0. Vorwort
Da die Weimarer Zeit ein durch geschichtliche Ereignisse gebildeter Zeitraum ist, kann man sie zwar als Epoche bezeichnen, doch es gibt mehrere verschiedene literarische Strömungen, die in dieser Zeit ineinander übergehen. Der Expressionismus begann schon vor Beginn des ersten Weltkrieges und findet sein Ende etwa im Jahr 1922. Deshalb spielt er in der Literatur der Weimarer Republik nur eine untergeordnete Rolle. Dementsprechend kurz habe ich mich bei der Erörterung der allgemeinen Merkmale gefasst. Schon zu Beginn der Weimarer Republik hatte die Strömung der Neuen Sachlichkeit ihren Anfang und löste den Expressionismus als seine Gegenbewegung im Laufe mehrerer Jahre ab. Sie erstreckt sich über fast den gesamten Zeitraum und ist so mit der proletarisch-revolutionären Literatur eine der bedeutendsten Weimarer Stilrichtungen. Die proletarisch-revolutionäre Strömung mit ihrem kommunistischen Leitgedanken entwickelte sich annähernd parallel zu dieser. Noch bedeutend langsamer entwickelte sich die faschistische Literatur. Man kann die präfaschistische Literatur als eine Vorstufe der faschistischen Strömung zur Zeit der Weimarer Republik mit einigen spezifischen Eigenschaften ansehen. Mein Text-Beispiel, ein Auszug aus Hitlers "Mein Kampf", ist wahrscheinlich kein besonders typischer Text der präfaschistischen Literatur, doch das Werk an sich ist das bedeutendste präfaschistische Werk überhaupt und da es sich um ein heutzutage illegales Buch handelt ist es nicht möglich ohne Sondergenehmigung das gesamte Werk einzusehen, weshalb ich zwangsweise diesen Auszug interpretieren musste.
In die geschichtlichen Hintergründe habe ich bereits die Einflüsse auf die literarischen Entwicklungen sowie die Intentionen beziehungsweise Bestrebungen eingebettet und deshalb nicht noch einmal separat aufgeführt. Ebenso sind die Themen und Bestrebungen in die einzelnen Strömungen eingegliedert, da sie unter den verschiedenen Strömungen sehr differieren. Eine entscheidende Neuerung in der Literatur der Weimarer Republik war die Medienkonkurrenz. Diese habe ich separat dargestellt, weil sie unabhängig von der Strömung auf jegliche Literatur in dieser Zeit Einfluss hatte. Sie spielt vor allem in der weiteren Entwicklung der Literatur bis zur Gegenwart eine immer bedeutendere Rolle.
I. Einführung
Das Interesse an der Literatur im Zeitraum von 1918 bis 1932 - der Literatur der Weimarer Republik - ist in der jüngeren Vergangenheit stetig gewachsen. Man erhofft sich Antworten auf die Frage nach den Gründen des Untergangs dieses ersten Versuches einer Demokratie auf deutschem Boden. Sie soll vor allem Einblicke in die politischen Verhältnisse, die äußeren Lebensbedingungen sowie die weltanschauliche Position dieser Zeit geben. Noch vor einigen Jahren galt die Literatur der Weimarer Republik als weitgehend unerforscht. Dies hat einfache Gründe: nach dem Dritten Reich kam die Aufarbeitung der Literatur dieser Zeit nur zögernd in Gang. Einige Autoren der Zeit der Weimarer Republik zogen zwar verstärkt Aufmerksamkeit auf sich, die übrigen blieben jedoch so gut wie unberücksichtigt.
Die Literatur der Weimarer Republik begrenzt sich auf einen genau definierten Zeitraum. Dieser beginnt mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und endet mit der Machtergreifung Adolf Hitlers im Jahr 1932. Trotz der Kürze dieser Epoche zeigte sich eine nie da gewesene Vielzahl an unterschiedlicher Literatur. Das, was Weimar ausmachte, hat auch wenig zu tun mit dem Mythos der Goldenen Zwanziger Jahre. Man hat nun erkannt, dass dieser Mythos vor allem einem Rechtfertigungsbedürfnis zu danken war, das die auf diese Zeit folgenden zwölf Jahre Nationalsozialismus am liebsten ungeschehen machen wollte und die notwendigen Anknüpfungspunkte für die Wiedergenesung des deutschen Geistes natürlicherweise am ehesten in den kulturellen Taten der Weimarer Ära fand. Das Besondere der Weimarer Zeit - politisch wie kulturell und sozial - liegt darin, dass sie eine Ära mit sehr vielen sich widersprechenden Eigenschaften war, dass sie nicht auf ein beherrschendes Charakteristikum eingeebnet werden kann, sondern ihre Stärke (in kultureller Hinsicht) und ihre Schwäche (in politischer Hinsicht) gerade in einer ungebändigten Vielfalt sich überkreuzender Eigenschaften lag. Die Kultur der Weimarer Republik war eine Schöpfung von Außenseitern, die von der Geschichte nur für einen kurzen Augenblick in den Mittelpunkt gerückt worden waren.
Die Autoren dieser Zeit fanden es selbst nicht besonders rühmenswert, Zeitgenosse dieser Epoche zu sein. Sie waren von erschreckendem Pessimismus geprägt. Was als die lebendige Frucht der zwanziger Jahre in die Literatur- und Kunstgeschichten unserer Tage eingegangen ist, das wurde von vielen sensiblen Zeitgenossen gerade nicht als produktiv, sondern als Ausdruck krisenhafter Zuspitzung, als Symptom des Zerfalls, als Verlust des Eigentlichen, des Maßes und der Mitte angesehen. Kein Zweifel also, dass die für die Weimarer Kultur so produktive Spannung der Extreme in vieler Hinsicht ein Kind der Sorge, der Angst, des Zynismus und der Verzweiflung war, nicht ein Produkt fröhlich schaffender liberaler Konkurrenz des Geistes.
|