a) Strukturverschiebungen: Politisierung und Internationalisierung
In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg verschob die Mafia ihren politischen Schwerpunkt endgültig von Sizilien nach Italien. Sie lehnte sich sehr bald an die christliche Koalitionsbewegung DC an, woraus sich auch eine Verschiebung der mafiösen Aktivitäten ergab: Die immer stärker werdende Verflechtung von Politikern und mafiusi zeigte sich u.a. darin, dass beide Gruppen nahezu autonom über die Regionalpolitik verfügten, ohne Dritte einzuschalten. Infrastrukturelle, städtebauliche oder industriepolitische Maßnahmen wurden ohne Mitwirken von Interessensverbänden und Kommunalverwaltung entschieden. Dies brachte eine intensive Politisierung der Mafia. Zu der gehörte auch, dass die Mafia ihren ländlich-feudalen Charakter ablegte. So konnte sie Anschluss an die Urbanisierung und Industrialisierung Süditaliens gewinnen. Sie trat vermehrt als Unternehmer auf, wobei kriminelle Praktiken der cosa nostra, die von italienischen Ausgewanderten in den USA gegründet worden war, in die sizilianischen Mafia-Clans einsickerten.
Neu für das Verhalten der Mafia war auch eine Ausweitung ihrer \"Geschäfte\" auf den gesamten Erdball. So übernahm sie u.a. den Heroinhandel der French Connection. Kritische Beobachter haben eine Verbindung zum amerikanischen Geheimdienst hergestellt, der gehofft habe, durch eine Gewinnbeteiligung am Heroinumsatz den Vietnamkrieg mitzufinanzieren (R. Uesseler). Jedenfalls wandelte sich die Mafia nach dem 2. Weltkrieg vom quasi-feudalen Selbsthilfeverband zum illegalen Verbrechenskartell mit internationalen Verbindungen, wobei die spezifischen sozialpsychologischen und mentalen Elemente der ursprünglichen Mafia nicht sofort verschwanden.
b) Hochfinanz und politische Verfilzung
Die Beteiligung am Drogenhandel machte es notwendig, nach neuen Finanzstrukturen zu suchen, da das illegal erworbene Geld erst reingewaschen werden musste. Auch hier waren die mafiusi überaus erfolgreich: Ihnen gelang es ohne größere Schwierigkeiten, ihre Gewinne dem legalen Wirtschaftkreislauf zuzuführen. Dabei half ihnen der Autonomiestatus für Sizilien aus dem Jahre 1946. Denn damit waren auch Freiheiten im Kreditwesen verbunden. Die Mafia erreichte zunächst eine Kontrolle über das sizilianische Geld- und Kreditwesen, von dort wuchs sie sogar in eine \"Oligopolstellung\" (R. Uesseler) der internationalen Hochfinanz ein und teilte sich fortan mit einigen anderen Bankgruppen die Beherrschung des europäischen Finanzmarktes.
Zugleich wandelte sich das Verhältnis zu Polizei und Justizbehörden, die durch Schmiergeldzahlungen zum Schweigen animiert wurden. In ähnlicher Weise verfilzte sich die Mafia mit der italienischen Politik. Die Korruptionsskandale und politischen Mafiaprozesse verdeutlichen dies. Der berühmteste Fall ist der Prozess gegen den früheren Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, der bis heute die Gemüter der Italiener erregt. Diese Gerichtsverfahren haben erkennen lassen, dass die Mafia durch die Drogengewinne finanziell zwar unabhängig wurde, aber dennoch des Schutzes durch korrupte Politiker bedurfte, um weiterhin ungestört agieren zu können.
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