Ein Roman des deutschen Schriftstellers Bernhard Schlink macht weltweit Furore die Filmrechte wurden nach Hollywood verkauft.
Vor vier Jahren hatte der Jurist Bernhard Schlink eine sonderbare Idee: Er wollte, daß sein gerade abgeschlossener Roman \"Der Vorleser\" zuerst in den USA erscheint, und zu diesem Zweck ließ er sogar auf eigene Kosten eine englische Übersetzung anfertigen. So, glaubte er, wäre auch die Aufmerksamkeit der amerikanischen Filmstudios am leichtesten zu erregen.
Der Schweizer Verleger Daniel Keel, bei dem Schlink, heute 54, zuvor schon drei erfolgreiche Kriminalromane (zuletzt \"Selbs Betrug\") publiziert hatte, konnte ihm die Idee ausreden: Das Literaturwerk des in der Nähe von Bielefeld geborenen und in Heidelberg aufgewachsenen Autors erschien 1995 ganz gewöhnlich in der Sprache, in der es geschrieben war, nämlich auf deutsch. Und der Diogenes-Verlag rang dem zögerlichen Schlink auch die Filmrechte ab mit dem Versprechen, einen Hollywood-Produzenten bei eventueller Nachfrage zu bevorzugen.
Daran glaubte damals im Ernst niemand. Als Autor war Schlink lediglich Krimifreunden ein Begriff, und sein Roman \"Der Vorleser\" war alles andere als leichte Kost (SPIEGEL 47/1995): Das heikle Thema Auschwitz wird darin mit einer gewagten Liebesgeschichte gekoppelt und zudem aus ungewohnter Perspektive erzählt.
Auch das war im übrigen ein Grund, warum der vielbeschäftigte Jurist, den es zur Literatur zog (\"Es fehlte einfach noch etwas in meinem Leben\"), sein Buch lieber zunächst im Ausland publiziert hätte. Schlink fürchtete, in Deutschland falsch verstanden zu werden.
Sein Held Michael Berg, Jurist wie der Autor, ist als Schüler von einer älteren Frau in die Liebe eingeführt worden: \"Vorlesen, duschen, lieben und noch ein bißchen beieinanderliegen das wurde das Ritual unserer Treffen.\" Das war Mitte der fünfziger Jahre in einer deutschen Kleinstadt. Viel später, zur Zeit der Auschwitz-Prozesse, trifft er seine Hanna im Gerichtssaal wieder: als Angeklagte und schwerer Verbrechen Beschuldigte.
Der Clou des Romans besteht nicht nur in der konsequent eingehaltenen Erzählperspektive des Nachgeborenen, sondern auch in ihrer Gebrochenheit: Der Student Berg hat sich zeitgemäß mit den Kommilitonen der \"Aufarbeitung der Vergangenheit\" verschrieben und kann doch die einstige KZ-Aufseherin und frühere Geliebte nicht ohne Mitgefühl betrachten die Anklagerituale der eigenen Gruppe und Generation kommen ihm plötzlich schal vor: Das blendend erzählte Buch ist Liebesgeschichte und Traktat über den Holocaust und seine moralischen Folgen gleichermaßen. \"Wir müssen unsere Biographien immer wieder neu schreiben\", sagte Schlink nach Erscheinen des Romans, \"um uns dessen zu vergewissern, wer und wo wir sind. Das heißt, wir müssen durch die Vergangenheit immer wieder durch.\"
Als \"political incorrect\" stufte der Autor sein Werk selbst ein. Doch es kam weder zu Protesten noch zu dem vom Autor weit mehr befürchteten Zuspruch von falscher Seite. Die Reaktionen waren im Gegenteil einhellig positiv: Die deutsche Literaturkritik zeigte sich für ihre Verhältnisse von dem flüssigen Erzählwerk äußerst angetan, das Buch wurde von begeisterten Lesern weiterempfohlen inzwischen ist es sogar Schullektüre.
Auch international hat \"Der Vorleser\" eine beachtliche Karriere gemacht, zu vergleichen mit jener der deutschen Romane \"Die Blechtrommel\" (1959) von Grass und \"Das Parfum\" (1985) von Patrick Süskind. Der Schweizer Verlag verkaufte bisher rund eine halbe Million Exemplare des Schlink-Werks, das Buch wurde in 25 Sprachen übersetzt und war in Frankreich (200 000 verkaufte Exemplare) und Großbritannien (100 000) Bestseller.
Nun ist auch Amerika im \"Vorleser\"-Fieber: \"The Reader\" (so der angelsächsische Titel) führt derzeit die Bestsellerliste der \"New York Times\" an. Schon im Herbst 1997, als der Roman mit bescheidener Startauflage in Amerika herauskam, hatte ihn das US-Blatt mit hymnischen Kritiken begrüßt. \"Gerade in dem Moment, wo alles über Deutschland und den Krieg gesagt zu sein scheint, kommt dieses fesselnde, philosophisch elegante und moralisch komplexe Buch von Bernhard Schlink\", schrieb die \"New York Times\". Am Ende sei der Leser bewegt und verstört, erschüttert und irritiert und vor allem \"mächtig angesprochen von einer Erzählung, die das Gewicht der Wahrheit auf ihren Schultern trägt\".
Andere amerikanische Zeitungen waren ebenso begeistert, das anspruchsvolle Magazin \"New York Review of Books\" begann seine umfangreiche Rezension des 200-Seiten-Werks mit den Worten: \"Nur selten vermag ein Roman von diesem bescheidenen Umfang solche Anforderungen an seine Leser zu stellen.\"
Auch Hollywood hat sich gemeldet und, wie versprochen, den Zuschlag erhalten. Schon vor knapp einem Jahr wurden die Verträge mit dem Erfolgsstudio Miramax (\"Shakespeare in Love\") unterschrieben. Die Verhandlungen hatte der Verlegersohn und Filmstudent Philipp Keel, 30, in aller Ruhe führen können dem Verlag lagen jede Menge Angebote auf dem Tisch: 34 Anfragen allein aus den USA, außerdem 21 aus Deutschland und noch einmal rund 30 aus dem übrigen Europa. Als Regisseur ist derweil Oscar-Preisträger Anthony Minghella (\"Der englische Patient\") im Gespräch, doch hält Daniel Keel, 68, auch eine andere Lösung, etwa mit europäischer Beteiligung, für möglich.
Als hätte sich der kühne Traum des Autors Schlink damit nicht schon mehr als erfüllt, wurde Ende Februar im amerikanischen Fernsehen noch der triumphale I-Punkt auf die Erfolgsstory gesetzt: In der Kultsendung \"Oprah\'s Book Club\" wurde \"The Reader\" als Tip des Monats vorgestellt als erstes europäisches Werk überhaupt. Eine TV-Empfehlung von Talkmasterin Oprah Winfrey stellt selbst den begeistertsten \"Quartett\"-Tip von Marcel Reich-Ranicki weit in den Schatten: Der US-Verlag legte sofort 600 000 Paperbacks vom \"Reader\" auf und erhöhte die amerikanische Gesamtauflage des Romans damit auf rund eine dreiviertel Million. Am Dienstag dieser Woche wird Schlink zudem in Winfreys Talkshow zu Gast sein.
Derweil wartet der Schweizer Verlag ungeduldig auf das seit längerem angekündigte neue Buchmanuskript mit Liebesgeschichten von Schlink der Band sollte ursprünglich im kommenden Herbst erscheinen. Doch der Autor, der im Hauptberuf als Juraprofessor an der Berliner Humboldt-Universität arbeitet und nebenbei auch noch als Verfassungsrichter in Nordrhein-Westfalen tätig ist, zögert die Abgabe immer wieder hinaus.
So einfach wie im Sommer 1986, als Schlinks literarische Laufbahn mit einem Brief an den Diogenes-Verlag (\"Sehr geehrte Damen und Herren\") begann, ist die Sache nicht mehr. Damals schickte der völlig unbekannte Autor einen Krimi mit dem Privatdetektiv Gerhard Selb als Helden nach Zürich und Verleger Keel freut sich immer noch darüber, die Qualität des Manuskripts sofort erkannt zu haben. Der erste Satz darin lautete: \"Am Anfang habe ich ihn beneidet.\" Jetzt besteht erst recht Anlaß dazu.
VOLKER HAGE
In Bernhard Schlinks 1995 erschienenem, vielschichtigen Roman (der sich, um nur einige Aspekte zu nennen, als Pubertäts- oder Entwicklungsroman, als Doppelbiographie oder Essay über die Schwierigkeiten der Nachgeborenen mit dem Verstehen und Beurteilen der NS-Verbrechen lesen läßt) steht die Beziehung des Ich-Erzählers zu einer Frau im Mittelpunkt - zu einer Hanna Schmitz, die im Verlauf der Handlung für ihre Taten in der NS-Zeit vor Gericht gestellt wird.
Die vorliegenden Kapitel lassen sich auch ohne die Kenntnis der komplexen Handlung verstehen. Der Ich-Erzähler berichtet von zwei Versuchen, sich auf den Weg zu machen, um durch den Besuch authentischer Stätten, genauer gesagt, des ehemaligen KZ Struthof-Natzweiler im Elsaß, Hannas Verbrechen verstehen und schließlich be- und verurteilen zu können. Er möchte die \"Klischees mit der Wirklichkeit austreiben\". Seine Bemühungen mißlingen allerdings gründlich, sie münden in die Erfahrung einer \"großen Leere\". Kurze Episoden im Umfeld der beiden KZ-Besuche thematisieren die Entschuldigungsversuche der Täter-Generation bzw. die anschließende emotionale Krise des Erzählers.
Der Textausschnitt fordert dazu heraus, eigene Erfahrungen mit denen des Ich-Erzählers zu vergleichen und zu den angesprochenen Problemen Position zu beziehen. Dies könnte ein sicherlich anstrengender und irritierender Impuls dafür sein, eigene Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung der NS-Zeit anzusprechen bzw. ansatzweise zu klären. Eigene Erlebnisse, z.B. ein KZ-Besuch, müssen also bei den Schülern bereits vorliegen, um sich mit Schlinks Text auseinandersetzen zu können.
Mögliche Arbeitsaufgaben/Impulse für den Unterricht/Schreibaufträge (Essay, Erörterung)
. Stellen Sie die thesenhaft vorgebrachten Selbstbeschreibungen, Absichten und Erfahrungen des Ich-Erzählers aus dem Text zusammen und nehmen Sie aus eigener Sicht dazu Stellung!
. (Alternative: Wählen Sie aus den thesenhaft vorgebrachten Selbstbeschreibungen, Absichten und Erfahrungen des Ich-Erzählers die Aussage aus, die Ihnen besonders zusagt, und nehmen Sie aus eigener Sicht dazu Stellung!)
. Erläutern Sie die Position des Autofahrers zur Frage \"Warum Menschen so furchtbare Sachen machen können\"! Kennzeichnen Sie kurz die Reaktion des Ich-Erzählers und nehmen Sie aus eigener Sicht dazu Stellung!
. Arbeiten Sie die Absichten und Erfahrungen des Ich-Erzählers heraus! Achten Sie dabei auf die sprachliche Gestaltung!
Sie ist reizbar, rätselhaft und viel älter als er ... und sie wird seine erste Leidenschaft. Eines Tages ist sie spurlos verschwunden. Erst Jahre später sieht er sie wieder - als Angeklagte im Gerichtssaal. Die fast kriminalistische Erforschung einer sonderbaren Liebe und bedrängenden Vergangenheit.
»Dieses Buch sollte man sich nicht entgehen lassen, weil es in der deutschen Literatur unserer Tage hohen Seltenheitswert besitzt.« Tilman Krause, der Tagesspiegel, Berlin
»Der beklemmende Roman einer grausamen Liebe. Ein Roman von solcher Sogkraft, daß man ihn, einmal begonnen, nicht aus der Hand legen wird.« Hannes Hintermeier, Abendzeitung, München
»Ein Roman von bestechender Aufrichtigkeit. Was für ein Glück, daß dieses Buch geschrieben wurde!« Raz\'nerMoritz1DieWeltwoche,Zürt\'ch
»Ein literarisches Ereignis.« Der Spiegel, Hamburg
»Ein wunderbares Buch.« Le Monde, Paris
Bernhard Schlinks Roman Der Vorleser wurde in I3 Sprachen übersetzt und avancierte zum internationalen Bestseller.
Dies ist ein ungewöhnliches Buch aus dem Umfeld der Schrecken des Dritten Reiches. Erzählt wird auf kaum mehr als 200 Seiten die Geschichte einer Täterin, einer Frau, die als Aufseherin in einem KZ tief in das Verbrechen der Nationalsozialisten verwickelt war. Dennoch wird nicht aus dem Leben einer Bestie erzählt, sondern - und das ist die Zumutung dieses Buches - aus dem Leben eines Menschen.
Das Buch berichtet davon, daß jemand seine eigene Schuld akzeptiert und versucht, ihr in seinem Leben Rechnung zu tragen. Es ist genau der Fall, nach dem man in den realen Täterbiographien von NS-Tätern bislang immer vergebens gesucht hat, die Geschichte eines einsichtigen, seine Schuld erfahrenden Nazis.
Damit ist aber allenfalls der thematische Rahmen abgesteckt, in dem sich das kleine, sehr präzise und kühl geschriebene Buch bewegt. Es beginnt ganz anders. Nichts deutet auf die tragische Dimension der erzählten Geschichte hin. Über 80 Seiten erzählt das Buch einfühlsam die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen einem 16jährigen Jungen und einer gut 12 Jahre älteren Frau. Diese Geschichte, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit um 1950 spielt, wird als ein Balanceakt geschildert, ein gewagtes, ein waghalsiges Glück, über dem von Anfang an der Zauber eines Rätsels liegt. Voller Unschuld wird hier gekonnt und ohne Voyeurismus das sexuelle Erwachen eines Jungen geschildert, der einer vollkommen unverklemmten, seltsamerweise allein lebenden Frau begegnet, die seine Liebe ebenfalls als großes Glück erlebt. Doch die Geschichte der Liebe bricht nach 70 Seiten genau so unverhofft ab, wie sie begann. Die Hauptheldin verschwindet, ohne daß man erkennen könnte, warum.
Ein zweiter Teil des Buches erzählt chronologisch den weiteren Fortgang der Lebensgeschichte des Jungen. Er studiert Jura bei einem Professor, der die NS-Prozesse der 60er Jahre juristisch beobachtet, und findet als junger Referendar und Prozeßbeobachter die Frau, die so unverhofft aus seinem Leben verschwand, plötzlich als NS-Täterin auf der Anklagebank wieder. Sie wird angeklagt, auf bestialische Weise noch in den letzten Kriegsmonaten an der Ermordung von KZ-Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Die Begegnung ist ein tiefer Schock für den jungen Juristen, der die Frau wiedersieht, die er geliebt hat und die er angesichts der Anklage nicht mehr lieben will. Anders als die anderen auf der Anklagebank sucht die Angeklagte ihr Heil jedoch nicht in Lügen und Beteuerungen der eigenen Unschuld. Sie stellt sich den Fakten, die sie belasten, erwähnt aber auch, was für sie spricht.
Ein ergreifender Teil der Liebesgeschichte des Beginns war auch das Glück des Vorlesens, denn diese Frau war, was sowohl ihrem Freund als auch dem Leser nur langsam dämmert, Analphabetin. Nach und nach enthüllt sich eine unglaubliche in der ersten Geschichte versteckte zweite Geschichte, die den tragischen Lebenslauf der Angeklagten plötzlich in einem anderen Licht sehen läßt. Der juristische Beobachter und mit ihm der Leser weiß, daß die Angeklagte ein wichtiges Dokument, das zu ihrer Verurteilung zu lebenslanger Haft führt, nicht gelesen und erst recht nicht geschrieben haben kann, wie ihre Mitangeklagten behaupten. Dennoch akzeptiert sie wortlos ihr Urteil - und damit moralisch die Schuld, die juristisch gar nicht zu sühnen ist. Im dritten Teil des Buches wird erzählt, wie der Erzähler nach Jahren wieder mit der Frau, nun Gefängnisinsassin, Kontakt aufnimmt. Über Jahre hinweg sendet er ihr Tonbandmitschnitte ins Gefängnis, auf denen er ihr - so wie er es in der glücklichen Periode tat - Bücher vorliest. Er knüpft ein Band wieder an, das zerrissen war. Nach vielen Jahren endlich erhält er eine handgeschriebene Karte, in der die Frau sich bedankt und erstaunlich einfühlsame Kommentare zum Gelesenen abgibt. Es wird sichtbar, daß sie im Gefängnis lesen gelernt hat.
Das Buch ist weder in seiner Tragik noch in seiner berührenden Tiefe beschreibbar. Die Täterin wird als Opfer geschildert. Das macht die außergewöhnliche Zumutung des Buches aus. Anders, als es hier vielleicht erscheinen mag, wirkt das Buch beim Lesen überhaupt nicht erfunden, im Gegenteil, es weckt mit jeder Zeile die Frage nach der Authentizität der erzählten Geschichte, ohne sie allerdings zu beantworten. Das Buch wirkt wie eine Dokumentation, wie die um äußerste Präzision bemühte Rekonstruktion einer Lebensgeschichte. Nirgends zielt es auf sentimentale Rührung. Es ist fast nicht zu glauben, wie dieses Buch es versteht, seine Geschichte über 50 Jahre nach dem wirklichen Geschehen in dieser Dringlichkeit zu erzählen. (tp)
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