In der gesamten Umstrukturierungsdebatte in Rußland spielt die Frage der Privatisierung eine zentrale Rolle. Aufgrund der mangelnden Finanzkraft des Staates bleibt vielfach auch und gerade in der Rüstungsindustrie die Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe eine mögliche oder notwendige Lösung. Doch wie schon der ganze Umwandlungsprozeß steht insbesondere die Privatisierungsdiskussion im Mittelpunkt des politischen Konfliktes und wird dadurch z.T. erheblich gebremst. Die beteiligten Akteure sind hier im wesentlichen die bereits unter 4.3 genannten.
4.4.1 Gesetzliche Grundlagen
Es gibt eine ganze Reihe von gesetzlichen Bestimmungen und Erlassen, die für die Ausgestaltung des Privatisierung von Bedeutung sind. Dazu gehören z.B.: das Gesetz über die Privatisierung 1991, die Grundlagen des Privatisierungsprogramm für 1992 und 1993, das schon erwähnte Konversionsgesetz von 1992, die im Dezember 1993 erlassenen Privatisierungsbestimmungen sowie der Präsidentenerlaß vom August 1993 \'Über die Besonderheiten der Privatisierung von Betrieben der Verteidigungsindustrie\' . Es wird im folgenden auf einige dieser Regelungen näher eingegangen.
Zunächst sei jedoch nochmals ausdrücklich auf die unterschiedlichen Konzeptionen und Ziele der verschiedenen Akteure innerhalb der Privatisierungsdiskussion hingewiesen. Der Rüstungslobby geht es dabei primär um den Erhalt der Substanz der Rüstungsindustrie sowie des eigenen Einflusses - Privatisierung als Option der Rüstungsunternehmen wird von dieser Seite kaum thematisiert.
Das Verteidigungsministerium sorgt sich zudem vorrangig um die Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit und will allein deshalb den Grundbestand der Rüstungsindustrie in staatlicher Hand behalten. Die darüber hinaus notwendige Schaffung neuer Eigentumsformen sollte unter staatlicher Leitung stattfinden und behutsam erfolgen.
Dagegen setzen die Reformkräfte und das Staatliche Vermögenskomitee voll auf Privatisierung zur Kapitalbeschaffung, zur Bildung marktgerechten Verhaltens zur Änderung der alten Organisationsstrukturen in den Unternehmen und schließlich auch zur Umsetzung der Konversionsbemühungen.
Beide Positionen beeinflussen den Privatisierungsprozeß, wobei bisher die Wirkung der Privatisierungsgegner größer war und dadurch eine konsequente Privatisierung im Sinne der Reformkräfte verhindert wurde .
4.4.2 Einschränkungen der Privatisierung
Deutlich wird das letztgenannte insbesondere anhand der zahlreichen Bestimmungen, mit denen die Privatisierung der Rüstungsindustrie eingeschränkt wird.
Das Konversionsgesetz sieht nur die Privatisierung bereits konvertierter Betriebe oder ausgegliederter Unternehmensteile vor, und schließt die Privatisierung solcher Betriebe aus, die für die Mobilmachung von Bedeutung sind. darüber hinaus bleibt es ungenau.
Das Privatisierungsprogramm 1992-93 sah für den Rüstungssektor bestimmte Abweichungen von den allgemeinen Privatisierungsregelungen vor, u.a. die unmittelbare Genehmigung durch die Zentralregierung innerhalb von 14 Tagen nach Antragstellung.
Noch im Mai 1993 hat Präsident Jelzin in einem Erlaß verfügt, daß das Staatliche Vermögenskomitee Kriterien erarbeiten soll, nach denen Rüstungsbetriebe von der
Privatisierung ausgeschlossen werden könnten, wobei Verpflichtungen zur Einhaltung der militärischen Mobilisierungspotentials oder Geheimhaltungspflichten ausdrücklich keine Kriterien sein sollten .
Mittlerweile sind jedoch Betriebe, die für die Mobilmachungskapazitäten bzw. die Verteidigungsfähigkeit von Bedeutung sind, Nicht privatisierbar. Rüstungslobby / MIK und Verteidigungsministerium haben somit ihre Interessen durchgesetzt. Ihre vorrangige Intention liegt darin, die Beteiligung von Fremdkapital an Rüstungsunternehmen weitgehend auszuschließen, die Entflechtung der Konzerne zu verhindern und den staatlichen Behörden weitreichende Mitspracherechte und Einflußnahme zu sichern.
Der Präsidentenerlaß \'Über die Besonderheiten der Privatisierung und zusätzliche Maßnahmen staatlicher Regulierung der Tätigkeit von Betrieben der Verteidigungsindustrie\' vom August 1993 schließlich beinhaltet eine spezielle Liste von Betrieben, die nicht privatisiert werden dürfen. Die Kriterien dafür sind nicht eindeutig. Auf der Liste stehen sowohl Unternehmen aus den kritischen Bereichen (Nuklear-, Raketentechnik) und mit strategischer Bedeutung als auch solche, die aus formalen Gründen aufgenommen wurden oder die sich ihren Platz auf der Liste erkämpft haben, da sie ihre Zukunftschancen relativ schlecht einschätzen. Letzteres läuft allerdings dem dahinter stehenden Konzept zuwider, dessen Ziel es ist, mit staatlicher Leitung und Förderung eine weltmarktfähige und zukunftsfähige Rüstungsindustrie aufzubauen bzw. zu erhalten und dafür zunächst die dafür notwendige Selektion stattfinden zu lassen.
Letztlich soll ein größerer Teil der Rüstungsindustrie direkt in staatlicher Hand bleiben, ein weiterer Teil soll zu Staatsbetrieben oder AG\'s mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung und Einfluß auf die Besetzung des Generaldirektorpostens werden .
Die noch verbleibenden Unternehmen können privatisiert werden; dabei handelt es sich vor allem um Komponentenhersteller sowie Betriebe mit veralteter Technologie oder von geringer strategischer Bedeutung. Für die Privatisierung dieser Betriebe fehlen bislang z.T. klare, gesetzliche Regelungen; sie findet allerdings statt, teilweise jedoch ohne genaue
rechtliche Kontrolle. Hier gibt es also erheblichen politischen Handlungsbedarf, um die Gefahr von Mißbräuchen und Fehlentwicklungen einzudämmen.
4.4.3 Der reale Privatisierungsprozeß
Nach Überwindung der geschilderten Widerstände läuft ein realer Privatisierungsvorgang in der Regel in drei Etappen ab :
1.) Die Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft und unternehmensinterne Aktienverteilung.
2.) Börsenverkauf von Aktien gegen Anteilscheine am Staatsvermögen, sogenannte Vouchers. Bei diesem Schritt besteht die Möglichkeit, daß Fremdkapital Mehrheitsanteile erwerben kann. Die restlichen Anteile (je nach Modell 20% und mehr) verbleiben danach zunächst in staatlicher Verwaltung, wodurch entsprechende Einflußnahme möglich ist.
Die Privatisierungsgegner nutzen diese Voucherauktionen desöfteren dazu, über spezielle Investmentfonds größere Aktienpakete zu erwerben, um auf diesem Wege ihren Einfluß zu sichern und gleichzeitig fremde Investoren vom Aktienerwerb fernzuhalten.
3.) Im letzten Schritt werden nun die verbliebenen Anteile auf sogenannten Investitionsbörsen an potentielle Investoren verkauft, die wiederum die Möglichkeit erhalten, im Falle der Umsetzung bestimmter, zuvor erarbeiteter Investitionsprogramme das Grundkapital des betreffenden Unternehmens um bis zu 50% zu erhöhen und ihren eigenen Anteil in gleichem Umfang zu vergrößern. Auch auf diesem Wege sind Mehrheitsbeteiligungen möglich, es können private Unternehmen i.e.S. entstehen.
Allerdings haben bis Anfang 1994 erst sehr wenige russische Rüstungsunternehmen diese letzte Etappe durchlaufen. Eines der seltenen positiven Beispiele ist die opto-elektronische Firma LOMO in St. Petersburg, ein mittlerweile rein privates und profitables, ehemaliges Rüstungsunternehmen.
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