Inhaltsverzeichnis:
1 Vorwort
Als vor einigen Jahren der amerikanische Nobelpreisträger RICHARD FEYNMAN bei einem Interview gefragt wurde, was für ihn die bedeutenste Erkenntnis der Naturwissenschaften im 20.Jahrhundert sei, antwortete er: \"Materie ist aus Atomen aufgebaut.\" (8)
Heute ist allgemein bekannt, daß alle Stoffe aus diesen winzigen Teilchen, den sogenannten Atomen, wie sie DEMOKRIT schon vor ca.2000 Jahren bezeichnet hatte, aufgebaut sind. Wir wissen einiges über Atombomben und Atomenergie, weniger bekannt ist, welche Physiker die künstliche Radioaktivität entdeckt haben. Warum wird das Thomson-Atommodell auch \"Rosinenkuchen\" bezeichnet? Wie kam Albert Einstein auf die Formel E=mc2, und was diese überhaupt bedeutet?
In meiner Fachbereichsarbeit möchte ich diese und noch viele andere Fragen beantworten. Zusätzlich habe ich mir vorgenommen, all jenen, die sich für Physik wenig interessieren, weil sie der Ansicht sind, daß Physik nur ein Unterrichtsfach für einseitig interessierte, mathematisch begabte Denker ist, zu beweisen, daß auch Physik sehr interessant und spannend sein kann. Meiner Meinung nach ist speziell die Atomphysik eine faszinierende Wissenschaft, die große Auswirkungen auf unser tägliches Leben hat.
In den folgenden Kapiteln möchte ich die Theorien und Versuche, die zur Entdeckung und Erforschung der Atome führten, auf einfache Weise erklären, wobei es mir nicht darum geht, den Leser mit komplizierten, seitenlangen Formeln zu verwirren, sondern einen \"Überblick\" über die Geschichte der Entdeckung des Atoms zu geben.
Außerdem will ich mit meiner Arbeit versuchen, dem Leser nicht nur die Theorien, sondern auch die Persönlichkeiten einiger der bedeutensten Physiker des 20. Jahrhunderts vorzustellen.
Es war nicht immer einfach, die Ereignisse zeitlich voneinander abzugrenzen, denn gelegentlich kam es zu \"Überschneidungen\" der wissenschaftlichen Entdeckungen. Dennoch hoffe ich, daß der Leser dem \"physikalischen Geschehen\" ohne große Probleme folgen kann, und daß ihn das Thema Atomphysik genauso fesselt wie mich.
2 Der Weg zum Atom
Bereits in der Antike behaupteten die zwei Philosophen DEMOKRIT (um 460 - 371 v.Chr.) und LEUKIPP (5.Jhdt v.Chr.), daß die Materie körnige Struktur besitzt, das heißt, daß sie aus Atomen aufgebaut wird.
Eine kleine Gruppe von Männern beschäftigte sich im antiken Griechenland mit den Fragen: Woraus ist die Materie aufgebaut? Wie groß ist das Weltall? Woraus ist die Welt aufgebaut, die uns umgibt?
Auf diese Fragen gab es mehrere Antworten. Viele griechische Naturphilosophen glaubten, daß hinter den wechselnden Phänomenen unserer irdischen Welt ein gemeinsamer Urstoff, sei es Wasser oder Luft, stehe. Andere wiederum versuchten, das irdische Treiben auf die Bewegung unvergänglicher Atome im leeren Raum zurückzuführen.
\"Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter. In Wirklichkeit gibt es nur Atome und den leeren Raum\" formulierte Demokrit die \"zentrale Lehre\" der Atomisten.
DEMOKRIT glaubte, daß die Atome so klein seien, daß sie niemand sehen kann, weiteres schrieb er den Atomen eine Vielfalt von Formen, Gestalten und Größen zu.
Er stellte sich vor, daß die einen hakenartige Bogen sind, andere muldenartig eingebuchtet, oder nach außen gewölbt sind.
Demokrit und auch sein Vorgänger LEUKIPP behaupteten, daß alle Körper aus Atomen aufgebaut sind, und sich alle Veränderungen, die wir in unserer Umwelt beobachten, durch die Bewegung der Atome erklären lassen.
Die Hypothese vom atomaren Aufbau der Materie setzte sich aber nicht durch, weil sie im krassen Gegensatz zum großartigen System Aristoteles stand, denn ARISTOTELES war der Ansicht, daß im leeren Raum keinerlei Bewegung möglich ist. Somit war die \"ewige Bewegung der Atome im leeren Raum\" unmöglich und absurd. Aber auch andere Ansichten der Atomisten, die vielfältigen Formen, ihre Ausbuchtungen, die vielfältigen Häckchen und Ösen, mit denen sie zusammengehalten werden sollten, widersprachen der Lehre Aristoteles.
In der christlichen Scholastik beschäfttigte man sich vor allem mit der antiken Naturphilosophie, und die Ernennung ARISTOTELES, unter dem Einfluß des heiligen THOMAS VON AQUIN, zum Philosophen schlechthin, dessen Widerlegung die Kirche nicht erlauben konnte, bedeutete die Niederlage der Atomisten. Die Ansicht vom atomaren Aufbau der Materie war gottlos und heidnisch, weil die Atomisten ein gottloses, mechanisches Universum lehrten, wenn sie behaupteten, \"daß sich die Atome im leeren Raum so bewegen, wie es der Zufall gerade will, und von selber infolge eines jeder Ordnung baren Antriebes miteinander zusammenstoßen.\"
Erst im Laufe des 17. Jhdt. wurde die Diskussion um die Atome neu entfacht, doch zunächst mußten die Atome in den \"göttlichen Plan\" aufgenommen werden. PIERRE GASSENDI (1592-1655) benützte dazu folgende Argumente:
\"Im folgenden müssen wir die Ansicht aufgeben, Atome würden von Ewigkeit her ziellos umherirren, und es immer noch tun. Wir können zwar zugeben, daß Atome in Bewegung sind: Sie werden bewegt durch eine treibende Kraft, die ihnen Gott bei der Schöpfung mitgegeben hat und durch die er mitwirkt, indem er bei allen Dingen so handelt, daß sie erhalten bleiben. Mit einem Schlag korrigiert das eine Fehlauffassung. Die Bewegung der Materie ist vom Schöpfer festgelegt worden.\" (8)
Durch diesen \"geschickten Feldzug\" PIERRE GASSENDIS durfte man sogar diskutieren, aus wie vielen Atomen sich ein Weihrauchkorn zusammensetzt, wie dies bei JOHANN CHRYSOSTOMUS MAGNIEN geschieht.
Im 19.Jhdt. haben Chemiker und andere moderne Naturwissenschaftler die Geduld verloren und gesagt, daß Atome in das Reich der Metaphysik gehören, und sie als kleiner, als alles Vorstellbare bezeichnet.
3 Die Chemie entdeckt das Atom
Feuer, Luft, Wasser und Erde waren laut ARISTOTELES die 4 Elemente, aus denen die irdische Welt aufgebaut ist. Verschiedene Mischungen dieser Elemente sollten die Fülle der Stoffe und den Reichtum der Chemikalien ergeben, die in unserer Welt existieren.
Schwerwiegende Einwände gegen die alte Elementlehre wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jhdt. laut, als zahlreich Experimente bestätigten, daß es verschiedene \"Lüfte\" gibt. Mit der Entdeckung des Wasserstoffes, des Sauerstoffes und des Chlorgases - wie wir sie heute bezeichnen - begann die Reform des alten Systems.
Den Durchbruch schaffte ANTOINE LAVOISIER (1743-1794), der im Jahre 1789 eine neue Theorie der chemischen Elemente veröffentlichte. In seiner Theorie unterschied der französische Chemiker schon 23 verschiedene Elemente und diese Theorie zeigte auch, daß nicht nur 4 Elemente, sondern weit mehr Grundstoffe durch ihre Mischung die Vielfalt unserer Welt ausmachen. Außerdem erkannten die Chemiker bereits zu dieser Zeit, daß sich die neuen Grundstoffe, die einigen der heutigen chemischen Elementen entsprechen, sich in stets gleichen Mengenverhältnissen verbinden, und daß sich bei einer chem. Reaktion konstante Mengenverhältnisse ergeben, wenn man diese in Volumina ausdrückt.
Es gelang AMADEO AVOGADRO (1776-1856) zu zeigen, \"daß bei Gasen die Reaktionspartner stets in besonders einfachen Volumenverhältnissen stehen. Bei der Bildung von Wasser reagiert beispielsweise stets ein Volumen Sauerstoff mit dem doppelten Volumen Wasserstoff. Er vermutete, daß ein gegebenes Volumen eines Gases (bei konstanter Temperatur und konstantem Druck) stets die gleiche Anzahl von Atomen aufweist.\" (8)
Trotz dieser neuen Erkenntnisse gab es immer noch Chemiker, die nicht an die Existenz der Atome glaubten. So versuchte zum Beispiel Sir BENJAMIN COLLINS BRODIE (1817-1880), Professor der Chemie an der Universität Oxford, zu beweisen, daß die Atome in der Chemie gar nicht notwendig sind. Er empörte sich über die Molekülmodelle aus Draht und Kugeln, die um diese Zeit in der organischen Chemie entstanden, und er sah in ihnen ein \"durch und durch materialistisches Tischlerprodukt.\"
1887 hatte sich WILLHELM OSTWALD (1853-1932), als einer der ersten prominenten deutschen Chemiker, für den Antiatomismus ausgesprochen. Er war der Auffassung, alle wirklichen Phänomene ließen sich aus dem Wechselspiel der Energie und ohne Atome erklären. Erst in der Ausgabe seiner Allgemeinen Chemie hat er seine Theorie widerrufen, nachdem ihn J.J. Thomson und S.A. Arrhenius in seiner Überzeugung erschüttert hatten.
Doch erst 1860, nachdem die Anzahl der Moleküle in einem Mol gemessen worden waren, und sich die Vertreter der Atomlehre bei einem großen Kongreß der Chemiker in Karlsruhe durchgesetzt hatten, wurden die Atome zum unentbehrlichen Bestandteil der chemischen Lehre. Somit hatte die Chemie zu Beginn des 19.Jhdt. das Atom entdeckt, die Physik hingegen mußte ihren Weg erst suchen.
4 Die Physik des 19.Jahrhunderts
Obwohl die Chemie das Atom schon zu Beginn des 19. Jhdt. entdeckt hatte, mußte die Physik ihren Weg, der über die Wärmelehre führte, noch suchen.
FRANCIS BACON, Lord of Verulam (1561-1626) hatte bereits im 17. Jhdt. die ersten Anhaltspunkte gefunden, daß Wärme eine Form der Bewegung ist. Die antiken Atomisten hatten ja ebenfalls eine unaufhörliche Bewegung der Teilchen, der Atome, vermutet. Doch erst im Laufe des 19. Jhdt. konnten die Spekulationen von FRANCIS BACON, und seine unsystematischen Beobachtungen zu einer sinnvollen Theorie ausgedehnt werden.
Eine wichtige Theorie des 19. Jhdt., die die Existenz von Atomen voraussetzte, war die kinetische Gastheorie. Die ersten zaghaften Schritte in Richtung kinetische Gastheorie machten die deutschen Physiker 1856. In den folgenden Jahren wurde die kinetische Gastheorie rasch weiterentwickelt. In England bewies JAMES CLERK MAXWELL, daß nicht alle Moleküle eines Gases die gleiche Geschwindigkeit besitzen, und LUDWIG BOLTZMANN (1844-1906) schaffte es als erster, die Verteilung der Molekülgeschwindigkeit allgemein zu berechnen. So konnte die kinetische Gastheorie um 1870 viele wichtige Erfolge aufweisen, dennoch stand ein eindeutiger Beweis für die Existenz der Atome aus, weil die Theorie die Existenz von rasch bewegten Atomen als Hypothese annahm, und daraus die Eigenschaften der Gase herleitete.
Da niemand zeigen konnte, daß die Eigenschaften der Gase nur durch die Annahme von Atomen erklärt werden konnte, gab es zahlreiche Physiker, die die kinetische Gastheorie verfochten. Doch warum war der Krieg um das Atom noch immer nicht zu Ende gekämpft? Es hatten sich zahlreiche Widersprüche ergeben, die die gesamte atomare Weltordnung gefährdeten.
RUDOLF CLAUSIUS Theorie besagte, daß die Richtung aller Vorgänge der Wärmelehre mathematisch durch die Zunahme der Entropie[1] und physikalisch durch den Satz \"Wärme kann stets nur vom heißeren Körper zum kühleren übergehen\" erklärbar ist. Das heißt also, daß die Vorgänge der Wärmelehre Beispiele für irreversible (nicht umkehrbare) Prozesse sind.
Die mechanische Bewegung der Atome mußte umkehrbar sein, doch aus dieser Annahme ergibt sich eine völlig widersinnige Welt, ja der ganze Weltablauf müßte sich umkehren lassen. Die Idee, daß das Weltgeschehen umkehrbar sein könnte, oder daß es eine ewige Wiederkehr zu dem gleichen Anfangszustand gibt, versetzte Physiker, Chemiker und Philosophen in Aufruhr. Umkehr und Wiederkehr waren prinzipielle Einwände gegen den Atomismus und natürlich auch gegen die kinetische Gastheorie.
Der Kampf um das Atom betraf bald nicht nur die Physik, den Umkehreinwand, den Wiederkehreinwand und andere fachliche Einwürfe der Kollegen, sondern jeder sprach über Atome, obwohl sie niemand gesehen hatte. Gehörten die Atome der reinen Spekulation an?
ERNST MACH, der in Mähren geboren war, in Wien studiert hatte und Professor für Mathematik in Graz wurde, hielt die Atome für metaphysischen Unsinn. Der ausgezeichnete Physiker Mach, der 1895 nach Wien zurückkehrte, erntete Anerkennung und Lob für seine Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Überschallströmungen. Für den Physiker und Philosophen Mach zählten nur meßbare Größen und Sinnesempfindungen, während die unmeßbaren und unsichtbaren Atome in das Reich der Dämonen, Engel, Feen und Hexen gehörten. Wurden Atome in Gegenwart Machs erwähnt, kam bald die höhnische Frage: \"Habens\' schon eins gesehen?\" Mach, der an der Universität lehrte, war der Hauptgegner LUDWIG BOLTZMANNS, der den Atomismus vertrat und ebenfalls an der Wiener Universität unterrichtete. Beide Parteien versuchten, für ihre Theorien Anhänger zu finden und zu einer Schlacht zu rüsten, deren Entscheidung schließlich auf der Lübecker Naturforscherversammlung am 17.9.1895 fiel.
Die Lübecker Versammlung beeinflußte das physikalische Geschehen weltweit und \"Fortuna\" stand auf der Seite der Atomisten, doch der endgültige Durchbruch zur Anerkennung des Atoms sollte erst einige Jahre später gelingen.
Abb. 1: LUDWIG BOLTZMANN setzt sich besonders für die Atomistik ein. Physik, Politik, Philosophie und Theologie spielten eine entscheidende Rolle in der Frage um den Aufbau der Materie, die vor allem im letzten Drittel des 19. Jhdt. stattfand.
5 Neue Horizonte
Gegen Ende des 19. Jhdt. folgte ein wichtiges Ereignis dem anderen.
Im Jahre 1895 entdeckte WILHELM CONRAD RöNTGEN (1845-1923) in Würzburg unbekannte Strahlen. Aufgrund dieser Strahlen war es möglich Materie zu durchleuchten.
WILHELM CONRAD RöNTGEN, der Sohn einer Holländerin und eines Deutschen, studierte an der ETH und promovierte an der Universität Zürich. Anschließend kehrte er nach Deutschland zurück, wo er zunächst in Würzburg, später dann in Straßburg arbeitete.
Bevor RöNTGEN mit seiner Entdeckung über Nacht berühmt wurde, hatte er schon 48 Arbeiten, die heute praktisch vergessen sind, publiziert.
Am Abend des 8.11.1895, als RöNTGEN in einem absolut dunklen Raum die Kathodenstrahlen untersuchen wollte, wozu er die Hittorf-Crookesschen Röhre, die ganz in schwarzes Papier eingehüllt war, und ein Papier, das mit Bariumplatincyamid behandelt worden war und als fluoreszierender Schirm diente, verwendete, entdeckte er eine eigenartige Strahlung, die Dinge \"durchsichtig\" erscheinen ließ.
Röntgens Behauptungen klangen unglaublich, doch die Handfotografien bildeten einen unantastbaren Beweis, den niemand ignorieren konnte.
Ein Jahr nach den X-Strahlen (=Röntgenstrahlen) wurden von HENRI ANTOINE BEQUEREL (1852-1908) in Paris ebenfalls neue Strahlen, die von Uranerzen stammten, und die nicht nur Materie, wie die X-Strahlen durchdringen konnten, sondern auch in der Lage waren, fotografische Platten zu schwärzen.
Als RÖNTGEN die X-Strahlen entdeckte, lehrte Henri, dessen Vater und Großvater bedeutende Physiker waren, am Museé d\'Histoire Naturelle. Er war zu dieser Zeit bereits zum Professor der Physik an der Ecole Polytechnique ernannt worden und hatte schon einige Arbeiten über Phosphor- und Fluoreszenz geschrieben. BEQUEREL, der hinter das Phänomen der X-Strahlen kommen wollte, stellte Versuche an, bei denen er Uranylkaliumsulphat, das schon sein Vater untersucht hatte, verwendete. Bequerel war erfolgreich. Er entdeckte die Radioaktivität, doch Bequerels Entdeckung verursachte nicht die gleiche Aufregung wie die Sensation der X-Strahlen, viel mehr überließen die Zeitgenossen, die sich viel zu sehr für Röntgens Entdeckung und deren Untersuchung interessierten, \"Bequerels Strahlen\" seinem Entdecker. 1896 stellte BEQUEREL fest, daß man mit der Uranstrahlung nicht nur fotografische Platten schwärzen, sondern auch Gase ionisieren und sie leitend machen kann.
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