Über Siggi erfahren wir im Grunde nur aus seiner Selbstdarstellung etwas über ihn. Doch auch die Diplomarbeit des angehenden Psychologen Mackenroth über Siggi ist bei dessen Charakterisierung hilfreich.
In der Selbstdarstellung der Binnenerzählung ist Siggi neun Jahre alt. Er gerät in mehrfachen Konflikt, so soll er einerseits seinen Eltern gehorchen und gegen den Maler und seine Geschwister integrieren, doch diese stehen ihm näher als seine eigenen Eltern und aus diesem Grund hilft er Nansen, seine künstlerische Freiheit behalten zu können und rettet Klaas das Leben. Das bedeutet natürlich einen ungeheuren Druck für ihn, da er gezwungen ist, seine Eltern zu hintergehen.
Siggi muss tagtäglich mit der Angst leben, von seinem Vater bei seinen illegalen Aktionen entdeckt zu werden, da dieser die Gabe des Zweiten Gesichts hat und Siggi denkt, dass er dadurch das Verborgene entdecken könne. Aus diesem Grund kann er nicht richtig auf die Wirklichkeit reagieren , bekommt Halluzinationen und wird so zu seinen Zwangshandlungen verleitet. Seine erste Wahnvorstellung zeigt sich, als die alte Mühle, das Versteck seiner Bilder, abbrennt: "Ich war auf einmal allein, schloß die Augen, spürte nichts, als einen immer schneller klopfenden Schmerz, ein Drängen, ein Stoßen, [...] ich wehrte mich gegen den Zwang, der immer spürbarer wurde..." . Anfangs wehrt er sich gegen den Zwang, dann aber muss er ihm nachgeben und stürzt sich in die brennende Mühle, um seine Bilder zu retten. Nansen bringt ihn zu sich und legt in ins Bett, wo die Visionen und die Angst Siggi wieder einholen: "Da war das Bild. Da war die kleine offene Flamme. Da war die Furcht. [...] ich mußte einfach das Bild herunternehmen, mußte es umdrehen, den Papprücken lösen [...]. Wo waren sie sicher ? Unter dem Kopfkissen ? Im Schrank ?" . Ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich die krankhafte Vorstellung, Nansens Bilder vor der Flamme retten zu müssen.
In der Rahmenerzählung ist Siggi 21 Jahre alt und versucht, die Erlebnisse aus seiner Kindheit zu verarbeiten, was ihm aber nicht gelingt. Er erkennt, dass "Zeit nichts, aber auch gar nichts heilt.[...] Scheitern an Rugbüll ? Vielleicht kann man es so nennen."
Die Anstalt ist bei seiner Selbstfindung auch keine Hilfe, da nicht anerkannt wird, dass Siggi aus seelischen Problemen so handelte, die Gründe für die Diebstähle werden nicht erkannt. Erst wenn er sich dem Willen der Autoritätspersonen beugt, gilt er als geheilt. Siggi wirkt heimatlos und ohne Orientierung, als er von seiner bevorstehenden Entlassung erfährt. "Was soll ich tun, wenn sie mich entlassen, wo ein Versteck für mich suchen ? Klaas ist fort, und Hilke ist fort- kann ich da noch nach Rugbüll zurückgehn ? Aber selbst wenn ich in Hamburg bleibe: bin ich dann schon Rugbüll entkommen ?" Ich denke, dass sich Siggi selbst als Opfer sieht, dass er stellvertretend für seine verbohrten Eltern eine Haftstrafe absitzt. Er ist also ein Opfer der Ungerechtigkeit, die nicht die wahren Täter zur Rechenschaft zieht, also die Erwachsenen, sondern die Kinder, die eigentlichen Unschuldigen.
Mackenroth gibt dem Leser durch seine Diplomarbeit eine andere Sicht der Dinge. Siggis frühe Kindheit scheint ohne Probleme verlaufen zu sein . Laut Mackenroth war Siggi ein "bescheidenes, still-vergnügtes und unauffälliges Kind" , das seine Eltern liebte. Allerdings wird diese Idylle durch "krankhaftes Reinheitsbedürfnis" , "agressiv künstlerischer Sinn" oder seinem "Willen zum Einzelgängertum" wieder aufgehoben. Dieses wird aber nicht durch Beispiele veranschaulicht.
Mackenroth stellt Siggi als einen Jungen dar, der gerne zur Schule ging, allerdings interpretiert er dies nicht weiter. Ich denke, dass die Schule für Siggi eine Art Ausgleich zum Elternhaus war, er in den Lehrern sozusagen seine Ersatzeltern sah.
Im weiteren Verlauf seiner Arbeit geht der Psychologe auch auf den "Zwiespalt" , in dem Siggi sich befindet; dabei rücken vor allem die Dinge in den Vordergrund, die dazu führen, dass Nansen und Jepsen zu Feinden werden. Siggi gerät zwischen die Fronten, da einerseits sein Vater ihn dazu verpflichtet, bei der Überwachung Nansens mitzumachen, und andererseits Nansen ihn bittet, die Bilder vor Jepsen zu retten. Mit diesem Vorgang beginnt laut Mackenroth die kritische Phase in Siggis Entwicklung. Siggis Sammelleidenschaft der Reiterbilder erklärt er als "Ausdruck einer unbewußten Rivalität gegenüber dem Maler" , er geht aber nicht darauf ein, so dass diese These ziemlich unklar bleibt. Siggi soll schon recht früh einen Sinn für die "Notwendigkeiten der Zeit" gezeigt haben, also eine Art politisches Bewusstsein. Auch wird erwähnt, dass Siggi ohne Liebe aufwachsen musste: "Allein, ohne Liebe, in einer Zeit, in der es keine sicheren menschlichen Werte mehr gab, [...] wuchs der Junge heran..."
Mackenroth hebt heraus, dass sowohl Jepsen als auch Siggi ein Opfer ihrer Zwangsvorstellung gewesen sind, eine indirekte Rechtfertigung für den Vater also.
Siggis Zwang, die Bilder an sich nehmen zu müssen, erklärt er folgendermaßen: "Im Falle der entwendeteten Bilder [...] fehlt ein klares Rechtsbewußtsein; Siggi nahm für sich sogar eine gewisse Prädestination in Anspruch, indem er darauf verwies, daß er ausgesucht sei, "Bedrohtes zu sammeln".
Siggi ist mit der Arbeit nicht einverstanden, was an seinem Ausspruch "ich brauche alles, nur keine mildernden Umstände.[...] Was ich erwartete, war die Beschreibung einer Krankheit und keine mühsame Rechtfertigung". deutlich wird.
Der Leser kann nicht entscheiden, welche Analyse Siggis Charakter mehr entspricht - seine Selbstdarstellung oder die Diplomarbeit, da hier jeweils nur die subjektive Sichtweise dargelegt ist. Doch es fällt schon auf, dass Mackenroth die Welt der Erwachsenen in seiner Suche nach den Gründen für Siggis Fehlverhalten nicht berücksichtigt. So erklärt er die fehlende Liebe mit der Kriegssituation und obwohl er Jepsen als Opfer seiner Zwangsvorstellungen sieht, verlangt er nicht nach Einweisung in eine Klinik.
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