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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Macht platz ihr alten



Heute, gegen Ende des ,,Zeitalters der Extreme" verbringen Ju¬gendliche ihre Freizeit vor allem in den in¬formellen Freundesgruppen und -cliquen Gleichaltriger. Klagen von Jugendfünk¬tionären der Parteien und Gewerkschaften als auch die Werbekampagnen des Deut¬schen Sporthundes geben eindrucksvoll Zeugnis vom derzeitigen Attraktivitätsver¬lust von Verbänden und Organisationen. Dies war nicht immer so.

Umworbene Jugend
Zur ,,Halbzeit" der Weimarer Republik zähl¬te der ,,Reichsausschuß der deutschen Ju¬gendverbände" 76 Tugendverbände mit et¬wa 4 300 000 Mitgliedern unter 21 Jahren. Damit war mit 43% nahezu jeder zweite al¬ler 14-bis 2ljährigen 1926 organisatorisch erfaßt. Selbst diese Zahlen müssen noch nach oben korrigiert werden, da manchen Verbänden wie dem Kommunistischen Ju¬gendverband Deutschlands (KTVD) die Mit¬gliedschaft im Reichsausschuß verwehrt blieb.
Für den Großteil der Jugendlichen schien aus der Sicht der erwachsenen Sozialkon¬trolleure das Ziel aller Jugendpflege er¬reicht, wenn diese von ,,der Straße" fern- und ihrer Aussichtlosigkeit und angeblichen
,,Zügellosigkeit" eine geordnete und organisierte Freizeitgestaltung entgegen¬gehalten wurde. Für diesen Teil der Jugend fand Freizeitleben vor allem in dem abgezir¬kelten Rahmen von Organisationen statt.


Uniformierung und Militärisierung
Gegen Ende der Weimarer Republik wurde der Begriff ,,Jugend" verbands- und partei¬übergreifend zur werbewirksamen Chiffre. Von links bis rechts, unter Atheisten bis zu den Angehörigen konfessioneller Jugend¬organisationen, wurde der Jugendmythos propagandistisch beschworen. Den heutigen Betrachter überrascht, in welch hohem Maße die heterogenen Jugendver¬bände und organisationen Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen in ihrem Gestus, in ihren Stilformen und in ihrem Auftreten aufwiesen.
Besonders die jugendbewegten Stilfor¬men der Wandervogelbewegung wurden von den politischen, konfessionellen und auch berufsständischen Verbänden aufgegriffen. Hinzu kam ein zeittypischer Habi¬tus mit ausgeprägter Uniformierung und Begeisterung für ein militaristisches Formenensemble. Dies kam nicht nur dies¬seits und jenseits der Barrikaden in den Rei¬hen der nationalsozialistischen und kom¬munistischen Jugendorganisationen, son¬dern auch in den konfessionellen Jugend¬verbänden und bündischen Gruppen zum Ausdruck. Den militarisierten vermochte sich offensichtlich kaum eine Gruppe und kein Verband zu entziehen. Über die Orientierung an Disziplin und Uniform herrschte allgemeiner Kon¬sens unter den vielfältigen Jugendverbän¬den und Organisationen.
Diese übereinstimmende, lagerübergrei¬fende mentale Disposition erklärt die hohe Beteiligung von Jugendlichen und Heran¬wachsenden an den Straßenkämpfen gegen Ende der Weimarer Republik, wobei sich die Auseinandersetzungen bei weitem nicht nur auf die Kombattanten der Sturmabtei¬lungen (SA) und des Rotfrontkämpferbun¬des konzentrierten. Neben den im Kommu¬nistischen Jugendverband Deutschlands und der Ritlerjugend (RT) Organisierten wa¬ren sehr wohl auch Mitglieder der Soziali¬stischen Arbeiterjugend (SAJ) und der Ka¬tholischen Sturmschar zur körperliche Kon¬frontation mit dem politischen und mitunter auch konfessionellen Gegner bereit.

Jugend und nationalsozialistischer Volkskörper
Nach der Machtübernahme teilte die Hitler¬jugend mit der SA ein gemeinsames Schick¬sal. Die Politik der Nationalsozialisten benötigte nunmehr keine aktivistische und kämpferische Jugend, sondern eine Jugend¬organisation, die ihren innerhalb des NS ¬Organisationsnetzwerks zugewiesenen Auf¬trag, eine verläßliche, milieu- und klassenübergreifende Gefolgschaft zu erzeugen und dem Nationalsozialismus die Zukunft zu sichern, erfüllte. Besonders deutlich wird dieser konzeptionelle Wechsel im Aus¬tausch der propagandistischen Inhalte. Po¬stulierte Gregor Strasser noch 1932 ,,Macht Platz, ihr Alten!", titelte bereits eine Ende 1933 erschienene Broschüre mit der schon programmatisch zu nennenden Losung ,,Schluß mit der jungen Generation".
Nicht Opfermut und ,,Kampfkraft" für die nationalsozialistische Bewegung standen fortan oben auf der Werteskala, sondern die Integration der jungen Aktiven in den natio¬nalsozialistischen Volkskörper. Zwar stieß dieser Versuch einer Entschärfung des Generationenkonflikts auf Unmut unter langjährigen RT-Mitgliedern, doch machte diese konzeptionelle Änderung die Hitlerjugend vor allem attraktiv für die Angehöri¬gen der Mittel- und Oberschicht. Von Werbekampagnen unterstützt, boomte die Ritlerjugend: Ende 1933 waren 28% der 14-bis 18jährigen in ihr organisiert, Ende 1934 42,9% und Ende 1936 schon 49%, etwa 2,000.000 Jugendliche.
Es griffe bei weitem zu kurz, den Erfolg der Hitlerjugend zum überwiegenden Teil auf die Werbemaßnahmen, die spätere Zwangsmitgliedschaft und den Opportunis¬mus der Eltern zurückzuführen, die bei Nichtmitgliedschaft ihrer Schützlinge um die eigene Karriere und die ihrer Kinder fürchteten. Die Integration hündischer Stilelemente wie das Fahrtenwesen und die La¬gerfeuerromantik machten den Dienst in der Ritlerjugend ebenso attraktiv wie die Möglichkeit, sich durch Teilnahme am RT-Dienst dem Einfluß von Elternhaus und Schule zu entziehen .
Reibereien und Konflikte zwischen loka¬len RT-Führern und BDM-Führerinnen auf der einen Seite und Eltern und Autoritäten auf der anderen waren an der Tagesord¬nung, da sich erstere schon durch die Über¬nahme von Funktionen auf unterer Führungsebene vom Jugendstatus emanzi¬piert sahen.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führte zu einschneidenden Veränderungen des RJ-Dienstalltags. besonders unter den Bedingungen des Luftkriegs der Alliierten vermochte die Hitlerjugend ihren zugewiesenen Erziehungsauftrag nicht mehr zu erfüllen. Hinzu kam, daß durch die Herabset¬zung des Einberufungsalters zum Reichsar¬beitsdienst und zur Wehrmacht die unteren RT-Führer in immer kürzeren Zeitabständen ausgewechselt und durch Schüler aus den Mittel- und Oberschulen ersetzt wurden. Diese Dominanz von Mittel- und Ober¬schülern auf den HJ-Führerpositionen führ¬te zu internen Konflikten, die eine starke Minderheit von Jugendlichen vor allem in den industriellen Ballungsräumen veran¬laßte, der RT den Rücken zu kehren und sich alternativen Jugendgesellungen wie den Edelweißpiraten zuzuwenden.
Die anderen verblieben in der Hitlerjugend und im Bund Deutscher Mädel - mit der Perspektive, die RT-Dienstnachmittage und -abende mit Hilfsdiensten zu verbrin¬gen bzw. als junge HJ-Angehörige auf den lebensgefährlichen Dienst in Heer und Marine an den sich auflösenden Kriegsfronten vorbereitet zu werden.

Skeptische Jugend

Nach der Befreiung vom NS-Regime nah¬men die Jugendverbände und Organisationen unter argwöhnischen Blicken der Besatzungsbehörden ihre Tätigkeit wieder auf. Während die Hitlerjugend verboten blieb, reorganisierten sich die anderen parteipoli¬tischen Jugendverbände und die großen konfessionellen Jugendorganisationen. Per¬sonell wie programmatisch knüpften sie an die ihnen vertrauten Muster der Jugendarbeit gegen Ende der Weimarer Republik an:
. Wanderungen wurden durchgeführt, Zeltla¬ger angeboten.

Doch die Wiederbelebung der Jugend¬arbeit und der Neuanfang in der Jugendpoli¬tik beseitigte nicht die allerorten zu beobachtende Skepsis von seiten der Jugend¬lichen gegenüber den sich wieder konstitu¬ierenden politischen Parteien. Vor diesem Hintergrund dürfte kaum verwundern, daß noch 1948 nur 5% der westdeutschen Ju¬gendlichen in einer politischen Partei orga¬nisiert waren.

Jugend als Kader- und Massenorganisation
Wie sah es nun mit dem parteipolitischen Engagement der Jugendlichen in der So¬wjetischen Besatzungszone aus? Hier hatte die Sowjetische Militäradministration im März 1946 die Freie Deutsche Jugend (FDJ) zugelassen. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) suchte in der Folge¬zeit mit jugendspezifischen, vermeintlich nicht ideologienahen Lösungen und Forde¬rungen Jugendliche für die Partei zu gewin¬nen . Diesem Konzept lag eine Sicht von der Jugend als speziellem sozialen Bezugsfeld mit eigenen Interessen und Wün¬schen zugrunde - eine Selbstpräsentation, die eine Mitgliedschaft in der FDJ zu diesem Zeitpunkt für viele Jungen und Mädchen durchaus attraktiv machte.
Mit dem Beginn des Kalten Krieges und der sich immer deutlicher herauskristallisierenden Aufteilung der Welt in zwei hege¬moniale Blöcke änderte sich im Herbst 1947 die jugendpolitische Strategie der SED. Demokratische Prinzipien in der Jugendarbeit wurden nunmehr ersetzt durch ein zuneh¬mend klassenkämpferisches Hegemonie-streben. Das jugendpolitische Konzept der SED orientierte sich fortan an der marxi¬stisch-leninistischen Position, die der Tu¬gend jedes Anrecht auf Eigen- und Selbstän¬digkeit entzog und der Prämisse eines klas¬senspezifischen Interessenkonsenses folgte . Die FDT wurde zu einer Massenorga¬nisation, deren jugendpolitische program¬matische Ausrichtung die SED-Führung bestimmte.

 
 

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