Gliederung:
Deutschlandr /
1. historisch-politische Situation nach Kriegsende
2. 1945: \"Stunde Null\" für deutsche Literatur?
3. Poesie des Kahlschlags
3.1 Gruppe 47
3.2 Besprechung des Gedichtes \"Inventur\" von Günter Eich
4. Die Trümmerliteratur
4.1 Wolfgang Borchert & sein Drama \"Draußen vor der Tür\"
BRD, Schweiz und Österreich
Einschub: Warum entwickelte sich Literatur in der BRD, Schweiz und Österreich ähnlich?
5. Literatur in den 1950er Jahren
5.1 Lyrik
5.2 Epik
5.3 Drama
6. Literarische Veränderungen in den 1960er Jahren
7. Das inoffizielle Ende der Nachkriegsliteratur - die 1970er Jahre
1. historisch-politische Situation:
- 8. Mai 1945: Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus ( Kapitulation des NS-Regimes )
- Bilanz des 2. Weltkrieges:
- 40 Mio. Tote
- 10 Mio. Flüchtlinge ( heute leben ca. 80 Mio. Menschen in Deutschland --> 50 Mio. = 62.5 % von 80 Mio. )
- Probleme der Menschen:
- Beschaffung von Wohnraum, Nahrung und Arbeit ( stark zerstörte Städte wie Stuttgart, Dresden, Berlin; zerstörte Infrastruktur... )
- Entnazifizierung ( Nürnberger Prozesse )
- beginnender Kalter Krieg
- Aufteilung Deutschlands in Osten und Westen ( 1949 )
2. 1945: \"Stunde Null\" für deutsche Literatur?
- Literatur stellt wie Geschichte einen kontinuierlichen Prozess dar
- viele der schreibenden Autoren war schon vor 1945 tätig
--> keine Stunde Null, kein Neuanfang
- von Literatur der Bundesrepublik kann erst nach 1949 gesprochen werden
- Autoren zunehmend durch Ost-West-Konfrontation geprägt
- für Literatur wichtige Städte waren zerstört, angegriffen und konnten so nicht mehr Leistung bringen, z.B.:
- Berlin: vor Krieg: Zentrum literarischen Lebens
- Leipzig vor Krieg: Verlagsmittelpunkt
- Buchhandel und Verlag durch Papierknappheit und Teilung Deutschlands sehr eingeengt ( 1944 erschienen noch 11.714 Titel, 1945/1946 nur noch 2.409 Titel )
- 3 Generationen von Autoren bestimmten Nachkriegszeit:
- Autoren, die vor 1990 geboren sind ( z.B. Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Thomas Mann )
- Autoren, die vor 1933 publizierten ( z.B. Hans Werner Richter, Alfred Andersch, Günther Eich )
- Autoren, die nach 1945 erstmals publizierten ( z.B. Heinrich Böll, Wolfdietrich Schnurre, Wolfgang Borchert )
- auffallend: Zahl der Autoren der \"Inneren Emigration\" ( Einstellungen von Schriftstellern, die zur NS-Regierung zwar in Opposition standen, jedoch nicht auswanderten ), z.B. Erich Kästner, Hans Carossa, Georg Britting, Elisabeth Langgässer --> ihre vor 1945 geschriebenen Werke wurden erst nach 1945 veröffentlicht
- Exilliteratur blieb nahezu ausgegrenzt ( Entdeckung erst in 50er/ 60er Jahren )
3. Poesie des Kahlschlags
- 1946: Literaturzeitschrift \"Der Ruf\" von Hans Werner Richter und Alfred Andersch: Aufklärung und Erziehung zur Demokratie, u.a. Forderung nach radikaler Erneuerung der Literatur ( Inventur von Günter Eich ) --> Zeitung wird 1947 verboten
- einfache Sprache und Form und klare Bilder kennzeichnen diese Zeit --> Mensch hat alles verloren, ihm bleibt nur Allernötigstes zum Leben
- W. Borchert formulierte: \"Wir brauchen keine Dichter mit guter Grammatik. Zu guter Grammatik fehlt uns die Geduld. Wir brauchen die [...], die zu Baum Baum und zu Weib Weib sagen und JA sagen und NEIN sagen. Laut und deutlich und ohne Konjunktive.\" --> Kritik am Verhalten vieler, eigentlich unpolitischer Deutscher zur Zeit des Krieges
- W. Schnurre drückte sich so aus: "Man fing damals nicht an zu schreiben, weil man sich vorgenommen hatte, Schriftsteller zu werden. Man schrieb, weil man nicht anders konnte. Man schrieb aus Erschütterung und Empörung. Man schrieb, weil einem die furchtbaren Erfahrungen eine neue Lehre aufzwangen. Man schrieb, um zu warnen." (Vgl. W. Schnurre: Man sollte dagegen sein, Geschichten, 1960)
3.1 Gruppe 47
- 1947: u.a. ehemalige \"Der Ruf\"-Autoren trafen sich nun in Gruppe, um Zeitschrift \"Der Skorpion\" zu entwickeln, sich regelmäßig zu treffen, um sich Manuskripte durch zu lesen und diese zu diskutieren --> \"Probenummer\" des Skorpions war im November ´47 fertig, wurde aber nie veröffentlicht ( Lizenzschwierigkeiten )
- Hans Georg Brenner gab der Gruppe den Titel, sie wurde Schriftstellergemeinschaft ohne Vereinsstatus; Hans Werner Richter war inoffizieller Begründer
- unpolitisch im Sinne von Parteien und Systemen und wollte ohne diese funktionieren
- Ziel war Förderung der Autoren der jungen deutschen Nachkriegsliteratur, demokratische Elitebildung im Bereich Literatur und Publizistik ( Publikationswesen )
- Schriftsteller wie Heinrich Böll, Wolfdietrich Schnurre, Ingeborg Bachmann verdanken Gruppe den Durchbruch
- 1967 löst Richter Gruppe 47 auf
3.2 Besprechung des Gedichtes \"Inventur\" von Günter Eich
- Anzumerken ist, dass Eich vermutlich das Gedicht \"Jean Baptiste Chardin\" von Richard Weiner als Vorlage hatte, dort heißt es z.B. :
"Dies ist mein Tisch, / Dies ist mein Hausschuh, / Dies ist mein Glas, / Dies ist mein Kännchen. // Dies meine Etagere, / Dies ist meine Pfeife, / Dose für Zucker, / Großvaters Erbstück [...]." 1916
4. Die Trümmerliteratur (1945 - 1950)
- beschäftigt sich mit den Menschen, die in zweifacher Hinsicht vor den Trümmer standen: ihre zerbombten Häuser und Wohnungen und vor den Trümmern ihrer Beziehungen und Wertvorstellungen
- literarische Vorbilder waren Autoren der \"short-stories\" ( z.B. Hemingway )
- Werke wie Heinrich Bölls \"Wo warst du Adam?\" von 1951 repräsentativ
4.1 Wolfgang Borchert & sein Drama \"Draußen vor der Tür\"
- Borchert lebte von 1921 - 1947 ( kurzes Leben )
- kam ´41 wegen Selbstverstümmelung vor ein Kriegsgericht und musste nach 3 Monaten an die Front
- schrieb 1947 das Drama
\"Draußen vor der Tür\"
- es thematisiert das materielle und psychische/physische Elend der unmittelbaren Nachkriegszeit
- es erzählt von einem Soldaten, der sich nach dem Krieg nicht mehr zurecht findet:
als Kriegsheimkehrer Beckman nach drei Jahren mit steifem Knie und Gasmaskenbrille (Gasmaske für Brillenträger) aus russischer Gefangenschaft wieder nach Deutschland kommt, ist seine Frau mit einem anderen Mann zusammen und er will sich deswegen das Leben nehmen. Der Selbstmordversuch in der Elbe scheitert, ein Mädchen nimmt ihn auf, doch deren Mann kehrt auch zurück. Beckmann will seinen ehemaligen Oberst für das In-den-Todschicken eines Spähtrupps zur Verantwortung ziehen, doch dieser lacht ihn spöttisch aus. Auch ein Kabarettdirektor schickt in fort, weil Beckmann Kriegslieder singt. Seine Eltern haben sich das Leben genommen. Keiner hört ihn, keiner gibt ihm Antworten.
--> keiner möchte mehr etwas vom Krieg wissen oder darüber reden, die Menschen versuchen, alles zu verdrängen
Einschub: Warum entwickelte sich Literatur in der BRD, Schweiz und Österreich ähnlich?
- Mentalität und Tradition dieser drei Gesellschaften sehr unterschiedlich:
- Österreich: entwickelte sich zwiespältig:
- Österreich galt als erstes Opfer der Hitler-Aggression und sah sich schon relativ unschuldig am krieg
- vorübergehend wurden NSDAP-Mitglieder unter Sanktionen gestellt, die aber bald aufgehoben wurden
- 3 Gruppen von Autoren: dem NS-Regime unkritisch/angepasst gegenüberstehende, der aus dem Exil heimgekehrten und die jungen kritischen
--> aus diesen Gründen kam es bis in die 1980er Jahre nicht zu offizieller, kritischer Auseinandersetzung mit der Kriegszeit
- man versuchte, an die Zeit vor 1938 anzuknüpfen, setzte damalige Politiker wieder ein
- inoffiziell gab es einige Schriftsteller, die sehr wohl Nachkriegsliteratur schrieben und eng mit der Szene der BRD und Österreich verbunden waren (z.B. Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger)
- Schweiz: von schweizer Literatur zu sprechen ist gar nicht so einfach, gibt es doch in der Schweiz vier Landessprachen: Deutsch, Italienisch, Französisch & Rätoromanisch ( auch Alpenromanisch Sprache, die noch in wenigen Alpentälern der Schweiz und Italien gesprochen wird )
- ist die Rede von der Literatur der deutschsprachigen Schweiz, ist meist einfach die deutschsprachige Literatur gemeint
--> so gibt es natürlich auch Schweizer Autoren, die sich mit der Nachkriegszeit befassten (z.B. Peter Bichsel)
-----> alle drei Gesellschaften wurden durch das NS-Regime geprägt, hatten so auch gemeinsame Geschichte
5. Literatur in den 1950er Jahren
- Deutschland lebt im Spannungsfeld von West und Ost, was in der Literatur zunächst nicht reflektiert wird --> beide Literaturen nehmen sich anfangs gar nicht wahr
- Schriftsteller dieser Zeit beobachten Wohlstandsgesellschaft kritisch und schreiben darüber in Satire und Groteske, wobei auch NS-Zeit ins Blickfeld kommt (Günter Grass, Die Blechtrommel, 1959)
--> kritische Betrachtung der Wirtschaftswunder-Mentalität (entstanden durch Zuschüsse d. Marshall-Plans, Einführung der D-Mark, Export nach Korea), Autoren verstehen sich als \"Nonkonformisten\", Außenseiter dieser Gesellschaft (Günter Eich, Ingeborg Bachmann)
- man versucht auch, die deutsche Vergangenheit zu verstehen, wobei Zentrum der Grausamkeit, der Holocaust, vorerst ausgespart wird
- im Schatten von Atombombe und Korea-Krieg (´50-´53) machen sich Ängste vor einem dritten Weltkrieg breit
5.1 Lyrik (Dichtung mit besonderem Fokus auf klangliche und rhythmische Beziehung zwischen Wörtern, Versen, Strophen usw.)
- Jahrzehnt der Lyrik
- Vertreter:
- Gottfried Benn:
- schrieb während der NS-Zeit die \"Statischen Gedichte\" (
- mit berühmten Essay \"Probleme der Lyrik\" (1951) wird er zum Inbegriff der Moderne
- Günter Eich:
- schrieb traditionell Natur- und Landschaftsgedichte und versucht sehr früh, den aktuellen Zusammenhang zur Kriegszeit in Zeitgedichten herzustellen
- wichtige Werke: \"Abgelegene Gehöfte\" 1948; \"Untergrundbahn\" 1948; \"Botschaften des Regens\" 1955
- Neny Sachs:
- ihr wichtigstes Thema ist der Völkermord an den Juden
- Werke zeigen Brüche zwischen sprachlicher Gestaltung und gesellschaftlicher Erfahrung: Von dem Wiederfinden des ertrunkenen Wortes nach der Sintflut spricht sie
- erhält Friedenspreis des deutschen Buchhandels und Nobelpreis für Literatur
- wichtige Werke: \"Sternverdunkelung\", \"Flucht und Verwandlung\" 10 Jahre später
- Paul Celan:
- Entpersonalisierung des lyrischen Ichs, Ausschluss wahrnehmbarer Realität und Reduktion des Gedichts auf Worte, die keine Verbindung mehr zur aussersprachlichen Realität aufweisen --> oft führt dies einfach zum Schweigen
- er begeht Selbstmord
- wichtige Werke: Mohn und Gedächtnis
- Ingeborg Bachmann:
- Versuche, sich der Sprache zu vergewissern, enden auch bei ihr im Schweigen
- wichtigstes werk: \"Auf gestundete Zeit\"
5.2 Epik (Erzählungen)
- große Erzähler der Nachkriegszeit, z.B. Alfred Andersch, Heinrich Böll, sind verbunden durch gleiche moralische/politische Ansichten, die schnell zu vorherrschenden Meinungen und Ansichten über Wiederbewaffnung, Wirtschaftsaufschwung, Kanzlerwahl etc. im Gegensatz stehen
- wichtige Werke: 1959: Günter Grass, Die Blechtrommel; Uwe Johnson, Mutmaßungen über Jakob
5.3 Drama
- die Uraufführung von Wolfgang Borcherts \"Draußen vor der Tür\" 1947 war ein Neuanfang der Dramatik, jedoch vorerst ein Einzelfall (hatte praktische Gründe: es gab nur sehr wenig Spielstätten)
- Aufführungen von Carl Zuckmayrs \"Des Teufels General\" und Friedrich Dürrenmatts \"Besuch der alten Dame\" sowie Max Frischs \"Biedermann und die Brandstifter\" folgten
==> insgesamt ist das Thema \"Krieg\" überall in der Literatur präsent
6. Literarische Veränderungen in den 1960er Jahren
- es kommt zur deutlichen Politisierung der Literatur, was auch durch öffentliches Engagement und neue Schreibweisen/Themen verdeutlicht wird --> nicht Literarität steht im Mittelpunkt, sondern Aufklärung, Sozialkritik und Verständlichkeit (z.b Dortmunder Gruppe 61 [1961])
- Interesse an Vergangenheit ( Hitler, Nachkriegszeit ) wird größer --> Ns-Zeit und Völkermord beispielsweise in Dramen dargestellt
- Nachkriegswerke werden zunehmend international anerkannt, wobei auch Kritik laut wird ( dass viele Autoren Endpunkte anstatt neuanfänge formulierten; Pessimismus)
- Autoren zweifeln daran, dass man mit der Sprache überhaupt die Wahrheit, die Realität wiedergeben kann
- Schriftstellern bilden eine \"künstliche Prosa\", z.b. stellt Peter Handke in seinem Werk \"Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter\" die Unfähigkeit seines \"Heldens\" dar, sein Verhalten aktiv zu kontrollieren ( wie es auch ein Tormann nicht vermeiden/beeinflussen kann, ob es zum Elfmeter kommt)
- andere wichtige Autoren sind z.B. Arno Schmidt, Thomas Bernhard, Peter Weiss
- Literatur wird experimentierfreudiger (sprachexperimentelle Richtungen finden zwar Anklang, aber bleiben Minderheit) --> z.b. schaffen Helmut Heissenbüttel und Franz Mon eine \"Konkrete Poesie\", die die vorgegebene sprachliche Struktur zerstört und das isolierte Wort an ihre Stelle stellt --> dabei gehen sie sogar soweit, dass sie auf Leser verzichten
- Verlust der Selbstsicherheit durch Aufbaujahre
7. Das inoffizielle Ende der Nachkriegsliteratur - die 1970er Jahre
- neue Generation von Schriftstellern, die den Krieg nicht miterlebten und über neue Themen schrieben
- die Auseinandersetzung mit dem National-Sozialismus in der Literatur schläft langsam ein
- es kommt zur Tendenzwende 1975: man wendet sich nun wieder mehr dem eigenen ICH zu, was zu Distanz zu öffentlichen politischen Aktionen führte
- \"Neue Sensibilität, neue Innerlichkeit\" wird zum Leitgedanken: man suchte nach eigener und geschichtlicher Identität, Interesse an persönlicher und fremder Lebensgeschichte
- Themen waren oft nun intim (Beziehungsprobleme, weibliche Identität, Drogen, Krankheit usw.) aber noch immer ist persönliches Leiden eingebunden
- man schreibt Autobiografien, Tagebücher, Briefe...
==> Auseinandersetzung mit NS-Zeit als treibende Schreibkraft ist erschöpft, Nachkriegsliteratur gelangt ans Ende
- mit Aufwertung des Unterhaltsamen schwindet auch das Modell der Nonkonformisten
- Nachkriegsliteratur verblasst immer mehr und geht über in die Gegenwartsliteratur |