weil sich die Wirklichkeit von vornherein nach der Mathematik richtet." Besser ließe sich dieser platonische Standpunkte wie folgt formulieren:
Mathematik ist anwendbar auf Wirklichkeit, weil sich Mathematik und Wirklichkeit beide nach den gleichen "Gesetzen" richten.
Nun stellt sich aber die Frage was diese "Gesetze" sind, worauf Kant und in jüngerer Zeit die Neukantianer Antworten gaben (kritizistischer Ansatz): Mathematische Erkenntnis sei zweifellos synthetisch (da unsere Intuitionen von Raum und Zeit inhärente Eigenschaften des menschlichen Geistes sind). Diese Geltung mathematischer Sätze wird von der "transzendentalen Ästhetik", der Wissenschaft von der Möglichkeit von Sinneserkenntnis überhaupt, beleuchtet. Im Mittelpunkt steht die sogenannte "reine Anschauung", die das an den empirischen Anschauungen umfassen soll, was nicht Empfindung ist, sondern die Form der Verknüpfungen unserer Empfindungen zu Wahrnehmung, somit die Ordnungsform des überhaupt \"Gegebenen\". Diese Formen, in die eingepasst jede uns mögliche empirische Anschauung überhaupt erst vorkommen kann, sind Räumlichkeit und Zeitlichkeit, wir können sie als "reine Anschauung" vor dem Eintreffen von Empfindungen untersuchen. Unsere Erkenntnis der Zeit wird in der Arithmetik systematisiert, welche auf der Intuition des Aufeinanderfolgens basiert. Unsere Erkenntnis des Raumes wird in der Geometrie systematisiert. Räumlichkeit und Zeitlichkeit wird weiters durch eine "Notwendigkeit des Verbundenseins" mit den Erscheinungen charakterisiert: "Wir können uns zwar graue und nicht-graue Elefanten vorstellen, nicht aber räumliche und nicht-räumliche." (Körner 1955,22). Somit haben Räumlichkeit und Zeitlichkeit objektive Gültigkeit, die Wirklichkeit unterliegt also den gleichen Ordnungsprinzipien wie die Mathematik (die sich unter Absehen von aller Empirie nur mit der reinen Anschauung befasst). Die meisten anderen Philosophen und Mathematiker entscheiden sich jedoch für einen analytischen Charakter der Mathematik, da z.B. die Feststellung "die Gerade ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte" eher analytisch anmutet (es wird nur behauptet, was im Subjektsbegriff bereits steckt). In der "neueren" Literatur findet man noch die Auffassung des "Neo-Positivismus" oder "logischen Empirismus", vertreten durch die Mitglieder des sog Wiener Kreises: Sie lehnen das Problem in der gestellten Form überhaupt ab, da sie Mathematik als ein System von Zeichen mit ausschließlich syntaktischen(d.h. zwischen den Zeichen selbst bestehenden) Beziehungen auffassen und somit behaupten: der Anwendungsbereich der Mathematik sei nur das Zeichensystem der Sprache. Warum sich manche Zeichensysteme wunderbar auf Gegenstände und Beziehungen der Wirklichkeit anwenden lassen (und andere nicht) wird nicht geklärt, die Frage ist also nur an eine andere Stelle verschoben. Nach Bertrand Russel (1872-1970) ist Mathematik genauso weit auf die Erfahrungswelt anwendbar, als diese mit den Beziehungen zwischen den Formeln isomorph (strukturgleich) ist. Man setzt also einfach "empirische" Konstanten anstelle von Variablen und versichert sich ob diese gedeuteten Formeln erfüllt sind. Wieder bleibt die Frage wie diese Strukturgleichheit überhaupt möglich ist. Viktor Kraft (1880-1975), ein Vertreter des Wiener Kreises, wollte den Stanpunkt des logischen Empirismus verbessern:
Damit es möglich wird, eine Sprache zur Darstellung der Welt anzuwenden, müssen Ähnlichkeiten in der Welt bestehen. Wenn jedes Objekt oder Ereignis gerade nur einmal auftritt, hätte es nicht einmal einen Sinn, ihnen Namen zu geben, weil diese nicht wieder verwendbar wären. In dem darzustellenden Material muss also Allgemeines, mindestens Klassen, herzustellen sein. Das ist die Bedingung auch schon für die Anwendbarkeit einer Sprache.
Es muss also Ordnung und Gesetzmäßigkeit in der Wirklichkeit geben.
Dennoch scheint das Anwendungsproblem in der gegenwärtigen Philosophie von einer Lösung weit entfernt.
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