Ein nackter Körper muss als Objekt gesehen werden, um zum Akt zu werden. Wird ein Mensch nackt ausgestellt, so wird seine Nacktheit zu einer besonderen Verkleidung. Bis hierher folgen Schieles Akte noch ganz der Tradition. Neu dagegen ist die offensichtliche Zurschaustellung des Geschlechtlichen.
Früher wurden, auch in der Kunstfotographie, die primären Geschlechtsmerkmale wegretuschiert, oder man benutzte zur Kaschierung hautfarbene Ganzkörpertrikots, die die Oberfläche von antiken Statuen nachahmten. Schiele wich radikal von diesem Schema ab, indem er den zur Sexualität fähigen Körper zum Objekt seiner Kunst machte.
Seine Akte sind "schamlos", weil sie die Scham drastisch zeigen und das Sexuelle unverhüllt benennen.
Neu an Schieles Zugang zu diesem Motiv ist die Tendenz der "Verhäßlichung" des Körpers. Er thematisierte weniger die "femme fatale"(die Frau als das erotisch anziehende, für den Mann gefährliche Weib), sondern den quälenden Geschlechtstrieb und die Vergänglichkeit des Leibes. Er konzentriert sich auf das Körperliche und sparte alles Ornamentale aus. Daher setzte er mit Vorliebe seine Akte vor eine leere homogene Fläche.
Schieles Voyeurismus erweckt den Anschein von unstillbarer und besessener Lust und hat zu der Ansicht beigetragen, sein sexuelles Verlangen sei krankhaft gewesen.
Die Haltung der Dargestellten ist allerdings oft erstarrt und die Mimik ausdruckslos. Ihnen ist etwas Leidendes zu eigen, sie sehen nicht lüstern, sondern gequält aus. Das Bild des "Erotomanen" wird spätestens dann fragwürdig, wenn man die Selbstakte hinzunimmt.
Schiele macht bei all seinen Aktbildern - und nicht nur bei diesen - den Vorgang des Ansehens zum Thema, indem er den Betrachter zum Thema macht. Die Frauen machen nicht den Eindruck, dass sie die Freiheit gehabt hätten, ungezwungen posieren zu können. Der Künstler Schiele verfügte über sie. Ihre Haltungen ergeben sich nach ihrer zeichnerischen Brauchbarkeit.
Schiele-Aktbilder rechnen stets mit ihrem Betrachter, dieses haben sie mit der Aktfotographie gemeinsam.
|