Unter den weltanschaulichen Strömungen, die auf Leutnant Burda gewirkt haben, ist wohl die Philosophie Schopenhauers eine der bedeutendsten. Ferdinand von Saar verfügte in der Tat über eine minutiöse Kenntnis der Schriften Schopenhauers.
Für die Charakterisierung von Leutnant Burda und den Aufbau der Handlung orientierte sich Saar offensichtlich an den poetologischen Forderungen Schopenhauers, der in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung folgendes beschreibt:
"[...] zuerst die Charaktere im Zustand der Ruhe vorführt, [...] dann aber ein neues Motiv eintreten lässt, welches eine Handlung herbeiführt, aus der ein neues und stärkeres Motiv entsteht, welches wieder eine bedeutendere Handlung hervorruft, [...] wodurch dann [...] an die Stelle der ursprünglichen Ruhe die leidenschaftliche Aufregung tritt, in der nun die bedeutsamen Handlungen geschehen, an welchen die in den Charakteren vorhin schlummernden Eigenschaften [...] in hellem Lichte hervortreten."
Entsprechend diesen Forderungen findet sich Burda zu Beginn der Erzählung im Ruhezustand gezeichnet, bis mit der Unterschriften-Episode (11,20 ff.) ein auslösendes Moment gesetzt ist, das die Kettenreaktion der Motive und Handlungen in Gang setzt.
Auch Burdas Hang zum Melancholischen, der immer wieder direkt oder indirekt angesprochen wird, kann auf den Einfluss Schopenhauers zurückgeführt werden. Für Schopenhauer ist Melancholie ein Merkmal des Jugendalters, da die Jugend im Gegensatz zum heiteren Alter noch unter dem "Frondienst des Geschlechttriebs" stehe. Diese Aussage korreliert mit der Liebesthematik in der Erzählung.
Des weiteren erweist sich Burdas Melancholie aber auch als bestimmende geistige Grundhaltung, die die wahnhaften Züge, die sein Wesen im Laufe der Geschichte annimmt, unterstützt. Wieder ergibt sich der Vergleich mit Don Quixote, wie er liest Burda nämlich Romane (5,12). Schopenhauer warnte jedoch, dass eine zu frühe Konfrontation mit Romanen der "Einprägung von Vorurteilen" Vorschub leiste und damit die Urteilskraft lähme. Hier ist also schon ein erster Hinweis auf Burdas Wahn gegeben, der durch das für ihn so bezeichnende Ehrgefühl noch unterstützt wird. Schopenhauer selbst bezeichnete in dem Kapitel Von dem, was einer vorstellt die militärische Ehre als "Wahn", jede Weisung, das Ehrgefühl rege zu halten, als "Menschendressierungskunst". Eitelkeit definierte er als "leeres und gehaltsloses Streben". Damit eng in Zusammenhang steht eine Aussage Christine Touaillons, die im Jahre 1911 über Leutnant Burda bemerkte:
"Nichts ist geschehen, nichts - und doch geht an diesem Nichts ein Leben zugrunde."
Neben Burdas verfehlter Einschätzung der Wirklichkeit sind bei ihm auch einige geradezu krankhafte physiologische Merkmale erkennbar, die diesen Befund bestätigen. So sei Burda "eigentlich schief gewachsen" (6,23) und er habe eine "kleine, gedrückte Stirn" (39,19); beides laut Schopenhauer deutliche Zeichen für einen Mangel an intellektuellen Fähigkeiten. Seine naturwissenschaftliche Überlegung:
"[...] je größer und entwickelter das Gehirn und je dünner, im Verhältniß [!] zu ihm, das Rückenmark und die Nerven sind, desto größer nicht nur die Intelligenz, sondern zugleich auch die Mobilität und Folgsamkeit aller Glieder ist [...]"
führte zu folgendem Resümee:
"[...] dumme Menschen bewegen sich wie Gliedermänner; an geistreichen spricht jedes Gelenk."
Auch dem Gesicht käme eine wichtige Funktion im Hinblick auf die Beurteilung der intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen zu:
"[...] sind die geistigen Eigenschaften aus dem Gesichte zu erkennen, aus der Gestalt und Größe der Stirn, der Anspannung und Beweglichkeit der Gesichtszüge und vor Allem aus dem Auge."
Angesichts dieser Merkmale kann Burdas Verhalten also auch im eigentlichen medizinischen Sinne "pathologisch" genannt werden und seine gesteigerte Aufmerksamkeit, ja all seine Wahnvorstellungen, krankhaft. Auch Schopenhauer machte die Ursache für den Wahn im Intellekt fest, dort wo die "logischen Verbindungen" entstehen. In seinem dritten Buch der Welt als Wille und Vorstellung schreibt er über den Wahnsinn:
"In jenem Widerstreben des Willens, das ihm Widrige in die Beleuchtung des Intellekts kommen zu lassen, liegt die Stelle, an welcher der Wahnsinn auf den Geist einbrechen kann. [...] Denn der Intellekt hat seine Natur aufgegeben, dem Willen zu gefallen: der Mensch bildet sich jetzt ein was nicht ist."
Kaum treffender kann Burdas Zustand beschrieben werden. Seine Wahrnehmung ist durch den Willen gesteuert, der selektiv Angenehmes beobachtet, Unangenehmes aber verdrängt und damit immer mehr den Bezug zur Realität verliert.
Der Zufall, der, wie schon erwähnt, von einigen Kritikern als zu äußerlich, zu gewollt bezeichnet wurde, ist hier "geheime Notwendigkeit" und verweist auf den, an Schopenhauer angelehnten Schicksalsbegriff, der in Saars Werk zentrale Bedeutung besitzt. Laut Ernst Kobau ist der Zufall notwendigerweise einem tragischen Geschick zugehörig seine Formen sind "blind und spielerisch und von einer höhnischen Ungebundenheit". Burdas innerer Anlage des sich gegenüber aller Rationalität blind durchsetzenden Willens entspricht seine äußere Realisierung als Wahnsystem. So ist die "Täuschung [...] die notwendige Folge der inneren Disponiertheit, und ihre Erscheinungsformen sind kontingent".
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