1. Historischer Abriß
1.1. Englands Chinahandel unter dem Kanton-System
Englands Präsenz in China beginnt im Jahre 1699. Die Interessen in China beschränkten sich anfangs nur auf Handelsbeziehungen. So waren es zuerst auch nur kleinere Abstecher mit ein paar Schiffen. 1786 entstand die erste ständige Handelsvertretung vor der Stadt Kanton. Die Handelsbeziehungen wurden ausschließlich von der East India Company unterhalten, da sie das Außenhandelsmonopol besaß. Aus China wurde Tee, Porzellan, Seide sowie andere Luxusgüter importiert, nach China exportiert wurden englische Industrieerzeugnisse. Den Hauptanteil Importgüter bildete der Tee. Der Handel damit war sehr gewinnbringend, da zur selben Zeit in Großbritannien der 5 Uhr Tee in Mode kam. Seide nahm einen weit geringeren Stellenwert ein. Sie war auch in Indien zu bekommen. Doch um die britischen Textilmanufakturen zu schützen, wurde sogar die Einfuhr von Seide und anderen Stoffen verboten. Das Verbot wurde erst später im Zuge der Free Trade Doctrine aufgehoben. Ein Problem im Chinahandel lag darin, daß China wirtschaftlich autonom war und daher die Industrieerzeugnisse nicht gut verkauft werden konnten. Der Tee mußte also zusätzlich mit Silber bezahlt werden.
Der Handel an sich gestaltete sich sehr schwierig. Der Außenhandel durfte nur nach dem Kanton-System durchgeführt werden. Das heißt, daß nur in der Stadt Kanton mit Ausländern gehandelt wurde. Es gab spezielle Händler, die als einzige in Kontakt mit den Ausländern treten durften. Den Ausländern war es verboten, die Stadt zu betreten, ihre Frauen mitzubringen, Diener einzustellen, chinesisch zu lernen und chinesische Bücher zu kaufen. Ihr Lebens- und Handelsbereich erstreckte sich auf ein Ghetto vor der Stadt. Es gab 13 Gilden, die das Handelsmonopol für einen bestimmten Warenbereich hatten. Die \"Barbaren\" waren im Ghetto dem chinesischen Strafrecht unterworfen, was sie Bestrafungen wie Auspeitschungen und Folter aussetzte. Nach Ende der Handelssaison, welches durch die Unschiffbarkeit der Gewässer festgelegt war, mußten sie das Ghetto verlassen. Während dieser Zeit lebten die meisten Händler in der portugiesischen Besitzung Macao. Besonders beschwerten sich die ausländischen Händler über das undurchsichtige und willkürliche System von \"Gebühren\" und Abgaben, welche sich nach Aufhebung des Chinahandelsmonopols der East India Company im Jahre 1834 noch verstärkten. Das Kanton-System und die neue Free Trade Doctrine, die im Sinne des neuen Wirtschaftsliberalismus herausgegeben wurde, waren völlig gegensätzlich. China konnte sich diese Überheblichkeit leisten. Außerdem war das Geschäft trotz aller Unannehmlichkeiten dennoch sehr lukrativ.
1.2. Der erste Opiumkrieg
1.2.1. Beginn des Opiumkonflikts
Der Handel wurde sogar noch lukrativer, als die englischen Händler bemerkten, daß die Chinesen enormen Gefallen an Opium hatten. Opium gab es in den anderen britischen Kolonien besonders in Indien in Hülle und Fülle, so daß es sehr günstig beschafft werden konnte. Der Opiumhandel mit China positivierte die Handelsbilanz. Mittlerweile floß wieder Silber aus China nach England. Da Silber inzwischen sehr viel wertvoller geworden war, lohnte es sich für die Kaufleute um so mehr. Es entstand ein weiterer Dreieckshandel. Britische Industrieerzeugnisse gingen nach Indien. Von dort wurde das Opium nach China exportiert. In China wurde das Opium gegen Tee gehandelt. Das Opium hatte für die Wirtschaft und die Volksgesundheit verheerende Folgen. In Beijing wurden daher heftige Diskussionen geführt, ob der Handel und Gebrauch von Opium nicht gänzlich zu verbieten sei. Der Gebrauch und Handel war eigentlich vorher schon offiziell verboten worden. Das Verbot wurde jedoch nur sehr ungenau kontrolliert. Aufgrund der weitreichenden Folgen, die der Abfluß des britischen Silbers für die Wirtschaft hatte, konnten sich die Befürworter der strengeren Kontrolle des Opiumverbots in der Hauptstadt durchsetzen. Um den Opiumhandel wirksam zu unterbinden, wurde einer der energischsten chinesischen Hofbeamten namens Lin Zexu 1839 nach Kanton geschickt. Ihm wurde ein Heer zur Verfügung gestellt mit dem er das Kantoner Ghetto umstellte und die Herausgabe des Opiums forderte. Von dem plötzlich so entschlossenen Auftreten Chinas überrascht, verließen die Engländer das Ghetto und überließen Lin Zexu rund 20.000 Kisten Opium. Da Lin ein Abkommen mit den Portugiesen auf Macao getroffen hatte, wurden die Engländer dort nicht aufgenommen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf eine der Inseln im Mündungsbereich des Perlflusses zurückzuziehen. Ihre Wahl fiel auf Hong Kong. Eine felsige Insel mit ungefähr 3.500 Bewohnern, sowie noch einmal circa 2.000 auf ihren Booten lebenden Fischern. Lin Zexu statuierte inzwischen ein Exempel indem er die Kisten, insgesamt mehr als 1 Millionen Tonnen Opium, verbrennen ließ.
1.2.2. Verlauf der Auseinandersetzungen
Bei ihrem entschlossenen Eingreifen hatte die chinesische Führung übersehen, daß England eine wesentlich aggressivere Handelspolitik führte als Portugal mit dem es bisher in Auseinandersetzungen zu tun hatte. Die Briten hatten mit dieser Politik die Portugiesen längst als führende Handelsnation im pazifischen Handelsraum abgelöst. Ganz im Sinne der Erhaltung ihrer Hegemonialstellung entsandte England 1840 ein Expeditionscorps bestehend aus 49 Kriegsschiffen und 4.000 Soldaten in die südchinesische See und erklärte China im Juli des gleichen Jahres den Krieg. Dieser \"erste Opiumkrieg\" verlief nicht kontinuierlich. Gefechts- und Verhandlungsphasen wechselten einander ständig ab. Während einer dieser Verhandlungsphasen, fiel im Vertrag von Chuanbi die Insel Hong Kong an England. Sie wurde am 26.1.1841 formell in Besitz genommen. Anfangs waren viele mit der Standortwahl unzufrieden. Foreign Secretary Lord Palmerston prägte in dieser Zeit das oft zu lesende Zitat \"a barren island with hardly a house upon it\", um Hong Kong zu beschreiben. Doch schon die Übersetzung des Begriffes Hong Kong läßt die Vorzüge der Insel offenbar werden. Hong Kong heißt auf deutsch \"Duftender Hafen\". Das besondere an dem Hafen war nicht unbedingt sein Geruch, sondern vielmehr die Tatsache, daß er taifunsicher und besonders tief war, was für die heutige Schiffahrt von besonderer Bedeutung ist. Für England war es wichtig, einen sicheren Hafen als Stützpunkt für ihre Flotte zu haben. Es war ohnehin geplant, die Insel nicht wie eine gewöhnliche Kolonie zu nutzen und auszubeuten. Auf Hong Kong sollte vielmehr ein strategischer Stützpunkt für weitere Ostasienunternehmungen Großbritanniens entstehen. Hong Kong wurde \"not with a view of colonisation, but for diplomatic, military and commercial purposes\" ausgewählt, wie Königin Victoria in einer Instruktion am 3. Juni 1843 schrieb.
1.2.3. Die Ungleichen Verträge
Der Krieg endete 29.8.1842 mit dem Vertrag von Nanjin, der die Niederlage Chinas feststellte und den Briten neben Kanton vier weitere Häfen für den Handel öffnete sowie günstigere und vor allem feste Zolltarife zusicherte. Außerdem mußte das Kanton-System abgeschafft werden. Von nun an war es den Briten erlaubt, direkt mit chinesischen Händlern in Kontakt zu treten. Auch wurden viele der vorigen Restriktionen abgeschafft, wie das Verbot Chinesisch lernen zu dürfen. Die \"Kronkolonie Hong Kong\" war also fürs erste abgesichert. Der erste Opiumkrieg minderte aber keineswegs den Opiumhandel. Er wurde jetzt lediglich verdeckt durchgeführt. Hierbei nutzten die Schmuggler die Hilfe der Missionare, deren Schiffe sie zum Schmuggel benutzten. Außerdem waren sie häufig als Dolmetscher tätig. Auf diese Weise verdienten sich die später angesehensten Hong Konger Kaufleute eine \"goldene Nase\". So stachen besonders die Gründer des Heute größten Handelshauses in Hong Kong \"Jardine & Matheson\" aus der Menge der Schmuggler durch ihren Erfolg hervor. Zu dieser Zeit war der Chinahandel auf Hong Kong bestimmt vom Abenteuer. Hatte man den Mut dazu, konnte man durch Schmuggelei ein Vermögen machen.
1.2.4. Aufgaben und Struktur der neuen Kolonialregierung
Die Regierung der Kronkolonie kam die Aufgabe zu, den Freihandel zu überwachen, mit dem chinesischen Kaiser in diplomatischem Kontakt zu bleiben sowie sich um die wirtschaftlichen Belange der Kolonie zu kümmern. Der Aufbau der Verwaltungsorgane sah folgendermaßen aus. Der eigentliche Machthaber in der Kolonie war der Gouverneur. Er wurde auf Zeit von der Königin bestimmt. Diese Art der Einsetzung sollte den Gouverneur unabhängig von der Bevölkerung und anderen Interessengruppen halten. So konnte er einen konsequenten Regierungsstil durchhalten. Es gab in der Kolonie von Anfang an eine Gewaltenteilung. Das Oberhaupt der Exekutive ist der Gouverneur, er steht auch dem Legislativrat vor. Diese Gremien wurden ebenfalls nicht gewählt, sondern auf Vorschlag des Gouverneurs und nur mit ausdrücklicher Zustimmung durch die Krone besetzt. Das System der Ernennungen wurde bis vor wenigen Jahren immer noch durchgeführt. Aus diesem System kann man auch ableiten, warum es bis vor kurzem nicht zur Bildung politischer Parteien kam. Wenn man ohnehin nicht an der Staatsgewalt partizipieren kann, hat es auch keinen Sinn, sich in Parteien zu organisieren. Der Regierungsstil zeichnete sich auf der einen Seite durch enorme Autorität auf der anderen durch sehr geringe Einmischung in wirtschaftliche Belange aus. So konnte sich der Handel frei entfalten.
1.3. Erster Aufstieg Hong Kongs zum Zwischenhandelszentrum
Die ersten Maßnahmen des ersten Gouverneurs waren zum einen die Aufstellung einer Polizeitruppe, um die enorme Kriminalitätsrate zu verringern, zum anderen der Aufbau einer medizinischen Grundversorgung, was wegen der hohen Seuchengefahr sehr von Nöten war. Alle Maßnahmen der Regierung zielten auf eine Verbesserung der Infrastruktur der Kolonie ab. Da mit dem Vertrag von Nanjin weitere Häfen dem Freihandel geöffnet wurden, stieg der Wettbewerb unter den Zwischenhandelshäfen enorm. In diesem Sinne wurde auch Privatbesitz von Land auf Hong Kong verboten. So konnte die Regierung mit günstigen Angeboten gezielt die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen steuern. In den 1970er Jahren wurde auf diese Weise die amerikanische Firma Dow Chemical nach Hong Kong gelockt, da man den Aufbau einer technologieintensiven Industriestruktur fördern wollte. Land wurde nur nach einer öffentlichen Ausschreibung an den Meistbietenden auf 75 Jahre verpachtet. Nachdem eine Minimalinfrastruktur aufgebaut war, um Hong Kong als Zwischenhandelshafen zu etablieren, ruhten die Bestrebungen diese weiter zu verbessern.
1.3.1. Bedrohung durch andere Kolonialmächte
Die Infrastruktur der Kolonie wurde erst wieder ausgebaut, als Hong Kong für die Briten eine erhöhte strategische Bedeutung erhielt. Bislang hatte die Kolonie ihren Zweck erfüllt. Hong Kong hatte sich als feste Größe im Zwischenhandel etabliert, die Kontakte mit China verliefen für Großbritannien günstig und die Führungsposition im Handel in Südostasien war unangefochten. Dies änderte sich mit dem beginnenden Kolonialisierungswettlauf der europäischen Großmächte zur Blütezeit des Imperialismus. Es zeichnete sich ein Dreierwettlauf zwischen Frankreich, Rußland und Großbritannien ab. Rußland drang von Norden her nach China ein, und Frankreich besetzte im Verlauf des französisch-chinesischen Krieges von 1884 bis 1885 große Teile der an Hong Kong angrenzenden Provinzen. Großbritannien sah hierin eine direkte Bedrohung ihrer Kolonie. Als sich diese Entwicklung schon leicht abzuzeichnen begann, versuchte Großbritannien das Areal ihrer Kolonie zu vergrößern.
1.3.2. Ausweitung des Territoriums
1.3.2.1. Zweiter Opiumkrieg
So wurde die Durchsuchung des als Schmuggel- und Piratenschiff verdächtigten britischen Frachters \"Arrow\" zum Vorwand genommen, China den Krieg zu erklären. In dieser Weise begann 1856 der \"zweite Opiumkrieg\", den China erneut verlor. In zwei Friedensverträgen mußte China weitere Zugeständnisse an Großbritannien machen. Im Vertrag von Tianjin und der \"Konvention von Peking\" mußte China 1858 bzw. 1860 weitere Häfen dem Freihandel öffnen, Missionaren den Zug ins Landesinnere erlauben, den Opiumhandel legalisieren und die Erweiterung der Kolonie genehmigen. China mußte auch britischen Diplomaten den Aufenthalt in Beijing gestatten. In die Kronkolonie wurde die gegenüberliegende Halbinsel Kowloon, zu deutsch \"Neun Drachen\", eingegliedert. Dies fand auch den Beifall der Händler auf Hong Kong, da sie den taifunsicheren Hafen schätzen gelernt hatten, ihnen für eine Verstärkung ihres Engagements jedoch einfach der Platz fehlte. Mit dem Krieg wurden gleich drei Ziele auf einmal erfüllt. Als erstes verbesserte sich so die Stellung Hong Kongs als Handelshafen, da sich neue Händler ansiedeln beziehungsweise eingesessene Händler ihre Kontore erweitern konnten, als zweites wurde eine militärische Pufferzone geschaffen und als drittes konnte man China zu einer erneuten Erleichterung des Handels zwingen.
1.3.2.2. Annexion der New Territories
Die letzte Erweiterung der Kronkolonie konnte Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt werden. Frankreich hatte von der geschwächten Qing-Dynastie eine Stützpunktkonzession für die Kanton-Bucht erzwungen. Die Briten sahen hierin eine Bedrohung der Sicherheit Hong Kongs und rechtfertigten so die Besetzung des Gebietes landeinwärts von Kowloon bis zum Shenzenfluß, die \"New Territories\". Am 9.6.1898 wurde ein Vertrag unterzeichnet, der die Vergrößerung über die New Territories sowie über 235 kleinere Inseln bestätigte. Dadurch wuchs die Landfläche Hong Kongs um das zehnfache an. Doch hier trat ein entscheidender Unterschied zu den vorangegangenen Verträgen auf. Während die früheren Verträge besagten, daß das Land \"auf ewig\" bei Großbritannien verbleiben sollte, sollten die Neuerwerbungen nach 99 Jahren der \"Verpachtung\" an China zurückfallen. Als \"Pacht\" zahlen die Briten bis heute für das gesamte Areal 5.000 HK$. Das sind umgerechnet rund 700 US$. Daher wurden die britisch-chinesischen Verträge auch \"ungleiche\" Verträge genannt, da die Chinesen immer zum Abschluß der Verträge gepreßt wurden und nie eine angemessene Gegenleistung für die Landabgabe erhielten.
1.3.3. Wirtschaftliche Ausbauphase
Diese letzte Vergrößerung war anfangs nur aus militärischen Gründen getätigt worden, später stellte sie sich auch wieder als fördernd für die Wirtschaft heraus. Zuerste wurde die britische Garnison aufgestockt und weit gestaffelte Verteidigungsanlagen errichtet. Die Ereignisse zogen nun auch wieder infrastrukturelle Maßnahmen nach sich. Das Straßennetz wurde erweitert, die medizinische Versorgung verbessert und neue Schulen gebaut. Besonders wichtige öffentliche Projekte waren die Versorgung der Stadt mit Elektrizität (1889), Bau der elektrischen Straßenbahn (1904) und die Eisenbahnverbindung von Hong Kong nach Kanton (1910). Wirtschaftlich hatten diese Maßnahmen weitreichende Konsequenzen. Zwar dienten sie primär nur dazu, die britische Vormachtstellung in Südostasien aufrecht zu erhalten, so brachten sie doch sekundär eine Steigerung der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes. In das vorher sehr wilde Hong Kong hatte nun endlich die Zivilisation Einzug gehalten, wie sie die Händler von England her kannten. Um die Jahrhundertwende erreichte der Zwischenhandel seinen Zenit. Der Zwischenhandel war auch der einzige bedeutende Wirtschaftszweig. Der Industriestandort der Briten in dieser Gegend war Shanghai geworden.
Die nächsten Jahrzehnte verliefen wirtschaftlich gesehen bis auf wenige Ereignisse belanglos. Die Kolonialregierung beschränkte sich weiterhin darauf, nur eine grobe Rahmengesetzgebung zu beschließen, um eine größtmögliche ökonomische Freiheit der Händler zu gewährleisten. Dieser Bestrebung ist auch die Gewerkschaftsgesetzgebung der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts zu verdanken. 1925/26 schwappten Streikwellen von China in die Kolonie. Die dadurch politisch aktiv gewordenen Gewerkschaften wurden umgehend verboten.
1.3.4. Niedergang durch Überbevölkerung
Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zeichnete sich durch die großen Flüchtlingsströme ab. Hong Kong war seit jeher eine Art Druckausgleichsbehälter für China. Alle dort unerwünschten Kräfte konnten nach Hong Kong \"entweichen\". Die Bevölkerungszahl der Kolonie stieg von 1851 bis 1931 von 33.000 bis 879.000. Anfangs rekrutierten sich die Flüchtlinge aus dem anitmonarchistischen Lager. Nach dem Erfolg der Revolution von 1912 und dem Niedergang der Qing-Dynastie kamen große Mengen Monarchisten. Mit diesen Flüchtlingströmen konnte die Kolonie noch fertig werden. Als die Nationalisten die Republik China ausriefen, verließen die Anhänger der Nationalisten die Kolonie, und die Monarchisten kamen. Besonders hart wurde die Kolonie von der japanischen Invasion in China von 1931 getroffen. Nach Besetzung der Mandschurei begann Japan 1937 mit der Besetzung großen Teilen Ostchinas. Auf diese Weise erreichte die Bevölkerungszahl Hong Kongs innerhalb kürzester Zeit circa 1,6 Millionen. Für eine so große Anzahl Menschen gab es nicht genügend Quartiere. Die Flüchtlinge lebten auf den Straßen und die alte Seuchengefahr kehrte zurück. Ebenso erreichte die Kriminalitätsrate wieder Höhen aus den Schmugglertagen der Kolonie. Abgeschreckt durch diese Dinge kehrten manche Händler Hong Kong den Rücken. Der Krieg brachte aber auch Aufträge für die Wirtschaft Hong Kongs. Hauptsächlich kamen Aufträge für kriegswichtige Güter wie zum Beispiel Gasmasken und Uniformen. Dieser Umstand bedeutete den Aufbau einer kleinen industriellen Struktur.
1.3.5. Besetzung durch Japan
Bevor die Kolonie so die Arbeitslosigkeit effektiv senken konnte, begann einen Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbour die Bombardierung Hong Kongs am 8.12.1941. Sie landeten wenig später auf der Insel, hungerten sie aus und konnten bereits am Weihnachtstag 1941 die britische Kapitulation entgegennehmen. Die Japaner maßen der Kolonie wenig wirtschaftliche Bedeutung zu, da der Zwischenhandel mit China über Hong Kong nun faktisch nicht mehr existent war. Während der Besatzungszeit verkam die Kolonie mehr und mehr. Durch Deportationsmaßnahmen verringerten die Besatzer die Bevölkerung auf circa 600.000.
1.4. Nachkriegszeit
1.4.1. Anfängliche Dekolonialisierung
Als die Briten im Mai 1946 Hong Kong wieder in Besitz nahmen, lag die Wirtschaft am Boden. Es wurde Wiederaufbaumaßnahmen eingeleitet. Die Kolonie kehrte zu ihrer Bestimmung als Zwischenhandelshafen zurück. Doch inzwischen war eine erhebliche Liberalisierung in der Regierungspolitik Großbritanniens eingetreten. Im Zuge dieser Politik wurde auch die Entkolonisierung Hong Kongs beschlossen. Die Maßnahmen wurden im Young-Plan benannt nach dem damaligen Gouverneur festgelegt. Als erstes wurde das Gewerkschaftsverbot aufgehoben. Damit nahm auch wieder die durch die Gewerkschaften hervorgerufene Politisierung der Menschen zu. Die Gewerkschaften handelten schon 1946 die erste Tariflöhne aus, deren Erhöhung bereits 1947 in Streiks erkämpft wurde. In der Zeit der Entkolonisierung von 1946 bis 1949 verschlechterte sich so die wirtschaftliche Wettbewerbslage Hong Kongs enorm. Vor allem schreckten Investoren die gestiegenen Lohn- und Lohnnebenkosten ab.
1.4.2 Kapitaltransfer durch Shanghais Industrielle
Eine Wende in diesem Prozeß trat 1949 ein. Erneut erhielt die Kolonie eine große strategische Bedeutung für England. Sie war durch den Bürgerkrieg in China bedingt. Als sich abzeichnete, daß die Kommunisten unter der Führung Mao Tse-tungs gegen die von Chiang Kai-shek geführten Nationalisten gewinnen würden, flohen viele Geschäftsleute vor allem aus Shanghai nach Hong Kong. Dies war ein immenser Glücksfall für die Kolonie. Da andere Länder nach dem Krieg Einreiseverbote für Bürgerkriegsflüchtlinge erlassen hatten, waren die Menschen gezwungen, nach Hong Kong oder Taiwan zu fliehen. Nach Taiwan floh überwiegend die alte Verwaltungsschicht, während Hong Kong zur Anlaufstelle für die Industriellen wurde. Sie bedeuteten einen gewaltigen Kapital- und Know-how-Transfer. So wurden teilweise ganze Fertigungsanlagen der in Shanghai ansässigen Textilindustrie von dort in die Kolonie geschafft. Dies half beim Aufbau eines zweiten wirtschaftlichen Standbeines, das später dringend benötigt wurde.
1.4.3. Wende der britischen Politik wegen Sieg der Kommunisten
Um der Bedrohung der Kronkolonie durch die Kommunisten zu entgehen, setzten die Briten auf eine Rückkehr zum autoritären Führungsstil früherer Tage. Sie sahen in den politisch aktiv gewordenen Gewerkschaften einen möglichen Ansatzpunkt für eine kommunistische Einflußnahme auf ihren Besitz. Also wurde sofort wieder eine sehr einschränkende Gewerkschaftsgesetzgebung erlassen. Auch wurden alle demokratischen Reformen des Young-Planes zurückgenommen. Obwohl es sonst eher schwierig ist, einmal gewährte Rechte zurückzunehmen, gelang es in Hong Kong nahezu reibungslos, da mit dem Sieg der Kommunisten auf dem Festland, die Bewohner der Kolonie eingeschüchtert waren und eine baldige Eingliederung in die VR China befürchteten. Das bedeutete eine erneute Unabhängigkeit der Kolonialregierung von irgendwelchen Interessengruppen. Ferner wurde so die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, da nun wieder die Gesetze des Marktes herrschten.
1.4.4 Stabilität wird zum entscheidenden Standortvorteil
In den folgenden Jahren profitierte die Kolonie wirtschaftlich von der Instabilität einiger Mächte im südostasiatischen Raum. Es begann mit dem Ausbruch des Koreakrieges. Die Vereinten Nationen erließen ein weitreichendes Handelsembargo über das Nordkorea unterstützende China. Das war das Ende des Zwischenhandelshafen Hong Kong und der Beginn des Industriestandortes. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich die Flexibilität des Standortes Hong Kong. Die Unternehmer wurden gezwungen, sich durch den scheinbar dauerhaften Wegfall des Chinahandels neu zu orientieren. Da die Kolonie selbst nicht über exportierbare Rohstoffe verfügt und kein besonderes technologisches Know-how besaß, aber mit enormen Flüchtlingsströmen \"gesegnet\" war, lag es nahe, eine arbeitsintensive Industrie aufzuziehen. Die Textilindustrie eignete sich besonders für dieses Vorhaben. Zum einen ist sie sehr arbeitsintensiv und erfordert wenig Qualifikation der Arbeiter, zum anderen gab es schon viele Unternehmer aus Shanghai, die über das Wissen und oft schon über die Maschinen verfügten, eine Produktion von Textilwaren aufzubauen. Hong Kong profitierte außerdem von der Angst vieler Investoren im südostasiatischen Raum. In Malaysia, Indochina und Indonesien gab es starke kommunistische Parteien. Aus Angst, daß diese an die Macht kommen könnten, verlagerten auch viele ausländische Investoren ihre Aktivitäten in dem Wirtschaftsraum nach Hong Kong. Dadurch war auch auf lange Sicht genügend Investitionskapital vorhanden. Hier liegt auch der Ursprung des Finanzzentrums Hong Kong. Durch die Ansiedlung der Industrie wurde das Flüchtlingsproblem merklich abgeschwächt.
1.4.5. Maßnahmen der Regierung
Um der Kolonie beim wirtschaftlichen Aufschwung zu helfen, wurden wieder viele Projekte in Angriff genommen, die die Infrastruktur verbessern sollten. So wurde in den 50er Jahren der Flughafen Kai Tak ausgebaut. Auf Kowloon wurden Wasserreservoirs eingerichtet, um den Wasserbedarf der Textilindustrie zu decken.
Da 1949 die Stärke der Gewerkschaften durch die strenge Gesetzgebung weit gesenkt wurde, legte nun der Markt die Preise für Arbeitskraft fest. Aufgrund der anhaltenden Flüchtlingsströme aus China war das Angebot sehr groß. Die Löhne wurden von den Unternehmern über lange Zeit auf einem niedrigen Niveau gehalten. Die Löhne sanken sogar wieder während der Zeit der Ölkrise in den 70ern. Daher traf die Kolonie diese Krise auch nicht so stark wie andere Länder mit starken Gewerkschaften. Das heißt nicht, daß Hong Kong streikfrei ist. Doch in der Gewerkschaftsgesetzgebung von 1949 wurde festgelegt, daß die Regierung an allen Tarifstreitigkeiten teilnehmen muß. Sie konnte sogar ein für beide Parteien bindendes Schiedsverfahren anordnen.
1.4.6. Chinas Hong Kong - Politik von 1949 bis 1982
Die politische Schwäche der Gewerkschaften ist erstaunlich, da es China ein leichtes gewesen wäre mit Drohungen eine Lockerung der Gesetze zu erwirken. Doch es kam nie so weit, da das System auch für China seine Vorteile hatte. In den 50ern ließ sich in der Kolonie das Embargo durch Schmuggel umgehen. Später vor allem nach dem Bruch mit Moskau war Hong Kong eine Chance, aus der wirtschaftlichen Isolation herauszukommen. Nach der von Deng Xiao-ping eingeleiteten \"Politik der offenen Tür\" begann der chinesische Staat sich aktiv in Hong Kong zu engagieren. Hauptsächlich über die schon etablierte \"Bank of China\" sowie über staatseigene Investmentgesellschaften. Diese Beziehungen der Kolonie zwischen China und Hong Kong führten zu einer Art Stillhalteabkommen. Großbritannien hielt sich aus der chinesischen Politik heraus und würde im Falle einer Einnahme Hong Kongs stillhalten, China verzichtete dafür auf eine unangekündigte Intervention und auf die Mobilisierung der Industriearbeiterschaft.
1.5. Hong Kong wird zum High - Tech Standort
Die Bildungsmaßnahmen haben bewirkt, daß die Struktur der Industrie sich auf Bereiche verlagern konnte, für die eine größere Qualifikation nötig ist und die ohne riesigen Maschinenpark auskommen. Auf diese Weise wurde Hong Kong Anfang der 80er zum Produktionsstandort für elektronische Waren wie Computer, Halbleiterchips und Digitaluhren. Auf diese Entwicklung wurde von der Regierung aktiv hingearbeitet. Da sie die Vergabe von Grundstücken kontrollierte, erhielten anfangs Betriebe der Petrochemie besondere Konditionen. So wurde die Basis für eine Plastikproduktion gelegt. Das Öl konnte direkt aus dem südostasiatischen Raum importiert werden. Hong Kong wurde zu einem der größten Exporteure von Plastikspielzeug.
1.5.1. Infrastrukturasbau und Schaffung sozialer Mindeststandards durch die Regierung
Die Veränderung hin zu technologieintensiveren Industriestrukturen war wegen der Erhöhung des Lohnniveaus nötig geworden. In den 70ern hielt der Sozialstaat in gewissem Umfang Einzug. Die Ereignisse der Kulturrevolution hatten die Regierung der Kolonie aufgeschreckt. Mit den folgenden Maßnahmen sollte die Lage entschärft werden, da es auch in Hong Kong zu Unruhen gekommen war. Sie ebbten sehr schnell ab, als klar wurde, daß die chinesische Führung noch nicht die Absicht hatte, die Kolonie einzugliedern. Es folgten keine direkten Forderungen nach sozialer Absicherung, aber man wollte einer Wiederholung vorbeugen. Deshalb wurde 1971 ein neues Wohnungsbauprogramm eingeleitet. Seit 1971 ist auch die schulische Grundausbildung kostenlos. 1981 wurde das gesamte Bildungswesen kostenfrei. Um den Bildungsstand effektiv zu erhöhen, initiierte die Regierung den Bau von weiteren Schulen und Universitäten. So wurden neben den zwei schon existierenden Universitäten noch zwei Fachhochschulen gebaut. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen, die auf eine Verbesserung der Infrastruktur abzielten, gab es auch Eingriffe in die Wirtschaft. Im Rahmen der Sozialgesetzgebung wurde die 48-Stundenwoche (vorher 60) festgesetzt, sieben bezahlte Urlaubstage pro Jahr eingeführt, Sicherheitsstandards für Arbeitsplätze beschlossen und es wurde ein Kündigungsschutz bestimmt. Die soziale Absicherung der Arbeiter ging auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit. Doch dank der Bildungspolitik hatte sich die Kolonie diesmal einen entscheidenden Standortfaktor aufgebaut.
1.5.2. Konkurrenz zu Sonderwirtschaftszonen und Abwanderung der arbeitsintensiven Industrien
Als dann Ende der 70er die Sonderwirtschaftszonen eingerichtet wurden, stand nun ein sehr viel billigerer Produktionsstandort zur Verfügung. Auf diese Art und Weise kam es, daß sich die Textilindustrie mehr und mehr in die benachbarte Wirtschaftssonderzone Shenzen verlagerte. Hong Kong vollzog die gleiche Verlagerung der Sektoren wie alle modernen Industrieländer. Landwirtschaft gab es in der Kolonie nur im geringstem Maße, so daß deren Anteil kaum weiter sinken konnte. Im sekundären Sektor trat eine Verlagerung von arbeitsintensiven dafür aber keine hohe Qualifikation erfordernden Produktionsabläufe in Gebiete mit niedrigeren Lohnkosten. Die Betriebe, die eine moderne Infrastruktur sowie auf Technologie angewiesen waren blieben in Hong Kong. Dafür stieg der Anteil des Dienstleistungssektors was sich mit der erneuten Rückkehr zum Zwischenhandelshafen abzeichnete.
1.5.3. Wiederaufleben des Zwischenhandels und Entwicklung zum Dientsleitungszentrum
Mit der \"Politik der offenen Tür\" trat die VR China wieder als wichtigster Handelspartner der Kolonie auf den Plan. Um dieser Funktion wieder gerecht zu werden, wurde sofort mit dem Bau eines modernen Containerterminals begonnen, der 1976 fertiggestellt wurde. Er war über 5 Jahre hinweg der größte Containerhafen der Welt. Vorher war der Hafen nur schlecht ausgebaut. Lange Zeit war er sogar nur das Naturbecken aus Gründertagen geblieben und die Schiffe mußten mit Hilfe von Leichtern gelöscht werden. Der Trend hin zum Handelshafen und Dienstleistungsstandort wird sich wohl aus den oben genannten Gründen weiter vollziehen. Ein Schritt in diese Richtung wurde auch mit der Planung bzw. Bau des 127 Milliarden HK$ teuren Flughafens auf der Insel Chek Lap Kok getan.
Um ihn errichten zu können, wurde die Insel eingeebnet und das Meer rund um die Insel aufgefüllt. Die neu entstandene Fläche ist circa 4mal so groß wie die eigentliche Insel Chek Lap Kok. Der Flughafenbau zieht auch weitere Mammutprojekte nach sich. So soll der Flughafen über eine rund 2,3 km lange zweistöckige Brücke mit der Insel Hong Kong verbunden werden. Dieses Projekt wurde zum Zankapfel zwischen China und Großbritannien. Die chinesische Regierung fühlte sich bei der Entscheidung übergangen. Sie befürchtete, daß die Finanzierung nach Übergabe der Kolonie zum Milliardengrab ähnlich wie der Kanaltunnel, der Frankreich mit Großbritannien verbindet, wird. Nach langen Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern kam man zu der Übereinkunft, daß der Bau von China gebilligt wird, die Briten versprachen im Gegenzug, eine \"eiserne\" Reserve von 25 Milliarden HK$ in der Staatskasse der Kolonie zu hinterlassen.
Chek Lap Kok:
Zeichnung des im Bau befindlichen Flughafens Chek Lap Kok.
Der Flughafen soll bis 1998 fertiggestellt sein. Er ist das ergeizigste Bau-projekt der Welt. Beim Bau wurde das Areal der Insel um das vierfache durch Aufschüttungsmaßnahmen vergrößert. Die Verkehrsanbindung erfolgt über ein 2,3 km lange zweistöckige Brücke, die sogar die Golden Gate Bridge an Länge übertreffen wird.
Hong Kong entwickelte sich in den 80er Jahren rasant vom Billiglohnland zum modernen Wirtschaftsstandort mit den selben Merkmalen wie andere westliche Industrieländer. Obwohl das Lohnniveau gestiegen ist, hat Hong Kong im Vergleich zu anderen Industrienationen noch extrem niedrige Lohnkosten gerade im Bereich der qualifizierten Arbeitsplätze. Allgemein wird die Kronkolonie als \"Newly Industrialized Country\" (NIC) bezeichnet.
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