Eckhard Behrens definiert den Bildungsgutschein folgendermassen: «Der Bildungsgutschein ist ein Wertpapier, das dem Schüler oder Studenten die staatliche Finanzierung seines Rechts auf Bildung verbrieft und der Schule oder Hochschule den Rechtsanspruch auf einen Geldbetrag verbrieft, der die durchschnittlichen Kosten eines Schülers oder Studenten im selben Bildungsgang decken kann.» ) Den einzelnen Schulen ist es freigestellt, Schulgelder zu verlangen, welche den Wert des Gutscheins übersteigen. Dieser Betrag muss von den Eltern oder Studierenden selbst aufgebracht werden.
Die Einführung des Bildungsgutscheins wird von verschiedenen Voraussetzungen und Gegebenheiten begleitet. Dazu zählt das Recht auf Chancengleichheit, die Selbstverwaltung und Autonomie der Schulen, der freie Wettbewerb unter Schulen und Hochschulen, die freie Schulwahl und der Staat als Kontroll- und Lenkungsorgan. Diese Punkte werden wir im folgenden näher erläutern.
5.1 CHANCENGLEICHHEIT
Winfried Böhm beschrieb die Chancengleichheit als: «Die Sicherstellung einer der Begabung des Einzelnen entsprechenden Bildung.» )
Der Harvard-Professor Christopher Jencks konnte in einer Studie nachweisen, dass volle Chancengleichheit bei allen Anstrengungen kompensatorischer Erziehung eine reine Illusion darstellt. ) Selbst in einem staatlich administrierten System können wohlhabende Familien ihre Kinder an eine Eliteschule schicken.
Insbesondere das Gutscheinsystem der Jencks-Commission versucht die Chancengleichheit mittels einkommensabhäniger Beiträge möglichst optimal wieder herzustellen. Auf dieses System gehen wir unter «Varianten» näher ein.
5.2 SCHULAUTONOMIE
In diesem Modell werden die Schulen nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführt. Dies erlaubt ihnen eine umfassende organisatorische und pädagogische Freiheit. Insbesondere das Lehrangebot, die Dauer der Ausbildung sowie die Lehr- und Lernformen werden dadurch eingeschlossen. Die Schulleitung wird damit zur Unternehmensleitung. )
Eine viel geäusserte Befürchtung ist, dass sich selbstverwaltende Schulen die Ergebnisse ihrer Studenten beschönigen, indem sie Prüfungen vereinfachen. Diese Gefahr des Missbrauchs ist als gering einzuschätzen, denn der Abnehmermarkt wird rasch auf Manipulationen reagieren. Eine Schule kann langfristig nur mit einem guten Ruf sowie optimalen Bildungsergebnissen bestehen. )
5.3 WAHLFREIHEIT
Der Bildungsgutschein legt den Nachfragern (Eltern/Schüler) die finanzielle Verfügungsmacht in die Hände. Sie haben damit die volle Freiheit beim Wählen der geeigneten Schule (Konsumentensouveränität). )
Schlechte Schulen hätten somit wesentlich weniger Zulauf als gut geführte und angebotsorientierte. Dies schafft für die Bildungsanstalten und damit für die Lehrer einen Anreiz, ihren Unterricht optimal zu gestalten. )
5.4 GLEICHSTELLUNG VON ÖFFENTLICHEN UND PRIVATEN SCHULEN
Staatlich und privat geführte Schulen werden einander sowohl finanziell als auch rechtlich gleichgestellt. Indem die Schulen sich über die Gutscheine der Studenten finanzieren, kämpfen sowohl öffentliche als auch private Anbieter mit gleich langen Spiessen. Ebenfalls gelten für beide Organisationsformen die selben staatlichen Richtlinien und Kontrollorgane.
5.5 FUNKTION DES STAATES
In einem via Gutscheine regulierten Bildungsmarkt fallen die meisten administrativen Aufgaben auf den Staat. Damit insbesondere im obligatorischen Bereich des primären und sekundären Sektors die Qualität der Grundausbildung gewährleistet ist, entstehen für den Staat neue Kontroll- und Lenkungsfunktionen.
Zum einen schreibt der Staat Bildungsziele fest und regelt die Prüfungsanforderungen. Wie die einzelnen Anbieter diese Ziele erreichen, wird aber offen gelassen (Methodenfreiheit). )
Um die vorgegebenen Richtlinien zu kontrollieren, werden Kontrollorgane gebildet, welche staatlich oder durch private Personen zusammengestellt werden können.
Zum anderen erteilt der Staat Schullizenzen. Diejenigen Institute, welche eine Schulzulassung erhalten wollen (um damit Bildungsgutscheine beim Staat einlösen zu können), müssen der staatlichen Behörde einen Regelkatalog vorweisen. Entspricht jener der vorgegebenen Richtung des Staates, so wird diese Schule eine Lizenz erhalten. )
Minimale Bildungsstandards müssen durch den Staat gesichert werden. Falls eine Familie wenig Einkommen erzielt, ist es Aufgabe der Behörden, dass diese Kinder die gleichen Voraussetzungen erhalten wie jene von reichen Familien.
5.6 VARIANTEN
5.6.1 UNREGULATED MARKET MODEL
Der ungeregelte Bildungsgutschein geht auf Milton Friedman zurück, einem Vordenker des Bildungsgutscheins. Dieses System sieht einen weitgehend wettbewerblich gesteuerten Bildungsmarkt mit einigen ordnenden Staatsfunktionen bei freier Preisbildung vor. Der Preis des Gutscheins ist konstant bzw. einkommensunabhängig. Ein Vorteil ist der geringe Regulationsbedarf, welcher wirtschaftsliberalistischen Grundsätzen sehr entgegenkommt. Die Produktionskosten könnten dadurch gesenkt werden, dass Leistungstests eingeführt würden und nur begabte und lernwillige Schüler den Ausbildungsprozess reibungsfrei und mit Erfolg durchlaufen. )
5.6.2 REGULATED COMPENSATORY MODEL
1970 hat Christopher Jencks, Hauptautor einer Studie des Center for Study of Public Policy (CSPP), einen Bildungsgutschein erarbeitet, welcher vor allem Rücksicht auf benachteiligte und unterprivilegierte Bildungsnachfrager nimmt. Dieser ist ergänzungsfähig, was grösstmögliche Wahlfreiheit bei grösstmöglicher Chancengleichheit ergibt. Zitat Jencks: «Ein Gutschein, der diese Einschränkungen nicht hat, könnte der ernsthafteste Rückschlag im Bildungswesen für unterprivilegierte Kinder in der Geschichte Amerikas sein». )
Der Grundwert des Gutscheins errechnet sich aus den Durchschnittskosten vergleichbarer staatlicher Schulen. Finanziell schwache Familien sollen einen Ergänzungsschein erhalten, welcher individuell zum Einkommen festgelegt wird und das Doppelte des Grundscheins (Maximalwert) betragen kann.
Um einer möglichen Elitebildung und Diskriminierung zu begegnen, besteht für die Schulen ein Aufnahmezwang. Bei Übernachfrage werden mindestens 50 % der Schülerplätze verlost. )
5.6.3 UNREGULATED COMPENSATORY MODEL
Marinus Carel Eduard van Gendt beschreibt in seiner Doktorarbeit «The voucher concept and the publicness of basic education»: «The unregulated compensatory model resembles the un-regulated market model, except for the disadvantage of this latter model, namely: the poor are not pro-tected against an unregulated market place». )
Dieses von Peacock und Wiesman (1958/1964) unterstützte Modell sieht vor, dass der Staat Gutscheine zu einem festen Betrag ausgibt, der aber zu versteuern ist. Damit nimmt der Wert des Vouchers (Bildungsgutschein) mit zunehmendem Einkommen durch die Steuerprogression ab. )
5.6.4 EGALITARIAN MODEL
Bei diesem Modell werden Gutscheine mit einem fixen Wert ausgegeben. Schulen, die einen solchen Gutschein akzeptieren, ist es nicht erlaubt, ein zusätzliches Schulgeld zu verlangen. Dafür dürfen Schenkungen und Subventionen akzeptiert werden.
Das Ziel des egalitären Bildungsgutscheins ist, dass sich durch die staatliche Preislimite die Schulen nur durch die Diversifizierung des Bildungsangebotes konkurrieren. Ebenso wird erwartet, dass die Anbieter bemüht sind, ihre Kosten zu minimieren und das Angebot optimal zu gestalten.
Dieses System hat den Nachteil, dass spezifische Nachfragebedürfnisse und Ausbildungsleistungen nicht berücksichtigt werden, da keine Ergänzungsleistungen möglich sind. )
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