Die Kleinstadt Güllen ist kurz vor ihrem wirtschaftlichen Bankrott. Viele Fabriken haben schon zugesperrt. Die meisten Einwohner sind arbeitslos und leben von Arbeitslosengeld. Claire Zachanassian, geborene Klara Wäscher, hat angekündigt, die Ortschaft zu besuchen. Sie ist eine sehr reiche Frau, die in Güllen aufgewachsen ist. Die Hoffnung der ganzen Stadt ruht auf Claire. Jeder glaubt, dass sie ihren Heimatort mit einer Geldspende vor dem Untergang retten wird. Besonders ihr Jugendfreund Alfred Ill ist sehr optimistisch.
Was die Bürger erst am Schluß erfahren: Claire Zachanassian gehört die ganze Stadt. Sie ist schuld an dem bevorstehenden finanziellen Ruin der Stadt, weil sie einen Betrieb nach dem anderen stilllegen ließ.
Der Bürgermeister will ein großes Empfangskomitee am Bahnhof auf die Beine stellen, jedoch kommt Frau Zachanassian früher als erwartet. Sie hat Unmengen von Gepäck und einen Sarg bei sich.
Alfred und Claire fahren in den Wald, um ihre damaligen "Liebesnester" wiederzusehen. Frau Zachanassian wird jedoch von ihren Trägern Toby und Roby in einer Sänfte, ihr musste nach einem Autounfall ein Bein und nach einem Flugzeugabsturz ein Arm amputiert werden, dorthin getragen. Ill klagt ihr sein Leid, da er einen kleinen Laden besitzt und damit nicht viel Geld verdient. Dann berichtet er ihr über die Geldprobleme der ganzen Stadt. Claire sagt zu ihm, dass selbst die benötigten Millionen für sie nur eine Kleinigkeit seien. Ill ist begeistert von der Großzügigkeit seiner früheren Liebe.
Claire Zachanassian ist schon das achte Mal verheiratet. Sie will sich jedoch scheiden lassen, da sie sich ihren Jugendtraum, nämlich eine Hochzeit in Güllen, erfüllen will. Ihr Mann Nummer neun soll ein Filmschauspieler werden.
Beim Begrüßungsessen, verkündet Claire, dass sie insgesamt eine Milliarde spenden will. 500 Millionen der Stadt, den Rest auf die Familien verteilt. Um das Geld zu bekommen, müssen die Einwohner jedoch eine Bedingung erfüllen: sie müssen Alfred Ill ermorden. Für sie ist das die Gerechtigkeit, und zwar aus folgendem Grund: als Claire noch in Güllen wohnte, wurde sie schwanger. Der Vater konnte nur Alfred sein. Er stritt die Vaterschaft jedoch ab und hatte vor Gericht zwei bezahlte Zeugen, die für ihn aussagten. Sie behaupteten unter Eid, ebenfalls mit Claire geschlafen zu haben. So entschied das Gericht, dass Herr Ill sich nicht um das Kind kümmern musste. Claire verließ die Stadt und heiratete dann einen Millionär. Vorher gab sie das Kind jedoch zur Adoption frei.
Die zwei damaligen Zeugen sind mit Frau Zachanassian nach Güllen gekommen. Claire hat ihnen die Namen Koby und Loby gegeben. Sie hat sie von Toby und Roby kastrieren und blenden lassen. Claire findet, dass das die gerechte Strafe für Lügner sei.
Die Einwohner Güllens sind alle entsetzt über das Angebot. Noch ist ihnen das Geld, das jeder einzelne von ihnen so dringend benötigt, im Angesicht dieses Verbrechens völlig egal.
Seit dem Angebot von Frau Zachanassian kaufen die Einwohner immer teurere Sachen ein und leben in einem Luxus, den sie sich gar nicht leisten können. Alfred fühlt sich von seinen Mitbürgern im Laufe der Zeit immer mehr bedroht. Schön langsam wird er skeptisch und fürchtet sich vor den Leuten in seiner Umgebung. Er flüchtet sich zum Pfarrer, weil er glaubt, wenigstens dort Zuflucht zu finden. Aber sogar er hat sich schon Dinge gekauft, die er sich normalerweise nie leisten hätte können. Der Pfarrer rät Ill, sofort die Stadt zu verlassen und irgendwo unterzutauchen. Die Versuch des plötzlichen Reichtums ist für die Menschen, sogar für ihn, den Pfarrer, einfach zu groß. Die Bürger sagen immer wieder, dass es ein Skandal ist, was Alfred Claire damals angetan hat und das soetwas nicht ungestraft bleiben darf.
Ill packt seine Koffer und geht zum Bahnhof. Die ganze Stadt folgt ihm. Er fühlt sich umringt, eingeschlossen und glaubt, dass ihn gleich irgendwer ermordet
wird. Er steht vor dem Zug, steigt aber nicht ein. Er bricht am Bahnsteig zu-
sammen.
Nach der Hochzeit von Claire treiben sich viele Journalisten im Dorf herum, um irgendeine Story über ihre Vergangenheit ans Licht zu bringen.
Mittlerweile haben sich die Einwohner so verschuldet, dass sie alleine nie wieder von den Schulden loskommen würden. Der Bürgermeister kündigt Alfred an, dass er eine Gemeindeversammlung abhalten will. Es soll über ihn verhandelt werden. Bei der Versammlung ist das Fernsehen anwesend. Die Bürger lassen es so aussehen, als wenn nur über die Einrichtung einer Stiftung von Claire abgestimmt werden würde.
Bei der Abstimmung über die Annahme dieser Stiftung heben alle Anwesenden die Hand. Das ist das Todesurteil für Ill. Die Frauen und die Presseleute verlassen den Raum, um einen kleinen Imbiß im Restaurant einzunehmen. Nur die Männer und Ill bleiben zurück. Die Türen werden geschlossen. Alle stellen sich um Alfred auf. Plötzlich kommen Journalisten durch eine Tür in den Raum. Die Männer drehen sich um, aber Ill liegt schon tot auf dem Boden.
Tod aus Freude über die Stiftung, die die ganze Stadt rettet. Das wird eine super Schlagzeile abgeben, sind sich die Journalisten einig.
Claire Zachanassian lässt die Leiche von Ill in den Sarg legen, den sie ja extra aus diesem Grund mitgenommen hat. Sie reist, nachdem sie dem Bürgermeister einen Scheck übergeben hat, aus Güllen ab. Den Sarg lässt sie auf ihrem schönsten Anwesen begraben.
4) 1) AUSSAGEN
Dürrenmatt behandelt in "Der Besuch der alten Dame" die Probleme Geldgier und Korruption mit viel Humor. Mit Hilfe seinen Wörtern und Witzen wird einem erst richtig das ganze tragische Ausmaß der heutigen Zivilisation bewusst.
Durch sinnlosen Taten, wie zum Beispiel die Kastration und Blendung der beiden falschen Zeugen, wird gezeigt, dass eine Ungerechtigkeit nie mit einer weiteren Ungerechtigkeit aus der Welt geschaffen werden kann. Es sei denn, Geld spielt die Hauptrolle.
Dürrenmatt macht uns darauf aufmerksam, dass wir uns nicht von materiellen Dingen leiten lassen sollen, sondern viel mehr von unseren Gefühlen, wie kitschig es auch klingen mag. Weiters zeigt er uns, dass jedoch alles in unserem Leben von Geld bestimmt wird, sei es auch noch so unbedeutend.
4) 2) SPRACHE
Dürrenmatt schreibt sein Werk in kurzen, aber präzisen Sätzen. Er verwendet nur die notwendigsten Wörter, aber er schafft es, dass der Sinn des Geschriebenen dennoch erhalten bleibt. Er schmückt die Sätze nicht mit unnötigen Wörtern aus. Frei nach der Devise: warum kompliziert, wenn es einfach auch geht?
Ein kleines Beispiel:
Kein Vergnügen, in diesem Nest zu wirken. Aber nun wird die Ruine aufblühen. War da eben mit der Milliardärin und dem Krämer Ill in der Peterschen Scheune. Eine rührende Szene. Die beiden waren andächtig wie in einer Kirsche. Genierte mich, dabeizusein. Ich habe mich denn auch entfernt, wie sie in den Konradsweilerwald gingen. Eine regelrechte Prozession. 1)
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