2.1. Hoffnung
50 Jahre später steht nun Václav Havel, Literat, Häftling und Politiker in der Stadt des Schreckens und ringt um Worte. Wie mag es einem Menschen ergehen, wenn er in Hiroshima eintrifft. Ich kann es mir ähnlich vorstellen, wie wenn ein Mensch die Konzentrationslager in Mauthausen, Dachau oder Auschwitz betritt. Aber welche Worte soll man zu einem 50 jährigen Gedenken, einem schreckhaften, unauslöschbaren Geschehen, finden. Ganz falsch ist es, in einem solchen Augenblick bloßes Mitleid für die Betroffenen zu zeigen. Mitleid ist immer der falsche Weg. So wie man einem/-r jungen Mann/Frau im Rollstuhl nicht mit Mitleid begegnen soll, so wollen auch die Juden, Sinti und Homosexuellen, die in den KZ vergast worden sind, kein Mitleid.
Und auch die Angehörigen der Opfer von Hiroshima und der Staat Japan will 50 Jahre nach dem Grauen kein \"Mitleidgedusel\" hören!
50 Jahre später den alten Feind zu verfluchen ist auch der falsche Weg. Klar, man soll und muss die Täter beim Namen nennen, die Menschen müssen sich ihrer Schuld bewusst sein. Man muss laut aussprechen was Sache ist:
Die Weltpolizei USA hat ohne Rücksicht auf Menschenleben einen Versuch mit der Atombombe ausgeführt und dabei hunderttausend Kinder, Frauen, Männer - Zivilisten - getötet.
Die Österreicher waren die \"besseren Nazis\" und haben bei den Gräuel in den KZ tatkräftig \"Hand angelegt\", sowie ihren Führer Adolf Hitler zugejubelt
Sind diese Lippenbekenntnisse Trost und Hilfe für die Angehörigen der Opfer?
Erwacht dadurch das kleine japanische Mädchen, welches am Morgen des 05. August 1945 durch eine Druckwelle über die Straße geschleudert wurde und anschließend qualvoll am lebendigen Leibe verbrannte, wieder zum Leben?
Kann jetzt die Mutter, die ihr beim Abschied zum Schulweg vergessen hat einen Abschiedskuss zu geben, wieder friedlich schlafen und nicht mehr von glimmergelben Pilzköpfen träumen?
Angebracht sind also offene und ehrliche Worte, ein wenig Trost und sehr viel Hoffnung.
Leicht ist es, etwas zu vernichten.
Etwas aufzubauen
erfordert große Geschicklichkeit und Sorgfalt.
(GANDHI 19974, 109)
Und wenn V. Havel sagt, dass Hoffnung kein bloßes Derivat der äußeren Welt ist, sondern dass Hoffnung mehr ist und tiefer geht als eine genetisch oder biologisch oder chemisch oder kulturell oder anders determinierte optimistische Haltung des menschlichen Geistes, (Vgl. HAVEL 1998, 174) dann kann das einem Menschen sehr viel Trost und Hilfe geben. Vielleicht muss man den Satz auch zwei Mal und öfter lesen und dabei immer mit einem Auge in die Zukunft blicken und mit dem anderen ganz tief in sein Herz oder in seine Seele.
Und Václav Havel hat recht.
Hoffnung ist ein Geschenk Gottes.
Wo Hoffnung ist, verlischt Trauer und Wut.
Man stelle sich vor, man ist traurig, verzweifelt und wütend.
Kennst du das Gefühl? Es kribbelt und juckt im ganzen Körper, man glaubt im Magen brennt ein Feuer. Aber es gibt nur ein Mittel, dieses Feuer zu löschen.
(Sicher nicht Alkohol!)
Es ist ganz allein die Hoffnung!!
Denken wir nur an die christliche Hoffnung nach einem Leben nach dem Tod und einem Wiedersehen all unserer Freunde und Verwandte. .
Oder die Hoffnung, dass in jedem Menschen etwas Gutes steckt. .
Oder die Hoffnung, dass Adolf Hitler und Präsident Truman in der Hölle schmoren während wir Seite an Seite bei Gott im Himmel Jubellieder singen. .
2.2. Tod und Glaube
Ich glaube an ein Leben nach dem Tod, nicht etwa weil ich gläubiger Katholik bin und in naher Zukunft katholische Religion an Hauptschulen unterrichte, sondern weil ich mir den Sinn des Lebens nicht anders erklären kann. Und .
. und weil es sonst keine Hoffnung gibt. Und ohne Hoffnung gibt es keine Trauerbewältigung. Hier spricht mir der ehemalige tschechische Präsident von der Seele: \"Ohne die Erfahrung des Transzendenten hat weder die Hoffnung noch die menschliche Verantwortung selbst einen Sinn.\" (HAVEL 1998, 177)
Es ist die Hoffnung und es ist die Vernunft, dass es irgendwo in- oder außerhalb unseres Universums etwas oder jemanden gibt, der all unsere guten sowie schlechten Taten, unsere Leiden und unsere Schmerzen in eine Waagschale wirft und dann über uns richtet. Würde man alle Religionen der Welt auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren, so ist das Ergebnis wohl in allen Religionen, Sekten und Kulten das Hoffen und das Glauben nach einer gerechten Strafe für die Bösen, bzw. einem besseren Leben nach dem Tod.
Ich will hier nicht alle Religionen auf einen gemeinsamen Nenner bringen, oder eine Weltreligion inszenieren, sondern: \"Ich glaube nicht an eine Weltreligion. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Rettung der Menschheit und die Erneuerung ihrer Verantwortung für sich selbst und die Welt allein in der Renaissance der Religiosität oder gar Frömmigkeit liegt. Ich spreche über etwas anderes: die Notwendigkeit, die wesentlichen, sozusagen fundamentalen geistigen Erfahrungen des Menschen neu zu begreifen und zu artikulieren und den Geist dieser Erfahrung in die Schaffung der neuen Weltordnung einzubringen, einer Ordnung, die es uns allen ermöglicht, in Frieden nebeneinander zu leben und zusammenzuarbeiten, ohne dass jemand seine kulturelle Eigenart aufgeben müsste. Ich spreche von der Notwendigkeit, viel nachhaltiger als bisher das zu enthüllen und zu benenn, was uns verbindet, statt das, was uns trennt. Darin sehe ich die hauptsächliche Herausforderung des kommenden Jahrhunderts und Jahrtausends.\" (HAVEL 1998, 180 f.)
Der tschechische Präsident spricht hier von den fundamentalen geistigen Erfahrungen der Menschheit die zu einem neuen und verbesserten Weltbild tragen müssten. Und dann finde ich Bilder wie folgendes über den mächtigsten Mann der Welt:
Mir ist Angst und Bange. Ist das wirklich der mächtigste Mann auf der Welt. Entscheidet dieser T...... wirklich über Leben und Tod von Tausenden von Menschenleben?
Wie schön wäre es abseits religiösen Fundamentalismus und ohne Doktrin des amerikanischen Militärkapitalismus die Herausforderung des neuen Jahrtausend in die Hand zu nehmen und für ein friedliches Miteinander zwischen Völkern, Rassen, Kulturen und Religionen zu kämpfen.
Und was muss es ein Trost für die Einwohner von Nagoya vor über 50 Jahren und heute sein, zu wissen, dass ihre Stadt beinahe Ziel der ersten Atombombe sein sollte. Die präzisen Berechnungen amerikanischer Wissenschaftler aber ergaben, dass die Sprengkraft (=Anzahl der Opfer) in Hiroshima größer wäre. Deshalb explodierte die Atombombe über Hiroshima. Deshalb blieb Nagoya verschont. Pech für die Kinder aus Hiroshima. Glück für die Mütter aus Nagoya!?!
Und schön zu wissen gegenüber welcher Willkür wir Zivilisten den weltweiten Militärs ausgeliefert ist.
.
Aber wir haben die Hoffnung, und die stirbt bekanntlich als Letztes!
Die Vergangenheit gehört zu uns, aber wir gehören nicht zur Vergangenheit.
Wir gehören zu Gegenwart.
Wir sind die Bereiter der Zukunft, aber wir gehören nicht zur Zukunft
(GANDHI 19974, 120)
Schlussworte
Durch Václav Havel bin ich auf das Prinzip der Hoffnung gestoßen. Paulo Freire (1921 - 1997) hat als Pädagoge Hoffnungen geweckt und bestärkt, wie nur wenige Menschen in diesem Jahrhundert.
Deswegen werde ich beide; Havel und Freire, in meine Literatur neben Montessori, Immanuel Kant und Don Bosco aufnehmen. Damit auch ich ein Pädagoge werden kann, der zwar die Spatzen pfeifen lässt, aber gleichzeitig Glaube und Hoffnung schenkt.
Abschließend noch ein Gedicht, welches mir absolut unter die Haut gegangen ist. Es stammt von Nazim Hikmet. 2002 war von der UNESCO zum Nazim Hikmet-Jahr erklärt worden. Der am 20.01.1902 in Saloniki geborene Sohn eines Paschas ist der bekannteste türkische Lyriker innerhalb und außerhalb des Landes.
(vgl. www.wienerzeitung.at/aktuell/2002/02/05/hikmet.htm)
LASST DIE WOLKEN NICHT DIE MENSCHEN TÖTEN
Zu Menschen haben uns die Mütter auferzogen.
Die Mütter gehen wie Lichter vor uns her.
Sie meine Herren, stammen auch von Müttern
und laßt die Wolken nicht die Menschen töten.
Eine Junge von sechs Jahren läuft und springt.
Sein Drachen segelt über hohen Bäumen.
Auch Sie sind einst genau wie er gelaufen.
Habt Mitleid mit den Kindern, meine Herren,
und laßt die Wolken nicht die Menschen töten.
Die Junge Braut kämmt sich vor ihrem Spiegel
und wartet, daß im Spiegel er erscheint.
Man hat wohl auch dereinst auf Sie gewartet.
Habt Mitleid mit den Bräuten, meine Herren,
und laßt die Wolken nicht die Menschen töten.
Im Alter soll ein Mensch, der sich erinnert,
nur die Erinnerung an schöne Stunden haben.
Habt Mitleid mit den Alten, meine Herren.
Sie, meine Herren, Sie sind nun selber alt.
So laßt die Wolken nicht die Menschen Töten.
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