Marie: Sie ist zeitlebens verbittert, einerseits, weil sie immer geschlagen wird, obwohl sie versucht, alles richtig zu machen, andererseits, weil sie im Schatten ihrer größeren Schwester steht, die immer das bekommt, was sie will, die viel hübscher ist als sie selbst und daher ziemlich viele Verehrer hat. Im Gegensatz dazu hat Marie nur einen Verehrer, nämlich den Friedl, mit dem sie allerdings nicht wirklich viel anfangen kann, und den sie mehr oder weniger nur heiratet, um es ihrer Familie mit einem Skandal heimzuzahlen und um von zuhause wegzukommen.
Sie will in der Stadt ein neues Leben beginnen, spart soviel sie kann und will Kontakt mit Diplomaten und Doktoren aufnehmen, damit Vera in bessere Kreise kommt. Obwohl am Ende eines Monats nie viel Geld übrig bleibt, sind sie und ihre Tochter stets in den teuersten Stoffen gekleidet und überhaupt tut sie alles dafür, dass Vera es einmal besser haben wird als sie es je hatte.
Dadurch, dass sie als Kind und Jugendliche nie Liebe erfahren hat, schreit sie in der Ehe mit Friedl förmlich danach, doch sie hat überhaupt keine Vorstellung davon. Friedl tut sein Bestes, um ihr auf irgendeine Weise Liebe zu vermitteln, sei es auf körperlichem Weg oder auf seelischem, doch nach Jahren der Zurückweisung gibt er endgültig auf und die beiden leben gleichgültig nebeneinander her und warten im Prinzip nur mehr auf das Ende.
So kommt es, dass Marie nur noch für Vera lebt und sie ihr Ein und Alles ist; damit sie bei ihr bleibt, erpresst sie sogar ihre Tochter und zwar mit Liebe, denn sie weiß, wie abhängig Vera davon ist. Deswegen hat sie sie mehr oder weniger in ihrer Hand und kann sich darauf verlassen, niemals von Vera getrennt zu sein.
Marie ist ein sehr besitzergreifendes Wesen, das unbedingt gut dastehen möchte. Sie will allen, die nicht an sie geglaubt haben, und sogar auch denen, die keine Rolle in ihrem Leben spielen, zeigen, dass sie es zu "etwas" gebracht hat, dass sie sich selbst aus dem Sumpf ihres Unglück hinausmanövriert hat und nun ein scheinbar glückliches Bilderbuchfamilienleben führt, um welches man sie gefälligst beneiden soll. Dass dies alles nur Fassade ist, lässt sie sich nach außen hin in keiner Weise anmerken.
Vera: Die Tochter von Marie versucht einerseits, seitdem sie denken kann, ihrer Mutter alles recht zu machen und tapfer zu sein, andererseits rebelliert sie, wenn auch meist nur innerlich. Denn all ihre Versuche, sich gegen ihre Mutter aufzulehnen, enden in Prügeleien, Streitereien und Vorwürfen. Deswegen unterwirft sie sich ihr irgendwann und tut alles, um gut mit Marie zu stehen, und kämpft quasi um deren Liebe, die sie trotzdem höchst selten zu spüren bekommt. Nach vielen Jahren könnte man, wenn man das Ganze etwas oberflächlich sieht, meinen, dass die beiden ein gutes Verhältnis miteinander haben, da nie in der Öffentlichkeit gestritten wird und man auch nichts mehr von Gewalt mitbekommt. Doch tief in Vera drinnen ist es eine Tatsache, die sie nie verkraften wird, auch wenn sie sich einredet, dass ihre Mutter sie nur schlägt, weil sie für sie das Beste will und weil sie sie liebt.
Vera war auch immer eine Außenseiterin, was ihr natürlich sehr wehgetan hat, was sie sich aber auch nicht hat anmerken lassen. Die Mutter wurde zum Mittelpunkt ihres Lebens und für alles andere zeigte sie keine offenes Interesse. Der Grund dafür ist, dass sie Liebe wollte und die bekam sie nur, wenn sie sich nicht für junge Männer interessierte und in der Schule die Beste war. Dass auch diese Kompromisse relativ wenig brachten, war ihr sicherlich nicht ganz bewusst.
Nach Maries Tod fängt Vera langsam an, das richtige Leben für sich zu entdecken und kostet es voll und ganz aus - sie hat reichlich Affären mit den verschiedensten Männern. Dennoch ist eine gewisse Anhänglichkeit zu bemerken, denn sie sucht sich immer Männer aus, die realitätsfern erscheinen und mit denen sie in andere Dimensionen "reisen" kann, wie zum Beispiel Künstler oder Musiker.
Als sie selbst Mutter wird, möchte sie alles anders machen. Das ist auch der Grund, warum sie ihre Tochter mehr oder weniger mit Liebe überschüttet und ihr die Freiheiten lässt, von denen sie immer geträumt hat. Und genau derselbe Grund ist es, warum sie nicht merkt, dass das eigentlich nicht das ist, was ihre Tochter sich wünscht - eine richtige Familie mit einem Vater, einer Mutter, die ihr auch einmal etwas verbietet, und einer Mutter, die nicht ständig versucht, die verständnisvolle Freundin zu mimen.
Man bekommt den Eindruck, dass Vera eine etwas labile Person ist, die ihren Platz im Leben noch nicht so recht gefunden hat, was natürlich in vollster Weise nachvollziehbar ist. Sie weiß, dass ihre Mutter sie falsch erzogen hat und ist der Meinung, dass sie es richtig macht. Nur dabei merkt sie nicht, dass ihre Tochter unglücklich ist.
Friedl: Von ihm hat man den Eindruck, dass er sich zu viel sagen lässt und von seiner Frau beherrscht wird. Er hat sich mehr oder weniger mit seinem Schicksal abgefunden, dass er von seiner Frau unterdrückt wird und dass er ihr nicht viel bedeutet.
Das anfänglich sehr starke Interesse an Marie hat sich im Lauf der Jahre zu einer Art Gewohnheit entwickelt. Ich vermute, dass er am Anfang der Ehe noch sehr glücklich mit Marie war, wobei sicher auch das ein wichtiger Faktor war, dass sie sich "herabgelassen" hat, einen Häusler zu heiraten, der es unter normalen Umständen nicht einmal wert wäre anzusehen.
Friedl ist ein sehr stiller Mensch, der sich selten gegen irgendjemanden auflehnt - er nimmt das Leben so wie es ist und tut nichts, um etwas daran zu ändern oder zu verbessern.
Als er nach Maries Tod von ihr "erlöst" wird und wieder heiratet, ist er endlich glücklich und rundum zufrieden, denn diese Ehe basiert auf Liebe und Gegenliebe.
Dennoch erinnert er sich nicht gern an die Zeit mit Veras Mutter und wenn seine Enkelin etwas aus seinem Leben wissen möchte, blockt er ab und fängt an, von anderen Themen zu reden, da es einfach einen zu großen Stich in seinem Herz hinterlassen hat.
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