In Deutschland hatte nach dem Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848
Ernüchterung eingesetzt. Statt der hehren Ideale von 1789 oder 1813 wurde
\"Realpolitik\" das Schlagwort der neuen Ära und Otto von Bismarck (1815-1898) ihr
erfolgreichster Interpret. Sein Politikverständniss charakterisierte eine
programmatische Rede als preußischer Ministerpräsident 1862: \"Nicht durch Reden
und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern
durch Eisen und Blut.\"
Von Demokratie und Parlament hatte Bismrack keine hohe Meinung und ließ
dies in seinem Regierungsstil auch deutlich erkennen. Als er sein Amt antrat,
befand sich die preußische Regierung in einer Krise, die König Wilhelm I.
(1797-1788) bereits an den Rand der Abdankung gebracht hatte. Im Zusammenhang mit
einer Heeresreform verweigerte das Parlament der Regierung die Zustimmung zum
Staatshaushalt. Bismarck löste das Problem auf seine Weise: Er regierte in den
folgenden 4 Jahren ohne Parlament.
Der Erfolg seines verfassungswidrigen Vorgehens aber brachte schließlich selbst
seine schärfsten Kritiker zum Schweigen oder nötigte ihnen gar Bewunderung ab. In
seinen Zielen unbeirrbar, war er in der Wahl seiner Mittel nicht eben zimperlich.
Oberster Zweck seiner Politik war die Machterweiterung Preußens und die
Machtstabilisierung des Monarchen. Denn Bismarck war ein preußischer, kein
deutscher Patriot. Dennoch gelang es ihm, die nationale Einheit herzustellen. In
ihrer Begeisterung übersahen manche Liberale, wie sehr die Freiheit dabei auf der
Strecke blieb.
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