5.2.1. Perestrojka in der sowjetischen Außenpolitik
Ziel der sowjetischen Regierung war es Anfang der 80er Jahre "möglichst viel Zeit, Mittel, Aufmerksamkeit und Phantasie auf die Lösung der enormen inneren Umstellungsprobleme zu verwenden. Dazu bedarf es eines relativ entspannten internationalen Klimas, das der UdSSR einen weitgehenden Rückzug von den überambitionierten Positionen und Engagements der 70er Jahre erlaubt." Nicht Krieg und Expansion - wie von Amalrik vorhergesagt - bestimmten also die sowjetische Außenpolitik, sondern internationale Entspannung. In einer Grundsatzrede konkretisierte 1987 der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse Ziel und Weg der Außenpolitik, die in Verringerung der militärischen Konkurrenz, Beseitigung bestehender Konfrontationen zu anderen Staaten und Dämpfung von Konflikt- und Krisensituationen bestehen sollten. Konkrete Ereignisse waren beispielsweise das erste sowjetisch-amerikanisches Gipfeltreffen im November `85 in Genf, das auf Initiative der UdSSR zustandegekommen war. 1986 stellte Gorbatschow die Idee eines "gemeinsamen europäischen Hauses" vor, ab 1988 unterhielten der Rat für gemeinsame Wirtschaftshilfe (RGW) und die Europäische Gemeinschaft (EG) offizielle Beziehungen. Am deutlichsten wurde der Wandel der sowjetischen Außenpolitik jedoch in der Aufgabe der ideologischen wie politischen Hegemonialmacht im Osten Europas. Die Vereinigung Deutschlands fand 1990 auch durch die Vermittlung Gorbatschows statt
5.2.2. Der Chinakonflikt
Der Konflikt zwischen China und der Sowjetunion war in ideologischen Gegensätzen begründet. Der chinesische Kommunismus war geprägt von dem jahrzehntelangen Partisanenkampf der 30er und 40er Jahre und von der siegreichen Revolution 1949 geprägt. Staat und Partei waren Teil und Ergebnis einer revolutionären, dynamischen Kraft. Die UdSSR dagegen zeichnete sich auch nach Ende der Diktatur Stalins durch bürokratischen Zentralismus aus, die KPdSU war bloßes Machtinstrument. Zu diesen unterschiedlichen ideologischen Ausgangspunkten kam hinzu, dass beide Staaten auf verschiedenen Entwicklungsstufen standen und damit unterschiedliche Ziele und Interessen in Wirtschaft sowie in Außen- und Innenpolitik vertraten. Dieser Gegensatz wog umso schwerer, da der Kommunismus immer als ahistorische Ideologie gesehen wurde, die unabhängig von Ort und Zeit gleich ablaufen sollte. Der Konflikt gipfelte Ende der 60er Jahre in Grenzstreitigkeiten am Ussurifluss. In der Folge warf China der Sowjetunion "Sozialimperialismus" vor und bezeichnete deren Regierung als "neue Zaren im Kreml" - für Kommunisten waren beides schwerwiegende Vorwürfe, die von tiefen Konflikten in dieser Zeit zeugten. In den 60er und 70er Jahren durchlief China jedoch die Entwicklung, die die Sowjetunion unter Gorbatschow erst ein Jahrzehnt später erfasste. Die Kulturrevolution (1965-1969) stürzte China in eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise. Nach dem Tode Mao Zedongs und der Entmachtung der alteingesessenen Kader gelangte Deng Xiaoping an die Macht, der wie Gorbatschow auf einen "Kurs der administrativen und wirtschaftlichen Konsolidierung" umschwenkte. Ziel der chinesischen Politik war "'sozialistische Modernisierung' in Gestalt von Wirtschaftsreformen und Öffnung zur Außenwelt" . Diese Veränderungen im Innern ließen außenpolitische Ambitionen vonseiten Chinas nicht mehr zu. Die Verfolgung ideologischer Ziele rückten in den Hintergrund und damit auch der Konflikt mit dem "Freund-Feind" UdSSR.
5.3. Zusammenfassung
Mit der Vorhersage seines sowjetisch-chinesischen Krieges hat sich Amalrik am offensichtlichsten geirrt. Dies wiegt umso schwerer, da für den Autor dieser Konflikt Ausgangspunkt sämtlicher von seinen Analysen ist. Ursache der Fehleinschätzung ist die bereits erwähnte wirtschaftliche Überschätzung der UdSSR und auch Chinas. Beide Staaten hatten wenn auch phasenverschoben in den 70er und 80er Jahren innere Probleme zu bekämpfen. Für Expansion blieben weder die finanziellen, noch die militärischen Mittel.
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