Am Beispiel der Krisenentwicklung in Deutschland möchte ich den Ablauf der Wirtschaftskrise näher dokumentieren. Als erstes stelle ich die Frage nach den Ursachen dieser Krise. Die Antwort ist in der privaten Investitionsnachfrage und der Staatsausgaben zu finden. In den beiden Bereichen sind starke Rückgänge festzustellen, wobei das Schrumpfen der privaten Investitionen zeitlich eher beginnt (bereits 1928) und größere Ausmaße erreicht als der Rückgang der Staatsausgaben. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die Gründe für den Rückgang der privaten Investitionen zu untersuchen. In diesem Bereich dürften neben anderen auch psychologische Faktoren eine Rolle gespielt haben.
Der Rückgang der Staatsausgabem ist jedoch nicht nur als eine Reaktion einer sich konjunkturpolitisch neutral verhaltenden Stelle auf den Rückgang des Sozialproduktes und der Staatseinnahmen aufzufassen. Die Staatsausgaben, vor allem die Konsumausgaben des Staates, waren im Jahr 1930 stärker vermindert worden als es die geringfügige Abnahme der Steuereinnahmen erfordert hatte. Mindestens in diesem Umfang kann also von einer aktiven Rolle des Staates bei der Verursachung und Verschärfung der Wirtschaftskrise gesprochen werden, da die Masse von zu versteuernden Gütern und Leistungen sank, sowie die Einnahmen aus den Staatsbetrieben selber. Hinzukommt, daß die Zahl der Arbeitslosen stieg. Also wurden die Steuersätze erhöht. So brachte die notver-ordnete Erhöhung Millionen von RM ein. Auf der anderen Seite wurde die Arbeitslosenunterstützungen um die Hälfte gekürzt. Indem der Staat seine eigenen Ausgaben senkte, schränkte er schließlich die Produktion der Staatsbetriebe ein. Daraus folgte aber eine weitere Verschärfung der Krise. Die zahlungsfähige Nachfrage wurde durch die Arbeitslosengesetzgebung vermindert; sie wurde weiter vermindert durch die Umsatzsteuererhöhungen, die ganz selbstverständlich auf die Preise abgewälzt wurde, wodurch die Gesellschaft zuzüglich zum direkten Lohnabzug einen erhöhten indirekten über die Steuererhöhung hinnehmen mußte. Sie wurde schließlich noch weiter vermindert durch die Einschränkung der Staatsproduktion, die die in der Privatwirtschaft teilweise noch überstieg.
In der Nationalökonomie der gesamten westlichen Welt wurden die seit Anfang des 19. Jahrhunderts auftretenden Wirtschaftskrisen überwiegend als eine Art Selbstreinigungsprozeß der Wirtschaft betrachtet, der in seiner Entwicklung die Kräfte selbst freisetzt, die die Krise beenden und einen neuen Aufschwung herbeiführen.
Von dem gleichen festen Glauben an die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft ging neben der Wirtschaftstheorie im engeren Sinne auch die Finanztheorie aus. Sie empfahl folgerichtig die Ausgeglichenheit des Staatshaushalts als obersten Grundsatz jeder Finanzpolitik.
Neben dem gekennzeichneten Stand der Wirtschaftstheorie, der für alle von der Krise betroffenen Länder etwa gleich war, gab es jedoch einen Faktor, der es der Wirtschaftspolitik in Deutschland besonders schwer machte, Maßnahmen gegen die Krise gleich welcher Art zu ergreifen. Dieser Faktor ist die Erinnerung an die nur wenige Jahre zurückliegende große Inflation in Deutschland. Die Stabilerhaltung des Geldwertes als wichtiges Ziel taucht immer wieder in den Reden der Politiker auf, und nur infolge des Traums "Stabilerhaltung des Geldwertes" konnten im Höhepunkt der Krise strengste Maßnahmen zum Ausgleich des Reichshaushalts ergriffen werden, obgleich doch die Stabilität des Geldwertes, allerdings in der anderen Richtung, längst dahin war und die Preise 30 und mehr Prozent unter dem Stand von 1928 lagen.
Wenn man eine Arbeitslosigkeit von 5 % aller Beschäftigten als Grenze nimmt, an der die Vollbeschäftigung der Wirtschaft aufhört und Massenarbeitslosigkeit und Krise beginnen, hat Deutschland nur eine sehr kurze Periode der Vollbe-schäftigung zwischen 1918 und 1933 gekannt. Schon ab Mitte 1928 kam es zu einer Stillegung von immer mehr leistungsschwachen Arbeitsplätzen und Entlassungen leistungsschwacher Arbeitskräfte. Ende 1928 waren schon weit mehr als 2 Millionen Männer und Frauen arbeitslos, und im Winter 1929 gab es bereits 3 Millionen Arbeitslose. Für die Monate Januar / Februar 1933, als die Arbeitslosigkeit ihren absoluten Höhepunkt erreicht hatte, waren von den 20,2 Millionen Erwerbspersonen in Deutschland: 8,7 Millionen Arbeitslose, 4,3 Millionen Kurzarbeiter, 0,3 Millionen in Lagern des Arbeitsdienstes, 6,9 Millionen Vollbeschäftigte.
Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, daß teilweise nur 36 und 32 Stunden, ja auch 24 und 16 Stunden pro Woche gearbeitet, nur noch an zwei bis drei, in Extremfällen nur noch an einem Tag der Woche der Betrieb nicht geschlossen wurde. (1)
Zum anderen findet man aber gerade wegen der hohen Arbeitslosigkeit häufig Fälle von Überarbeitszeit; tägliche Arbeitszeiten von 12 und 15 Stunden oder Wochenarbeitszeiten von über 80 Stunden waren keine Seltenheit und wurden im wesentlichen auch geduldet.
Im Band 15 seiner "Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus" stellt der Wirtschaftshistoriker Jürgen Kuczynski die Lohnverluste der deutschen Industriearbeiterschaft von 1929 bis März 1933 zusammen und bemerkt:
Die Reallöhne der Arbeiter sanken in diesen Jahren um mehr als ein Drittel. Die Verelendung der arbeitenden Klasse in Deutschland ist nicht nur aus der ökonomischen Krise allein zu erklären, sie wurde noch verschärft durch die Notverordnungen des Kanzlers Brüning. Allein durch die Notverordnung im Jahr 1931 wurde eine Lohn- und Gehaltskürzung in der Privatwirtschaft von vier Milliarden Mark vorgenommen.
Wenn der Unternehmer die Löhne erhöht, aber ein immer höherer Prozentsatz des Lohnes an den Staat abgeführt werden muß, dann gewinnen die Arbeiter mit ihren Lohnkämpfen zwar bisweilen durchaus beachtliche "Bruttosiege" - jedoch der Nettosieg ist nur klein. (2)
Der Rückgang der volkswirtschaftlichen Investitionen begann in Deutschland bereits im Jahr 1928. Obwohl die Bruttoanlageinvestitionen gegenüber 1927 noch zugenommen hatten, führte der starke Rückgang der Lagerzugänge insgesamt zu einem Absinken der volkswirtschaftlichen Inlandsinvestitionen. Auch in dieser Hinsicht ist also zumindest ein selbständiger Beginn der deutschen Wirtschafts-krise festzustellen.
Da die Investitionen der Unternehmer in starkem Maße von Erwartungsgrößen, insbesondere den Gewinnerwartungen abhängen, die ihrerseits in Abhängigkeit von der psychologischen Situation des Erwartenden geschätzt werden, kann nicht jede Verbindung der deutschen mit der Weltkrise geleugnet werden. Insbesondere hat die sich entwickelnde internationale Krise sicherlich die psychologische Situation für die Vornahme von Investitionen in Deutschland verschlechtert und so die vorher entstandene Krise verschärft.
Bereits seit 1928 begann sich - und das nicht zum ersten Mal - zu zeigen, daß eine Beschränkung, ja Stagnation der Konsumgüterproduktion zu einer Verminderung auch der Anlageinvestitionen für diesen Zweig und schließlich für die gesamte Industrie führt, falls nicht im Außenmarkt oder etwa im Rüstungsmarkt ein Ausweg und damit ein Anreiz für Investitionen der Schwerindustrie gefunden wird. (3)
Eine weitere Belastung waren die Reparationsleistungen. Der bis 1929 negative Saldo der Leistungsbilanz wurde noch erhöht durch die Reparationsleistungen Deutschlands. Der erwähnte Leistungsbilanzsaldo erhöht sich also um den Betrag der Kreditverpflichtungen gegenüber dem Ausland. Die bekannte Tatsache, daß die von Deutschland geleisteten Reparationen vollständig aus vom Ausland gewährten Krediten geleistet wurden, wird hierdurch noch einmal unterstrichen.
Die Abwicklung der Zahlungen hat man sich dann so vorzustellen, daß das Reich zur Auszahlung der Beträge bei der Reichsbank die Devisenbeträge ankaufte, die ausländische Kreditgeber oder deutsche Kreditnehmer in Reichsmark umwechseln wollten.
Im Juni 1931 war Brüning, seinen Memoiren zufolge, festentschlossen, die Welt nicht auf eine Revision des Young - Planes (Regelung der Reparationsfrage), sondern auf eine völlige Streichung der Reparationen schrittweise vorzubereiten und betrachtete dabei die Unruhe im Lande als ein Mittel zum Zweck. Eine Krise war ihm trotz der ungeheuren Schwierigkeiten "nicht so unwillkommen." (4)
Nach Meinung des hier Zitierten hatten also nicht die Reparationen als solche eine krisenverschärfende Wirkung, sondern im Gegenteil sollte die Krise im Kampf gegen die Reparationen eingesetzt und dementsprechend verschärft werden. So stand die Reparationspolitik unter dem Motto "Es kann der deutschen Wirtschaft gar nicht schlecht genug gehen, sonst werden wir die Reparationen nie los".
Die ganze Transaktion konnte nur dann den deutschen Kreditmarkt und die deutsche Zahlungsbilanz bedrohen, wenn die Zinsleistungen das Leistungs-vermögen der deutschen Volkswirtschaft, d.h. den Leistungsbilanzüberschuß, überschritten und gleichzeitig das Ausland zu weiteren Krediten nicht bereit war, oder wenn der Abzug großer kurzfristig angelegter Summen die Gold- und Devisenreserven plus Leistungsbilanzüberschuß überstiegen. Allerdings war ein großer Teil der Auslandskredite nur kurzfristig gegeben.
Man kann auch stark sein als Schuldner, man muß nur genügend Schulden haben, daß der Gläubiger seine eigene Existenz mitgefährdet sieht, wenn der Schuldner zusammenbricht. (5)
Die Rechnung war ganz einfach. Die Reparationen wurden mit im Ausland bei privaten Gläubigern aufgenommenen Krediten bezahlt, und wenn es einmal zum großen Krach kommen sollte, dann würden diese privaten Gläubiger auf Rückzahlung ihrer Kredite bestehen und damit automatisch eine Einstellung der Reparationszahlungen erzwingen. Sicherheitshalber wurden die nur kurzfristig gewährten Kredite auch noch langfristig in Form von Investitionen angelegt, so daß die Rückzahlungsschwierigkeiten noch größer werden würden.
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