Das Heimfindevermögen der Lachse
Die Lachse bieten ein eindrucksvolles Beispiel für die chemische Navigation. Dass sie wieder in ihre Geburtsgewässer zurückfinden beruht auf Substanzen in diesen, die sie über ihren Geruchssinn wahrnehmen. Doch man kann bisher noch nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei den Geruchsstoffen um Pheromone oder irgendwelche anderen chemischen Marken handelt.
In einem entscheidenden Experiment konnte man bereits vor langem zeigen, dass flussaufwärts wandernde Kisutsch-Lachse die Fähigkeit verlieren, die richtige Flussverzweigung zu wählen, wenn man ihre Nasenhöhlen mit Baumwollmull verschließt: Man fing Tiere (insgesamt 302) kurz nach einer Gabelung in einem Fluss. Jeder Fisch wurde markiert, je nachdem, ob er im östlichen oder im westlichen Flussarm gefangen worden war, und man verstopfte dann die Nasenhöhlen bei jeweils der Hälfte der Tiere. Die übrigen Fische jeder Gruppe wurden als Kontrollen nur markiert. Danach ließ man alle Lachse wieder unterhalb der Gabelung frei. In den flussaufwärts in jedem Flussarm aufgestellten Reusen fing man 143 Tiere erneut ein. Unter den Kontrollen hatten alle Wiederfänge aus dem westlichen und 70% aus dem östlichen Flussarm die gleiche Strecke wie beim ersten Mal gewählt. Die Lachse, deren Geruchssinn man blockiert hatte, fand man jedoch wie zufällig verteilt überall wieder.
Welchen chemischen Schlüsselsubstanzen folgen die Lachse auf ihrem Weg flussaufwärts in die Heimatgewässer? Arthur Hasler und Warren Wisby stellten 1950 die Hypothese auf, dass es sich bei den entscheidenden Molekülen um natürliche, im Wasser gelöste Substanzen handelt, die von den frischgeschlüpften Fischen als erste wahrgenommen werden. Diese Gerüche, die typisch sein sollten für den gesamten Heimatfluss, müssten sie während der gesamten Wachstums- und Reifezeit im Meer in Erinnerung behalten. Sie würden den Adulttieren später helfen, zu den Mündungen ihrer Heimatflüsse zurückzukehren, flussaufwärts zu schwimmen und an ihre Laichplätze zurückzufinden. Nach dieser Hypothese verursachen Moleküle aus abgeschwemmter Erde sowie von verschiedenen Land- und Wasserpflanzen den typischen Heimatgeruch. Während eines kurzen Zeitabschnitts können die kleinen Jungfische auf solche lokalen, charakteristischen Duftgemische geprägt werden. Wenn die heimkehrenden Tiere dann 1-5 Jahre später diesem Geruch folgen, sollten sie genau an ihren Geburtsort zurückfinden.
30 Jahre nachdem diese Hypothese aufgestellt worden war, führten Hasler und seine Kollegen ein Experiment, das diese belegen sollte, mit Kisutsch-Lachsen durch. Tausende junger Lachse wurden auf eine bestimmte Substanz geprägt, ausgesetzt und dann über einen Zeitraum von 3 Jahren beobachtet: 2 Gruppen prägte man in einer Zuchtanlage jeweils auf Morpholin bzw. auf Phenylalkohol, die dem Wasser in winzigen Mengen zugegeben wurden. Eine dritte Gruppe, die Kontrollen, wurde keinem der beiden Stoffe ausgesetzt. An dieser groß angelegten Untersuchung waren im ersten Jahr in jeder Gruppe 5000 Fische und im zweiten Jahr jeweils 10 000 beteiligt. Alle Tiere wurden an den Flossen markiert, so dass man ihre Gruppenzugehörigkeit erkennen konnte. Dann ließ man sie frei, auf halbem Weg zwischen 2 Strömen, die man später mit den beiden Konditionierungssubstanzen versetzen wollte. 18 Monate später, als die Fische geschlechtsreif sein mussten und damit bereit zu ihrer Wanderung flussaufwärts, gab man in Fluss A tropfenweise Phenylalkohol und in den 9 km davon entfernten Fluss B Morpholin. Diese beiden Flüsse und 17 weitere (insgesamt eine Uferlinie von 200 km) beobachtete man dann intensiv. Obwohl man nur etwa 3% der insgesamt 45 000 Tiere wieder einfing, lieferten sie doch überzeugende Belege dafür, dass Lachse ihren Heimweg über den Geruchssinn finden: Bei 75% aller Wiederfänge handelte es sich um Tiere, die man auf eine bestimmte Substanz geprägt hatte und die dann auch von dem Fluss "ihrer" Substanz angelockt worden waren. Über 93% der Morpholin-exponierten Tiere fing man in Fluss B wieder, 92% der Phenylalkohol-exponierten Fische in Fluss A. Die Kontrollen hingegen fand man weit verstreut in 15 der beobachteten 19 Flüsse.
Kann man nun aber die Ergebnisse, die man mit künstlichen Substanzen erzielt hat, auf normalerweise natürlich vorkommende Stoffe übertragen? Aus Versuchen ist bekannt, dass Geruchsrezeptoren stark auf bestimmte organische Moleküle aus dem Schleim der Fischhaut ansprechen. Aus anderen Experimenten wissen wir, dass Fische zwischen bekannten und unbekannten natürlichen Gewässern unterscheiden können.
Doch weiß man nicht, ob es sich bei den Geruchsstoffen um Ionen und Mineralien, um organische Substanzen von anderen Organismen oder um chemische Substanzen handelt, die Mitglieder der gleichen Lachspopulation erzeugt haben. Nach Meinung einiger Biologen sind möglicherweise Pheromone am Heimfindevermögen beteiligt. Aber auch Schleimstoffe oder Kotreste von Tieren späterer Generationen, die noch in den Heimatgewässern leben, könnten die richtungsweisenden Schlüsselsubstanzen für die laichbereiten Rückkehrer sein. Unabhängig davon, welches die spezifischen Moleküle sein mögen, können Lachse - und möglicherweise auch viele anderen wandernden Fische - auf jeden Fall einer chemischen Spur im Wasser folgen. Blaurücken-Lachse können offensichtlich Flusswasser im Meer in einer Entfernung von 300 km zur Mündung erkennen. Man hat auch beobachtet, wie Lachse an einer Flussgabelung über den Bereich der höchsten Duftkonzentration hinaus- und wieder zurückschwammen. Entscheiden sie sich für den falschen Flussarm, dann stoppen die Tiere und lassen sich zurücktreiben, bis sie erneut auf ihren Heimatgeruch treffen.
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