Das uralte mächtige Reich, welches die Pharaonen und Ptolemäer beherrschten, hatte in seiner größten Ausdehnung ungefähr 6000 Quadratmeilen; es liegt in der nordöstlichsten Ecke von Afrika, ist von dem breiten Nil, dem es seinen ganzen Segen verdankt, in seiner vollen Länge durchströmt, und von zwei Gebirgen gegen Osten und Westen begrenzt. Die üppigste Fruchtbarkeit wohnt hier neben den schrecklichsten Erscheinungen der Wüste: im Niltal ein unerschöpflicher Boden, außerhalb desselben eine dürre, unendliche Sandebene. Diese Gegensätze prägten sich in den Bewohnern aus, und gaben der Mythologie des Landes ihre eigentümliche Richtung.
Der Raum zwischen der östlichen und westlichen Bergkette hat eine Breite von 3 bis 4 Meilen (Anm.: 1 deutsche Meile = 7420,40m), gegen Norden öffnet sich das Land, die Berge treten zurück, der Nil hat sich aus seinem eigenen Schlamm eine Grenze gebildet, welche er nur mit Mühe überschreitet, das Delta zwischen den zahlreichen Mündungen des mächtigen Stromes; ehemals so bedeckt mit unzähligen Städten, wie jetzt mit Ruinen. Jeder Fuß breit Landes war benutzt - weil nur wenig Boden da war darum gab es auch keine Begräbnisplätze, sondern Begräbnishöhlen in dem westlichen Gebirge, welches das Land vor der Wüste verwahrte; während der östliche Strich die Steine zu den noch jetzt Bewunderung und Staunen erregenden Bauwerken lieferte, deren Maße, deren Zahl und deren Größe stieg, je weiter man aufwärts an dem Strome kam. Die ungeheuren Pyramiden, und die, ganze Tagereisen lange Strecken bedeckenden Tempeltrümmer, danken alle der Eigentümlichkeit des Landes ihr Entstehen.
Die Totenwohnungen sollten geschützt werden vor dem Eindringen des Wassers, die Priesterwohnungen vor dem Eindringen der Sonnenglut, daher diese Aufhäufung der gewaltigsten Massen, daher ein Kultus, welcher die Haupterscheinungen des Jahreswechsels zum Fundament hat.
Die alten Griechen und Römer geben an, dass der Urstamm der Bewohner negerartig, mit krausem wolligem Haar, gewesen sei, und auf vielen der alten Intaglios - (Bildwerke im Gegensatz von Relief, nicht erhaben auf dem Stein ausgearbeitet, sondern vertieft), welche die Tempelruinen bedecken und durch den Sand der Wüste vor der Zerstörung geschützt sind, erblickt man wirklich
unzählige Gestalten, welche ganz eine Negerphysiognomie, und wo die Luft oder Menschenhand das Pigment nicht weggewischt, auch noch die Farbe der Neger tragen.
Zu diesen Schwarzen wanderte ein hellfarbiger Stamm aus Meroë ein, welcher in politischer und religiöser Hinsicht der herrschende wurde, aber wahrscheinlich nicht auf jener mächtigen Nilhalbinsel zu Hause war, sondern aus Indien Weisheit und Kultur dahingebracht hatte; eine Meinung, welche sich nach dem berühmten Feldzuge in Ägypten (unter Napoleon) auffallend bestätigte.
Jene Bewohner von Meroë brachten die Kasten Einteilung nach Ägypten Die Priester - Kaste war im Besitz aller Wissenschaft, Kunst und Geschicklichkeit, stand den Königen, ihre Gewalt vielfach beschränkend, zur Seite und verwaltete alle Staats - Ämter. Das Volk wurde von den Priestern in Krieger, Kaufleute, Gewerbetreibende, Ackerbauer, Hirten und Schiffer geteilt.
Anfangs war das Land in kleinere Königreiche geteilt; sie waren durch Priesterkolonien entstanden, welche von Meroë kamen, Tempel und Städte gründeten, sich die roten Einwohner unterwarfen, und als das ganze Land unter einem Herrscher vereint war, das Land in 36 Nomen (Kreise) einteilten.
Das tropische Klima, das regelmäßige Steigen und Fallen des Segen bringenden Nil, die Abhängigkeit dieser Erscheinungen von den Jahreszeiten etc. musste bei dem Urvolke eine Religion erzeugen, welche sich auf Pflanzen-, Tier- und Sternen-Dienst gründete, wobei das Wohltätigste, der Nil selbst, der größte Fetisch wurde.
Nun kamen die fremden Priester, brachten eine neue Mythologie mit, modifizierten aber dieselbe nach dem schon vorhandenen, und neben dem rohen Fetischismus entwickelte sich eine Priesterreligion, welche sich in ihren Symbolen genau mit jener bestehenden verband, die Verehrung der heiligen Tiere dadurch, dass ihnen höhere Begriffe unterlegt wurden, sanktionierte, aber auch die Hauptgottheiten, Isis und Osiris, als Geber alles Guten einführte, und ihrem Dienst alles andere unterwarf.
Der Ackerbau war die wichtigste Beschäftigung des Ägypters, darum mussten sich seine Gottheiten hauptsächlich auf diesen beziehen und den Landmann lehren, das Nomadenleben, welches der Kultur so sehr hinderlich ist, zu verlassen.
Die richtige genaue Bestimmung der Jahreszeiten war das erste Bedürfnis für den Ackerbau treibenden Staat, dessen Gedeihen von der periodisch wiederkehrenden Nilflut abhing. Daher die vorgerückte Kenntnis der Gestirne, der Astronomie überhaupt; und aus der Notwendigkeit, gewisse Erscheinungen mit Bestimmtheit voraussagen zu können, erklärt sich der Wunsch, diese Prognostica noch weiter auszudehnen, und so entstand die Astrologie, welche den größten Einfluss auf das praktische Leben erhielt.
Die alten Ägypter dachten sich eine Klasse von Göttern, welche, als der erste Ausfluss des alleinigen, höchsten Gottes, erhaben stehen über dem irdischen Sein, und noch nicht in die Körperwelt eingetreten sind: Kneph, das Urlicht, das überall vorwaltende befruchtende Prinzip; Athor, die Urnacht, das älteste empfangende, urweibliche Prinzip; Phtha, das Urfeuer, der erste Odem, Lebenshauch - und das zweite männliche Prinzip, vergesellschaftet mit der goldenen Venus, dem zweiten Weiblichen, Empfangenden; Mendes, das Erzeugende im dritten Grade (der Himmel oder Pan, oder der Phallus des Phtha) und Neïth, das Weibliche in dritter Abstufung, die aus der Feuchtigkeit aufgestiegene Erde; ferner Sonne und Mond als zeugende und empfangende Kraft im vierten Grade. Osiris und Isis sind die angebeteten Beherrscher des Reichs; allein die Mensch gewordenen Götter sind allen Gebrechen, allen Unbilden der Menschennatur ausgesetzt, darum haben sie auch von dem bösen Typhon viel zu dulden, unterliegen ihm eine Zeit lang, besiegen ihn aber endlich vollständig.
In dem Stiere Apis wird der Entwilderer der Menschheit, der Lehrer des Ackerbaues, in dem Bock Mendes der Ernährer, der Hüter des Viehes, im Krokodil der gefährliche Feind des Fischers, im Ichneumon der Vertilger dieses Feindes, in der Schlange die Feindin der Reisfelder, in dem Ibis der wohltätige Vogel, welcher die junge Brut dieses bösen Wesens verzehrt etc. etc. angebetet; vor allen aber ist der Nil ein Gegenstand der höchsten Verehrung.
Wie die alten Traditionen fast aller Völker, sprechen auch die der Ägypter von einem frühesten Unschuldszustand. Allein die menschliche Natur war nicht rein genug, um den Lockungen des Sinnenreiches zu widerstehen; die Begierde zog sie in die tieferen Sphären des Irdischen, und zur Strafe wurden sie in irdische Körper eingeschlossen, um durch einen Jahrtausende dauernden Kampf mit den Übeln der Materie sich wieder zu reinigen, bis wohin sie in der Körperwelt, und den Gesetzen derselben vollkommen unterworfen, von Geschöpf zu Geschöpf wandern, um endlich, durch solch eine Prüfung geheiligt, reif zu werden zur Wiederkehr in den Himmel.
Mutmaßlich war indessen dieser Glaube an Seelenwanderung bloß Eigentum der Priesterkaste, denn sonst bliebe der Widerspruch zwischen einem solchen Volksglauben und der allgemein herrschenden Sitte der Einbalsamierung der Toten unerklärbar, durch welche die Ägypter offenbar die Fortdauer des menschlichen Individuums als gebunden an die Fortdauer der körperlichen Hülle bezeichneten. Die einbalsamierten Leichname, Mumien, wurden teils in großen Begräbnisgrüften beigesetzt, teils von den Angehörigen im eigenen Hause verwahrt, ja sogar bei Gastmählern ausdrücklich zu dem Zwecke herbeigebracht, um die Gäste fröhlich zu stimmen, worin der Glaube sich ausspricht, daß die Gewissheit, auf solche Weise unaufhörlich fortzudauern, der größte Trost gegen alle Übel sei.
Das Leben der jetzt bestehenden Welt dauert, nach der Mythologie der Ägypter, ein großes Jahr - eine astronomische Periode von 36,525 gewöhnlichen Sonnenjahren. Ein ungeheurer Brand verzehrt dann das Vorhandene; eine neue, verjüngte Welt geht aus der Asche der zertrümmerten hervor. Ihr Kalender war genau ausgebildet, die Jahreslänge von 365 1/4 Tagen hatten die Ägypter gefunden, und sie führte zu der sogenannten Sothis-Periode von 1461 Jahren, nach welcher der Sirius (bei den Ägyptern Sothis) wieder am ersten Tage des Jahres vor der Sonne aufging. Auch die Periode von 25 Jahren, nach welcher Neu- und Vollmonde wieder auf dieselben Tage des Jahres fallen, war ihnen bekannt.
Planeten zählten sie sieben, nämlich Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Mercur, Mond. Diese Planeten waren die Beherrscher der Tagesstunden, so dass der erste den ganzen Tag, die folgenden aber immer eine Stunde nach der andern regierten. So haben nun denn schon hier unsere sieben Wochentage vom Sonnabend angefangen, wie sie in Griechenland, Rom, und von da aus in ganz Europa noch jetzt genannt werden.
Die Priester-Kaste, deren Geschäft es war, alle Beobachtungen zu machen, aufzubewahren und in Denkmälern auf die Nachwelt zu bringen, setzte ihre Erfindungen und die Erfinder, oder die Heroen jener Zeit, die Wohltäter der Menschheit, in Sterngruppen an den Himmel - so bevölkerte derselbe sich bald mit Menschen und Tieren, welche letzteren zu Symbolen der Götter umgeformt wurden, bis endlich die Götter selbst in Tiergestalt erschienen; auf Holz und Stein, auf Papyrus und Pergament wurden nun diese Tiergestalten mit anderen Zeichen, Attributen, oder ihre Eigenschaften näher bestimmenden Gegenständen gezeichnet, und es entwickelte sich aus diesen Göttervorstellungen eine Tierschrift, eine Hieroglyphenschrift: Hermes oder Thoth (Thaut), d.h. die Priestercorporation, hatte sie den Menschen überliefert.
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