Welche Kriterien muß ein System nun aber erfüllen, damit es anerkannt werden kann? Der wichtigste Anspruch an ein System ist die Forderung nach der Widerspruchsfreiheit. Wenn ein Mathematiker eine neues System Σ ausarbeitet, muß er sicherstellen, daß es dieses geben kann. Aus seinem System Σ darf er niemals die Aussagen α und ά herleiten können. Ansonsten ist das System völlig wertlos. Deshalb ist die Überprüfung eines jeden mathematischen Systems, ja einer jeden wissenschaftlichen Theorie, auf Widerspruchslosigkeit eine wichtige Aufgabe.
Des weiteren sollten die Axiome eines Axiomensystems unabhängig voneinander sein. Es soll keine Sätze enthalten, die aus den anderen Axiomen folgen. Das Axiom α ist genau dann unabhängig, wenn es sich nicht aus den übrigen herleiten läßt. Um die Unabhängigkeit einer Aussage festzustellen, gibt es drei Möglichkeiten. Da die Unabhängigkeit eng mit der Widerspruchslosigkeit zusammenhängt, kann man mit diesen Methoden auch diesen Nachweis führen.
(1) Die erste Methode ist meist nur in kleinen, überschaubaren Systemen anwendbar, da sie auf dem Grundsatz beruht. Wenn eine Aussage α einen neuen Grundbegriff enthält, der im System Σ nicht definiert ist, so kann die Wahrheit von α in Σ nicht überprüft werden.
Aus der Anzahl der Betten eines Hotels, läßt sich beispielsweise nicht die Anzahl der Hotelgäste bestimmen.
Es ist unwahrscheinlich, daß sich komplizierte Systeme auf diese Art und Weise überprüfen lassen. Die beiden folgenden Methoden lassen sich wesentlich besser anwenden.
(2) Die zweite Methode ist die Konstruktion eines Modells. Diese Methode hatte bisher den größten Erfolg in der Analyse von Axiomensystemen. Dabei sucht man Objekte und Relationen, die bei geeigneter Namengebung alle Eigenschaften von Σ erfüllen, für die aber α nicht gilt.
Es ist nicht zwingend notwendig ein komplett neues Modell zu schaffen, um ein Axiomensystem zu überprüfen, sondern es genügt, die Widerspruchslosigkeit eines Systems auf die eines anderen zurückzuführen.
Das ewige Scheitern der Beweisversuche des Parallelenaxioms, welches im nächsten Kapitel genauer besprochen wird, ist ein induktives Argument für dessen Unabhängigkeit. Diese Bemühungen führten schließlich zu der Formulierung von nichteuklidischen Geometrien, für welche das Parallelenaxiom nicht gilt. Die Schöpfer der nichteuklidischen Geometrien, taten nichts weiter als die Folgerungen aus der Gegenaussage zum Parallelenaxiom zu untersuchen.
Anhand der Konstruktion eines Modells konnten sie beweisen, daß diese neuen Geometrien zu keinen Widersprüchen führen können, die nicht auch in der euklidischen Geometrie existieren. (vgl. 2.2.3.)
Durch geschickte Konstruktion von arithmetischen Modellen gelang es Hilbert das logische Verhältnis der Teile des geometrischen Axiomensystems aufzuklären. Da es eine endliche Anzahl von Objekten gibt, die nacheinander ausgewiesen und mit Symbolen belegt werden können, kann man für jeden Schritt mittels der Symbole feststellen, ob die Grundrelationen gelten, oder nicht. Damit hat er die Widerspruchslosigkeit der Geometrie auf die der Algebra zurückgeführt.
Ganz egal, ob die euklidische Geometrie den physikalischen Raum nun genau beschreibt, oder nicht, sie folgt auf jeden Fall den gleich Gesetzen, wie die lineare Algebra. Jeder Widerspruch in der Geometrie muß sich deshalb auch als Widerspruch Algebra darstellen.
Auf diese Art und Weise wird ein Axiomensystem auf ein anderes zurückgeführt. Würde man mit allen Systemen so verfahren, würde ein Zirkel entstehen. Um sie alle zu beweisen genügt es den Beweis für eines absolut zu führen. Alle isomorphen Systeme wären dann ebenso bewiesen. Für einen großen Teil der Mathematik und der Physik laufen solche Bemühungen zur Zeit auf dem Gebiet der reellen Zahl.
(3) Die einzige Methode, eines absoluten Beweises, ist die direkte Methode. Bei dieser Methode werden alle möglichen Schlußfolgerungen ausgehend von den Axiomen gezogen. Der direkte Beweis ist gelungen, wenn sich keine Widersprüche ergeben. Auf diese Art konnte Hilbert die Widerspruchslosigkeit der arithmetischen Axiome beweisen.
Ein weiters wichtiges Kriterium für ein Axiomensystem ist noch zu erwähnen. Die Widerspruchsfreiheit garantiert nur, daß man nie zwei widersprüchliche Ergebnisse erhalten kann, nicht aber, daß man überhaupt eines erhält. Deshalb fordert man von Axiomensystemen ihre Vollständigkeit. Das heißt, daß es zu jeder widerspruchsfrei gestellten Frage eine Antwort geben muß. Die Vollständigkeit eines Systems kann nur durch die Angabe einer das Beweisverfahren regelnden Methode sicher gestellt werden. Eine solche Methode kann es nicht geben. Der Weg zur Lösung eines Problems ist mit jedem Problem verschieden und muß jedes Mal neu gefunden werden.
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