Gedicht von Bertold Brecht wurde 1928 geschrieben, also zu einem Zeitpunkt, da Brecht unmöglich die moderne Umweltproblematik vorhersehen konnte. Es besteht aus 22 Zeilen, die weder in Anfangs- noch Endreime gefasst sind. In Zeile 2, 5 und 10 wird das Wort "wir" verwendet - "wir stürzten uns", "wir alle erinnern uns", "Noch lesen wir in Büchern". Damit wird ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt. Aber in welcher Absicht? In dem Gedicht werden vergangene Zeiten heraufbeschworen und mit der Gegenwart verglichen, es werden zwei Welten beschrieben, die heutige und die vergangene: In der Zeit "bevor wir uns auf Erdöl, Eisen und Ammoniak" stürzten, also vor der Industrialisierung im weitesten Sinne, bevor der Mensch anfing, die Natur zu beherrschen, gab es noch jedes Jahr eine Zeit, in der die Bäume ausschlugen, "unaufhaltsam und heftig" grünend. Das war die Zeit, in der man bemerkte, dass sicher das Frühjahr kam: Die Luft änderte sich, es wurde heller, blieb länger Tag.
Nun kommt wieder ein Sprung in die Gegenwart: Heute ist es anders, von dieser Jahreszeit lesen wir nur noch in alten Büchern, aber wir erleben sie nicht mehr. Und das frühere Hauptkennzeichen des Frühlings, nämlich die Vogelschwärme, die aus den Wintergebieten zurückkommen, hat schon lange niemand mehr gesehen, über den Städten. Die beste und vielleicht einzige Möglichkeit, um das Frühjahr noch zu sehen, sei die Eisenbahn, bei großen Reisen über das Land. Denn die Ebenen zeigten noch immer deutlich das Frühjahr. Für den, der es erkennen könne, zeige es sich "in alter Deutlichkeit". Zwar sehe man "in großer Höhe" Stürme, aber die berührten nur noch die Antennen, uns schadeten sie nicht mehr.
Das Gedicht zeigt also zwei Ebenen, die unserer Zeit, und die vergangene. Geschrieben wurde es 1928, also zu einer Zeit, als nach unseren heutigen Begriffen die Umwelt paradiesisch sauber und unverbaut war, anders als heute. Aber trotzdem sah sie für Brecht sehr viel anders aus als früher, er war der Meinung, sie sei unheilbar angegriffen. Die Entwicklung, die bis heute weiter ging, hat er nicht mehr gesehen. Aber trotzdem ist dieses Gedicht heute geradezu gespenstisch aktuell, es könnte heute noch immer genau so verwendet werden. Brecht setzt den Beginn der Umweltverschmutzung unglaublich früh an: Noch bevor die Menschen anfingen, nach Bodenschätzen zu graben, das heißt, zu dem Zeitpunkt, da sie anfingen, die Erde aufzugraben und damit nach ihren Gesichtspunkten umzugestalten.
Denn die Einschnitte, die der Ackerbau forderte, waren ja längst nicht so massiv wie jene des Bergbaus. Aber andererseits: Die einzige Möglichkeit, die der heutige Mensch noch habe, um zur früheren Natur zu finden, ist durch genau diesen Fortschritt: Denn nirgendwo zeigt sich die alte Natur so gut wie bei einer Eisenbahnfahrt übers Land, wenn man noch die Vogelschwärme und den Beginn des Frühlings sieht. Wie ist das nun zu verstehen? Gerade der Eisenbahnbau, einer der grössten Einschnitte in die Natur, der 1928 noch passieren konnte, soll also mit geholfen haben, den Menschen die Natur zurück zu bringen? So ist es, denn die Eisenbahn zerschneidet zwar die Landschaft, bringt aber gleichzeitig den Städter in die Natur, wo er sehen kann, was er sonst nicht sieht, weit außerhalb der Zugspur. Und die Vögel können in großer Höhe, wo es noch Gewitter und Stürme gibt, auch die Eisenbahn überfliegen. Hier haben wir nochmals zwei verschiedene Ebenen: Einerseits ist die Eisenbahn ein Symbol der ständigen Naturzerstörung des Menschen, andererseits hilft sie ihm, zur Natur zurück zu finden, indem nur sie ihn dort hin transportiert, wo er den Wechsel der Jahreszeit noch beobachten kann. Es zeigt sich also, wie in dem ganzen Gedicht, dass alles zwei Seiten hat, eine gute und eine schlechte.
Und diese Erkenntnis ist wohl wirklich zeitlos.
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