Benoit Mandelbrot ist für die Fraktale Geometrie, was Einstein für die Relativitätstheorie war und Freud für die Psychoanalyse. Ihm war aufgefallen, daß die Preisschwankungen von Baumwolle auch über längere Zeiträume ein ähnliches Muster aufwiesen. Für einen Computerhersteller untersuchte er danach unerklärliche Störungen bei der Datenübertragung in Telefonleitungen, und entdeckte ähnliche Gesetzmäßigkeiten wie bei den Baumwollpreisen.
Er erkannte die Muster die bei sukzessiven Vergrößerungen immer wiederkehrten (Selbstähnlichkeit). Ein kleiner Birkenast sieht mit seinen Verzweigungen im Prinzip aus wie ein ganzer Baum. Später veröffentlichte er in der Zeitschrift "Science" einen Artikel über die Länge der Küste Englands. Für ihn war sie unendlich lang, weil je kleiner der Maßstab, desto deutlicher die gebrochenen Strukturen. Folglich ist die Küste Großbritanniens im kleinsten Maßstab betrachtet tatsächlich unendlich lang.
Das gilt für alle fraktalen Gebilde und chaotischen Systeme. Aufgrund der extremen Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen und deren komplexer, rückgekoppelter Entwicklungsdynamik gleicht tatsächlich kein Fraktal dem anderen: Keine Wolke besitzt die exakt gleiche Form einer anderen, kein Baum, kein Herz, kein Gehirn existiert in identischer Form ein zweites Mal.
Die Fraktale Geometrie beschreibt die Natur, wie sie ist: mit gebrochenen, rauhen Kanten, zerklüfteten Oberflächen und vielfach gefalteten Räumen. Denn tatsächlich hat die Wirklichkeit mit der künstlichen, idealisierten Euklidschen Geometrie und ihren glatten Geraden und Kreisen nicht viel zu tun. Ob es sich um Wolkenformationen oder Bergketten handelt, um Blitz und Donner, Blätter oder Bäume, um Lungen- oder Hirnstrukturen - überall zeigt die Fraktale Geometrie, daß die Natur im mikroskopisch Kleinen wie im makroskopisch Großen fraktale Formen hervorbringt.
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