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EINLEITUNG br /
Niederlande, Königreich in Westeuropa, das im Norden und Westen an die Nordsee, im Osten an Deutschland und im Süden an Belgien grenzt. Zusammen mit Belgien und Luxemburg bilden die Niederlande die so genannten Beneluxstaaten. Die Niederländischen Antillen und Aruba, zwei selbst verwaltete Territorien in der Karibik, gehören ebenfalls zum Königreich. Die Niederlande umfassen eine Gesamtfläche von 41 526 Quadratkilometern, von denen 33 880 Quadratkilometer Landfläche sind. Die Hauptstadt und größte Stadt des Landes ist Amsterdam.
Das Land hat eine maximale Nord-Süd-Ausdehnung von 300 Kilometern, von Westen nach Osten erstreckt es sich über rund 180 Kilometer. Die Küstenlänge beträgt etwa 451 Kilometer.
2 LAND
Das Wort Niederlande (niederländisch Nederlanden) bedeutet tief liegendes Land; ein großer Teil des Nordens und des Westens des Landes liegt unterhalb des Meeresspiegels. Diese Region, die als Niedere Niederlande bezeichnet wird, ist von Kanälen, Flüssen und kleinen Buchten geprägt. Im Osten und Süden liegen die Hohen Niederlande, deren Oberfläche leicht über dem Meeresspiegel liegt und deren Landschaft flach bis leicht hügelig ist. Das Gebiet in den Hohen Niederlanden ist selten höher als 50 Meter. Nur im äußersten Südosten gibt es mehrere Erhebungen über 100 Meter.
"Gott erschuf die Welt, aber die Holländer erschufen Holland", so lautet ein altes niederländisches Sprichwort. Die Deiche, Kanäle, Staudämme, Schleusen und Windmühlen, die die Landschaft der Niederlande prägen, sind alle Teil des Entwässerungssystems, das bereits im Mittelalter existierte. Dieses System hat es den Bewohnern des Landes ermöglicht, dessen Fläche um fast ein Fünftel zu vergrößern. Ohne die ständige Dränage und den Schutz der Stranddünen wäre etwa die Hälfte der Niederlande von Wasser bedeckt.
Am 1. Februar 1953 führten eine Springflut und schwerer Wellengang dazu, dass die Deiche und Dünen an der Küste der nördlichen Provinz Zeeland brachen. Etwa 162 000 Hektar wurden überflutet, und mehr als 100 Menschen starben. 42 Jahre später wurden mehr als 250 000 Menschen aus dem Osten und dem Inneren des Landes evakuiert. Infolge schwerer Regenfälle in Frankreich und Deutschland waren der Rhein und die Maas über die Ufer getreten, und man befürchtete, dass die Deiche an den Flüssen Lek, Maas und Waal, Mündungsarme und Zuflüsse des Rheins in den Niederlanden, durch den Druck der hereinbrechenden Fluten aus den überschwemmten Gebieten brechen könnten. Die Deiche hielten dem Druck stand; zum Schutz vor weiteren Katastrophen wurde aber ein kostenaufwendiges Programm in Angriff genommen, um die Arbeit an mehr als 800 Kilometern Flussdeich zu beschleunigen.
2.1 Physische Geographie
An der Nordseeküste der Niederlande gibt es zahlreiche, zum Teil lang gestreckte Sanddünen. Im Südwesten werden die Dünen von Flussmündungen unterbrochen, die Deltas mit kleinen Inseln bilden. Im Norden drang das Meer durch die Dünen in das Festland vor; dadurch kam es zur Bildung der Westfriesischen Inseln, die eine Fortsetzung der festländischen Dünengürtel darstellen. Hinter diesen Inseln entstand ein Gezeitenmeer, die Waddenzee. Das Hinterland der Dünen liegt überwiegend unterhalb des Meeresspiegels; es wird durch Deiche geschützt und durch ständige Maßnahmen der Entwässerung trocken gehalten. Die frühere Zuiderzee, eine ehemalige Flussmündung des Rheins und später ein Binnenmeer, wird allmählich trockengelegt. Der so genannte Abschlussdeich, der die Zuiderzee von der Waddenzee und der Nordsee trennt, wurde 1932 fertig gestellt. Zu jener Zeit wurde damit begonnen, ein Gebiet von 225 000 Hektar trockenzulegen; das Ergebnis dieser Landgewinnung waren Polder, wie der Süd- und der Ost-Flevoland-Polder sowie der Nord-Ost-Polder. Ein großer Teil der ehemaligen Zuiderzee ist seit Beginn der achtziger Jahre trockengelegt worden. 1986 wurde die zwölfte niederländische Provinz, Flevoland, aus den zwei Flevoland-Poldern und dem Nord-Ost-Polder geschaffen. Der Rest der Zuiderzee wurde in einen Süßwassersee umgewandelt, das IJsselmeer.
Die Inseln der südwestlichen Deltaregion durchlaufen ebenfalls einen Prozess der Veränderung. Nach der verheerenden Flut von 1953 wurde mit der Realisierung des Delta-Planes begonnen, um die Region durch den Bau einer Reihe von massiven Dämmen und Deichen zu schützen und einige Meeresbuchten von der Nordsee abzuschneiden. Im Zuge des Projekts, das 1986 fertig gestellt wurde, wurden mehrere Süßwasserseen geschaffen.
Der Großteil der östlichen Hälfte der Niederlande besteht aus tief liegendem, von sandigem Schwemmland bedeckten Gebiet, dessen Material von den Gletschern des Pleistozäns und den nacheiszeitlichen Flüssen abgelagert wurde. Während in den küstennäheren Gebieten das Gewässernetz vorwiegend künstlich gestaltet ist, sind in den östlichen Landesteilen noch natürliche Flussläufe vorhanden. Der Vaalserberg (321 Meter), die höchste Erhebung der Niederlande, liegt als Ausläufer des Rheinischen Schiefergebirges im äußersten Südosten des Landes.
2.2 Flüsse und Seen
Die größten Flüsse der Niederlande sind der Rhein (niederländischer Anteil etwa 200 Kilometer) und seine zahlreichen Nebenflüsse und Mündungsarme, darunter Waal und Lek; ferner die Maas und die Schelde, die beide aus Belgien zufließen. Diese Flüsse und ihre Nebenflüsse strömen durch das Landesinnere von Osten nach Westen; an der Küste bilden sie Deltas mit vielen kleinen Inseln.
In den nördlichen und westlichen Landesteilen gibt es viele kleine Seen. Fast alle der größeren natürlichen Seen sind trockengelegt worden; im Zuge eines Programms zur Neuentwicklung des Deltas und die Trockenlegung der Zuiderzee wurden jedoch zahlreiche Süßwasserseen geschaffen.
2.3 Klima
In den Niederlanden herrscht aufgrund der Lage an der Nordsee ausgesprochen maritimes Klima mit relativ geringen Temperaturunterschieden im Jahresverlauf. Die Winter sind mild, die Sommer vergleichsweise kühl. Die durchschnittlichen Temperaturen liegen im Januar zwischen 2 und 3 °C, die mittleren Julitemperaturen betragen 16 bis 18 °C. Die mittleren jährlichen Niederschlagsmengen belaufen sich auf 760 Millimeter. Niederschlag fällt zu allen Jahreszeiten; regenärmster Monat ist in den meisten Teilen des Landes der März. Die Häfen des Landes bleiben im Winter eisfrei. Da in den Niederlanden kaum die Luftströmungen behindernde natürliche Hindernisse vorhanden sind, gibt es zwischen den einzelnen Regionen kaum Klimaunterschiede.
2.4 Flora und Fauna
Über die Jahrhunderte hinweg ist die natürliche Landschaft der Niederlande vom Menschen stark verändert worden. Es gibt nur wenige Flächen, die in ihrem natürlichen Zustand belassen wurden. Hierzu zählen verschiedene Moorgebiete sowie die Dünengebiete an den Küsten. Der ursprüngliche Birken-Eichen-Wald ist nur noch in kleinen Resten vorhanden, er wurde in (oft mit Kiefern aufgeforsteten) Heideflächen umgewandelt. Diese Kiefernforste machen weitgehend den Waldanteil von etwa 11,1 Prozent aus (2000); im Utrechter Hügelland gibt es zudem Buchen-Eichen-Bestände.
Auch die natürliche Fauna wurde nachhaltig verändert. Vielen Tierarten wurde durch die Eingriffe des Menschen die Lebensgrundlage entzogen, andere wurden in ihrem Bestand stark dezimiert. Die Säugetierfauna ist hinsichtlich der Raubtiere durch typische mitteleuropäische Arten wie Rotfuchs und verschiedene Marderspezies (einschließlich Fischotter) repräsentiert, im Wattenmeer leben Seehunde. Zu den Paarhufern gehören Rehe, Rot- und Damhirsche. Ein exotisches Faunenelement sind aus Farmkäfigen freigelassene südamerikanische Nutrias.
Hinsichtlich der Avifauna (Vogelwelt) sind Brutpopulationen von Löfflern und Purpurreihern bemerkenswert. Durch Landgewinnungsprojekte entstanden neue Lebensräume für Zugvögel. Das niederländische Wattenmeer ist Rast- und Überwinterungsgebiet für zahlreiche Vogelarten wie Austernfischer, Säbelschnäbler, Brachvögel sowie Gänse- und Entenarten. Ein großes ökologisches Problem der Küstengebiete ist die zunehmende Verschmutzung der Nordsee, aber auch die intensive Muschelfischerei.
3 BEVÖLKERUNG
Die Einwohnerzahl der Niederlande beträgt etwa 16,2 Millionen (2003), was einer Bevölkerungsdichte von etwa 389 Personen pro Quadratkilometer entspricht. Die Niederlande sind eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt. Die Lebenserwartung beträgt 75,8 Jahre für Männer und 81,8 Jahre für Frauen (2003). Die mittlere Wachstumsrate der Bevölkerung liegt bei 0,50 Prozent im Jahr (2003).
Das Land ist ethnisch überaus homogen zusammengesetzt. Die größte Bevölkerungsgruppe sind die Niederländer mit 96 Prozent; sie stammen von den Franken, den Friesen und den Sachsen ab. Aus Furcht vor einer Übervölkerung förderte die niederländische Regierung nach dem 2. Weltkrieg Auswanderungen; etwa 500 000 Menschen verließen damals das Land. Die Zahl der Einwanderer war jedoch noch größer. Es kamen Europäer und Asiaten aus dem ehemaligen Kolonialgebiet Niederländisch-Ostindien (das im Malaiischen Archipel gelegene Gebiet zählt heute zu Indonesien) sowie Industriearbeiter aus der Türkei, Marokko und anderen Mittelmeerländern. In jüngster Zeit erfolgte eine starke Zuwanderung aus Surinam, das ebenfalls eine niederländische Kolonie war, sowie von den Niederländischen Antillen. Infolgedessen gibt es vor allem in den Großstädten heute größere ethnische Minderheiten.
3.1 Wichtige Städte
Etwa 90 Prozent der Bevölkerung leben in städtischen Siedlungen (2001). Die größten Städte sind die Hauptstadt Amsterdam (731 000 Einwohner), Rotterdam (593 000 Einwohner), einer der größten und bedeutendsten Seehäfen der Welt, Den Haag (441 000 Einwohner), der Regierungssitz des Landes, und die Industriestadt Utrecht (234 000 Einwohner). Weitere große Städte liegen in den westlichen Provinzen Noord-Holland, Zuid-Holland und Utrecht; das bedeutendste Ballungsgebiet wird auch Randstad Holland genannt.
3.2 Sprache
Die Amtssprache ist Niederländisch, das zum westlichen Zweig der germanischen Sprachen gehört. In der nördlichen Provinz Friesland spricht ein großer Prozentsatz der Menschen als Erstsprache Friesisch, die als Minderheitensprache offiziell anerkannt ist und regional auch den Status einer Amtssprache hat. Englisch, Deutsch und Französisch werden fast überall verstanden und gesprochen. Die niederländischen Kinder lernen bereits in sehr jungen Jahren Fremdsprachen.
3.3 Religion
Etwa 36 Prozent der Bevölkerung sind römisch-katholisch, 30 Prozent sind Protestanten. Es gibt eine kleine jüdische Gemeinde im Land. Etwa 32 Prozent der Bevölkerung sind konfessionslos. Die katholische Bevölkerung konzentriert sich auf den südlichen Teil des Landes. Es gibt mehrere protestantische Richtungen, von denen die größte die Niederländische Reformierte Kirche ist. In den Niederlanden gibt es keine Staatsreligion, aber die Niederländische Reformierte Kirche hatte seit der Gründung der Niederländischen Republik im 17. Jahrhundert schon immer eine starke Verbindung mit dem Staat. Alle Monarchen des Landes waren Mitglieder der Reformierten Kirche.
3.3.1 Feiertage
Zu den offiziellen Feiertagen gehören Neujahr (1. Januar), Karfreitag und Ostermontag, der Geburtstag der Königin (30. April), Christi Himmelfahrt, der Tag der Befreiung (5. Mai), Pfingstmontag und die beiden Weihnachtstage (25. und 26. Dezember). Der Geburtstag der Königin ist der Geburtstag der Königinmutter Juliana, die 1980 zugunsten von Beatrix abdankte.
Der Tag der Befreiung erinnert an jenen Tag, an dem die Alliierten die Niederlande im Jahr 1945 von der deutschen Besatzungsmacht befreiten. Christi Himmelfahrt wird 40 Tage nach Ostern gefeiert. An diesem Tag gehen die Niederländer traditionell Dauwtrappen ("Tautreten"); eine alte Überlieferung besagt, dass der Tau an diesem Tag besondere, heilende Kräfte habe. Geschenke verbinden die Niederländer mit dem Nikolaus (6. Dezember), der bei ihnen Sinterklaas heißt.
Außerdem feiert jede Region ihre lokalen Feste. Im Mai begehen die Küstengebiete den Vlaggetjesdag (Tag der kleinen Flagge), der den Beginn der Heringssaison markiert. Im Süden feiert man vor der Fastenzeit Karneval. In Maastricht, ganz im Süden der Niederlande, genießt dieses Ereignis besondere Popularität. Der auch als Martinmas (St. Martin) bezeichnete "Tag der Bettler" wird am 11. November gefeiert.
3.4 Soziales
Der Lebensstandard der Bevölkerung ist sehr hoch. Die Niederlande sind einer der modernsten Wohlfahrtsstaaten Europas. Ein Großteil des Staatsbudgets wird für Erziehung, Gesundheit, Arbeitsförderungsmaßnahmen und andere soziale Leistungen ausgegeben. Die Niederländer sind auch durch Arbeitslosenunterstützung, Arbeitsunfähigkeitsrente, Witwen-, Waisen- und Altersrenten und Mindestlohnregelungen abgesichert. Die medizinische Versorgung ist hervorragend. Die Arbeitslosenquote liegt bei 3,6 Prozent (1999). Auf 323 Einwohner kommt ein Arzt. Die Kindersterblichkeitsrate beträgt 0,8 Prozent.
4 BILDUNG UND KULTUR
In den sechziger Jahren wurde das niederländische Bildungssystem grundsätzlich umstrukturiert und konfessionelle Bindungen gelockert.
4.1 Bildung und Schulwesen
Bereits während der Reformation im 16. Jahrhundert wurde in den Niederlanden der Grundstein für ein umfassendes Schulausbildungssystem gelegt. Im 19. Jahrhundert wurde das Erziehungswesen systematisiert und eine Finanzierung der Schulen gesichert. Der so genannte Schulkampf um die Zukunft konfessioneller Privatschulen geriet zum Politikum. Seit 1917 garantiert ein Verfassungszusatz gleiche Unterstützung für jedwede anerkannte Schule. Heute ist etwa ein Drittel der Grund- und weiterführenden Schulen staatlich, die restlichen zwei Drittel sind katholische oder protestantische Privatschulen. Es besteht eine Schulpflicht von 13 Jahren, inklusive einer sechsjährigen Grundschulausbildung. Der Alphabetisierungsgrad liegt bei 99 Prozent (1995).
An niederländischen Fachhochschulen und Universitäten sind mehr als 560 000 Studenten eingeschrieben. Zu den wichtigsten akademischen Bildungseinrichtungen zählen die Universität Amsterdam (gegründet 1632) und die staatlichen Universitäten von Groningen (1614), Leiden (1575) und Utrecht (1636). In den Niederlanden gibt es mehrere technische Hochschulen und Kunsthochschulen.
4.2 Kultureinrichtungen
Zu den berühmtesten Museen gehören das Rijksmuseum, das Rembrandt-Huis, das Vincent-van-Gogh-Nationalmuseum und das Stedelijk (kommunale) Museum, die sich alle in Amsterdam befinden. Darüber hinaus sind die Königliche Bildergalerie und das Mauritshuis in Den Haag, das Boymans-van-Beuningen-Museum in Rotterdam und das Kröller-Müller-Nationalmuseum im Hoge Veluwe Nationalpark in Otterlo von Bedeutung. Das Amsterdamer Concertgebouw-Orchester ist international renommiert; auch Rotterdam besitzt ein bedeutendes Sinfonieorchester. Die wichtigsten Bibliotheken des Landes sind die der Staatlichen Universität Leiden und der Universität Amsterdam sowie die Königliche Bibliothek in Den Haag.
4.3 Kunst, Literatur und Musik
Vor allem im Bereich der niederländischen Kunst entstanden stilbildende Meisterwerke, namentlich von Malern wie Pieter Bruegel dem Älteren, Rembrandt, Frans Hals, Vincent van Gogh oder Piet Mondrian. Im Bereich der niederländischen Literatur traten Autoren wie Erasmus von Rotterdam, Jacob Cats und Joost van den Vondel sowie - in neuerer Zeit - Harry Mulisch, Cees Nooteboom und Maarten t' Hart hervor. Bedeutende niederländische Komponisten, Musiker bzw. Dirigenten sind Johannes Ciconia, Guillaume Dufay, Jan Piertszoon Sweelinck, Karel Goeyvaerts, Josef Willem Mengelberg, Bernard Haitink, Han Bennink und Willem Breuker.
4.4 Medien
Zusätzlich zu den vielen regionalen und lokalen Zeitungen gibt es in den Niederlanden sechs überregionale Zeitungen. Die Tageszeitung mit der größten Auflage ist der unabhängige De Telegraaf (Amsterdam). Gemäß dem Mediengesetz von 1988 kontrollieren zwei nationale Organisationen den Hör- und Fernsehfunk. Die meisten Programme werden von gemeinnützigen Gesellschaften produziert.
5 VERWALTUNG UND POLITIK
Die Niederlande sind eine parlamentarische Erbmonarchie (die Thronfolge ist auch in weiblicher Linie erblich). Die Verfassung wurde 1815 verkündet und seitdem mehrere Male überarbeitet, zum letzten Mal 1983. Das Königreich besteht aus den Niederlanden, Aruba und den Niederländischen Antillen. Ihre Beziehungen werden durch einen Vertrag vom Dezember 1954 geregelt, dem zufolge sie als gleichberechtigte Partner verbunden sind.
Die Niederlande setzen sich schon seit langem für eine europäische Integration und internationale Zusammenarbeit ein. In diesem Zusammenhang trug das Land 1960 zur Entstehung des Benelux-Vertrages mit Belgien und Luxemburg bei, der die seit 1948 bestehende Zollunion zwischen den drei Staaten ersetzte. Die Niederlande waren einer der Gründerstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die heute in der Europäischen Union aufgegangen ist, und Gründungsmitglied von anderen europäischen Organisationen. 1991 waren die Niederlande das Gastgeberland beim Abschluss des Europäischen Unionsvertrages (Vertrag von Maastricht), der zum Ziel hat, einen gemeinsamen inneren Markt sowie ein gemeinsames europäisches Währungssystem zu schaffen.
5.1 Exekutive
Staatsoberhaupt der Niederlande ist der Monarch. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ernennt die Präsidenten beider Parlamentskammern sowie die Minister und steht dem Staatsrat vor. Königin Beatrix trat im Mai 1980 die Thronfolge an, nachdem ihre Mutter, Königin Juliana, abgedankt hatte. Der höchste Regierungsbeamte mit Exekutivgewalt ist der Ministerpräsident, der vom Monarchen ernannt wird und den Vorsitz im Kabinett führt.
5.2 Legislative
Der Staten-Generaal (Parlament) besteht aus zwei Kammern. Die Erste Kammer umfasst 75 Mitglieder, die für vier Jahre von den Provinzialregierungen gewählt werden, und besitzt lediglich Zustimmungs- bzw. Ablehnungsrecht. Die Zweite Kammer besteht aus 150 Abgeordneten, die nach dem Verhältniswahlrecht ebenfalls für vier Jahre vom Volk gewählt werden. Wahlberechtigt sind alle Bürger ab dem 18. Lebensjahr.
5.3 Judikative
Das Justizwesen der Niederlande umfasst vier Gerichtsebenen. Das erste Tribunal ist das Hohe Gericht der Niederlande mit Sitz in Den Haag. Gerichte auf niedrigerer Hierarchieebene sind die fünf Berufungsgerichte, die 19 Landgerichte und die 62 Amtsgerichte. Alle niederländischen Richter werden vom Monarchen auf Lebenszeit ernannt.
5.4 Kommunalverwaltung
Die Niederlande bestehen aus den zwölf Provinzen Drente, Flevoland, Friesland, Gelderland, Groningen, Limburg, Noord-Brabant (Nordbrabant), Noord-Holland (Nordholland), Overijssel, Zuid-Holland (Südholland), Utrecht und Zeeland (Seeland). Jede der Provinzen wird von einem Regierungskommissar und von einer vom Volk gewählten gesetzgebenden Versammlung (Staten-Provinzial) regiert.
5.5 Politische Parteien
Das niederländische Parteienspektrum ist breit gefächert. Das Verhältniswahlrecht, das bei den Wahlen zu den Gemeinde- und Provinzialversammlungen sowie dem Parlament zum Tragen kommt, ermöglicht auch kleinen Parteien, in die Parlamente einzuziehen. Auf nationaler Ebene wurden die Niederlande immer von Koalitionen regiert, deren Bildung sich oft als schwierig erwiesen hat.
Die wichtigsten politischen Parteien sind der konservative Christlich-Demokratische Appell (Christen Democratisch Appèl, CDA), die sozialdemokratische Partei der Arbeit (Partij van de Arbeid, PvdA), die rechtspopulistische Liste Pim Fortuyn (LPF), die rechtsliberale, unternehmerorientierte Volkspartei für Freiheit und Demokratie (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, VVD), die linksliberalen Demokraten '66 (Democraten '66, D '66), die für eine stärkere und direktere Beteiligung der Bürger im politischen System eintreten, sowie GrünLinks (GroenLinks) und die Sozialistische Partei (SP).
5.6 Verteidigung
Im Rahmen des im Jahr 1993 beschlossenen Umbaus der Streitkräfte zu einer Berufsarmee wurde seit Februar 1996 kein Wehrpflichtiger mehr eingezogen. Die Wehrpflicht endete offiziell im August 1996. Die Gesamtstärke der Streitkräfte liegt bei etwa 49 580 Mann (2001). Die Ausgaben für das Militär betragen 6 257 Millionen US-Dollar (2001).
6 WIRTSCHAFT
Viele Jahrhunderte lang haben die Niederlande in der europäischen Wirtschaft eine besondere Rolle gespielt. Seit dem 16. Jahrhundert waren Schifffahrt, Fischerei, Handel und Bankwesen die wichtigsten Wirtschaftszweige. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Handel mit dem niederländischen Kolonialreich von großer Bedeutung. Seit der Unabhängigkeit Indonesiens gegen Ende der vierziger Jahre hat sich der Handel der Niederlande vom Kolonialhandel zum Handel mit anderen europäischen Ländern umorientiert. Als die Beschäftigungszahlen in der Landwirtschaft zurückgingen, wurde eine vielschichtige industrielle Basis geschaffen. Mit der Entdeckung großer Erdgasvorkommen wurde das Land zu einem der wichtigsten Energieexporteure.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt bei 380 137 Millionen US-Dollar (2001; Dienstleistungen 70,1 Prozent, Industrie 27,2 Prozent, Landwirtschaft 2,7 Prozent). Daraus ergibt sich ein BIP pro Einwohner von 23 700 US-Dollar und eine Wachstumsrate von 2,92 Prozent. Die Inflationsrate beträgt 2,14 Prozent. 3 Prozent der Erwerbstätigen sind in der Landwirtschaft beschäftigt, 22 Prozent in der Industrie und 73 Prozent im Dienstleistungssektor (1998). Ungefähr 29 Prozent der Angestellten sind in Gewerkschaften organisiert, von denen die größten der Niederländische Gewerkschaftsbund und die Christlich-Nationale Föderation der Gewerkschaften der Niederlande sind.
6.1 Landwirtschaft
Die geringe Größe der Niederlande und die hohe Bevölkerungsdichte bedingen eine intensive Landwirtschaft. Dieser Wirtschaftssektor ist äußerst produktiv und stark exportorientiert. Die Einnahmen aus dem Export von Fleisch, Gemüse, Butter, Käse und anderen Milchprodukten sind weitaus höher als die Ausgaben für den Import von Getreide und Obst. Die Niederlande zählen weltweit zu den größten Exporteuren von Schweinefleisch. Die meisten Farmen sind kleine Familienbetriebe. Innerhalb des Agrarsektors nimmt die Viehhaltung eine bedeutende Stellung ein. Etwa 50 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Landes sind Wiesen und Weideland; auf 40 Prozent der Fläche werden Nutzpflanzen wie Weizen, Kartoffeln, Tomaten, Gurken und Zuckerrüben angebaut, und der Rest wird von Gärtnereien für die Blumen- und Blumenzwiebelproduktion genutzt.
6.2 Forstwirtschaft und Fischerei
Da nur ein sehr geringer Teil der Niederlande bewaldet ist, ist die Holzproduktion nur von untergeordneter Bedeutung. Das Fischereiwesen ist ein traditionelles Gewerbe, dem auch heute noch große Bedeutung zukommt, auch wenn die Fischbestände der Nordsee, teilweise infolge der Umweltverschmutzung, zurückgegangen sind. Zu den wichtigsten Fangprodukten zählen Hering, Kabeljau, Scholle, Seezunge, Makrele, außerdem Muscheln und Garnelen.
6.3 Bergbau und Energie
Nach dem 2. Weltkrieg gewannen Erdöl und Erdgas zunehmend an Bedeutung. Diese Rohstoffe wurden zunächst importiert, und der Hafen von Rotterdam wurde zu einem der wichtigsten Häfen für die Einfuhr und die Verarbeitung von Erdöl. In den fünfziger und sechziger Jahren wurden riesige Erdgasvorkommen in der Provinz Groningen entdeckt. Weitere wichtige Lagerstätten befinden sich in den küstennahen Gebieten der Nordsee. Die Produktion in dem ansonsten rohstoffarmen Land stieg rasch an und ermöglichte 1973 die Schließung der letzten niederländischen Kohlebergwerke, von denen die meisten in der Provinz Limburg errichtet worden waren. Die Niederlande wurden zu einem der wichtigsten Exportländer für Erdgas. Im Lauf der neunziger Jahre fand im Zuge der Vermeidung von Umweltbelastungen eine Rückbesinnung auf die Windenergie statt. 1992 wurden mehr als 630 "High-Tech"-Windmühlen mit einer Kapazität von 144 Millionen Kilowattstunden installiert.
6.4 Industrie
Bis zum 2. Weltkrieg war die industrielle Produktion relativ unbedeutend. Der Schwerindustrie kommt in den Niederlanden viel weniger Bedeutung zu als in den benachbarten Ländern. Das schnelle Wachstum des produzierenden Gewerbes nach 1945 wurde von der chemischen und der Elektronikindustrie angeführt. Weitere bedeutende industrielle Produkte sind Nahrungsmittel und Getränke, Tabakwaren, Baumaterialien, Schiffe, raffiniertes Erdöl, Gummi- und Plastikwaren sowie Druckereierzeugnisse. Aufgrund der günstigen Versorgung mit Rohstoffen aus den ehemaligen Kolonien spielt auch die Herstellung von Süßwaren und Speiseöl eine wichtige Rolle. Berühmtheit erlangte die Diamantenschleiferei in Amsterdam, ein traditioneller Produktionsbetrieb. Die wichtigsten Produktionsstandorte des Landes sind Amsterdam, Rotterdam und Eindhoven.
6.5 Umweltschutz
Durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung leiden die Niederlande unter erheblichen Umweltschäden. Eine der Ursachen ist die Überdüngung der Böden - die Niederlande haben weltweit nach Neuseeland den höchsten Verbrauch an Düngemitteln - und in deren Folge eine starke Belastung des Grundwassers, der Flüsse und folglich auch der Nordsee mit Phosphaten, Nitraten und Pestiziden. Die Niederlande sind einer der größten Verschmutzer der Nordsee, produzieren auf der anderen Seite aber weniger als 1 Prozent der Emissionen, die den globalen Treibhauseffekt bewirken. Dies ist zurückzuführen auf eine bereits früh einsetzende aktive Umweltpolitik, die sich allerdings zunächst vor allem auf die Reduzierung der Luftverschmutzung konzentrierte. Unterdessen beteiligt sich das Land jedoch auch an Programmen zur Verbesserung der Wasserqualität in Rhein und Nordsee. Um die natürliche Landschaft zumindest teilweise zu erhalten, haben die Niederlande eine Reihe von Naturparks und Naturschutzgebieten geschaffen.
6.6 Währung und Bankwesen
Währungseinheit ist seit dem 1. Januar 2002 der Euro zu 100 Cents. Er löste den von De Nederlandsche Bank, der staatlichen Zentralbank, herausgegebenen Gulden (= 100 Cents) als Währung ab. Amsterdam ist ein führendes Banken- und Versicherungszentrum und der Sitz der wichtigsten Börse des Landes. Die Niederlande nehmen seit 1. Januar 1999 an der Europäischen Währungsunion teil.
6.7 Außenhandel
Ein großer Teil der Güter, die in niederländischen Häfen umgeschlagen werden, ist für den Weitertransport in andere Länder, vor allem in die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, bestimmt. Die Handelsbilanz ist positiv. Haupthandelspartner sind die Mitgliedsländer der EU, vor allem Deutschland, mit dem etwa ein Viertel des gesamten Handels betrieben wird. Wichtige Ausfuhrprodukte sind Nahrungsmittel (u. a. Fleisch und Milchprodukte), Maschinen und chemische Produkte; importiert werden vor allem Nahrungsmittel (besonders Getreide und Obst), Fahrzeuge und mineralische Brennstoffe.
6.8 Verkehrswesen
Wegen der günstigen Lage im Mündungsgebiet mehrerer Flüsse wie Rhein, Maas und Schelde entwickelten sich bedeutende Überseehäfen. Rotterdam ist einer der wichtigsten und größten Seehäfen der Welt; auch im Hafen von Amsterdam werden große Mengen an verschiedensten Gütern umgeschlagen.
Die niederländischen Kanäle und Flüsse, die von Lastschiffen mit über 400 Bruttoregistertonnen befahren werden können, haben eine Gesamtlänge von 2 950 Kilometern. Das staatliche Eisenbahnnetz mit einer Länge von 2 802 Kilometern (2000) zieht sich flächendeckend durch das ganze Land. 1999 umfasste das gut ausgebaute Straßennetz 116 500 Kilometer. Fahrräder sind weiterhin wichtig für den Verkehr vor Ort; viele Straßen haben separate Fahrradwege.
Der am stärksten frequentierte internationale Flughafen der Niederlande ist Schiphol bei Amsterdam; er gehört hinsichtlich Fracht- und Passagieraufkommen zu den größten in Europa. Darüber hinaus gibt es kleinere Flughäfen in Groningen, Maastricht, Rotterdam und anderen Städten. Die Königliche Fluggesellschaft der Niederlande, KLM, ist die wichtigste Fluggesellschaft des Landes.
6.9 Tourismus
Mehr als drei Millionen ausländische Gäste besuchen jährlich die Niederlande. Die Hauptattraktionen sind dabei die Blumenfelder, die Seebäder an der Nordseeküste und die Städte des Landes, vor allem Amsterdam.
7 GESCHICHTE
Bis zur ihrer Unabhängigkeit bildeten die heutigen Niederlande politisch eine Einheit mit dem Gebiet des heutigen Belgien; im Folgenden werden die "alten" Niederlande bis zu ihrer Trennung in die Republik der Vereinigten Niederlande (die heutigen Niederlande) und die Spanischen Niederlande (die den Kern des späteren Belgien bildeten) 1581/1648 als Einheit behandelt.
Im 1. Jahrhundert v. Chr. eroberten die Römer unter Julius Caesar den südlich von Rhein und Ijsselmeer gelegenen Teil der Niederlande; die Versuche nachfolgender römischer Feldherren, den römischen Herrschaftsbereich weiter nach Osten, bis zur Unterelbe, auszudehnen, scheiterten. Unter Augustus wurde das römisch besetzte Gebiet der Niederlande Teil der Provinz Belgica. In römischer Zeit waren die Niederlande von germanischen Friesen und Batavern sowie von kleineren keltischen Stämmen besiedelt.
Um 300 n. Chr. begann die römische Herrschaft zu bröckeln: Im Zuge der Völkerwanderung drangen sukzessive germanische Stämme in die römischen Provinzen ein; im Gebiet der Niederlande waren dies vor allem Franken und Sachsen. Die Franken ließen sich hauptsächlich im Westen und Süden nieder, die Sachsen im Osten, und im Norden blieben die Friesen.
7.1 Das Mittelalter
Im 8. Jahrhundert brachten die Franken die östlich und nördlich des Unterrheins siedelnden Sachsen und Friesen unter ihre Herrschaft, und unter Karl dem Großen waren die Niederlande fester Bestandteil des Frankenreiches. Durch die Teilung des Frankenreiches im Vertrag von Verdun 843 kam das Gebiet östlich der Schelde um Maas und Niederrhein an das Mittelreich Lothars I. (Lotharingien) und 925 an das Ostfränkische bzw. das im Entstehen begriffene Heilige Römische Reich. Flandern fiel 843 an das Westreich Karls II., des Kahlen, das spätere Frankreich.
In der Folgezeit erlebten die Niederlande einen raschen Aufschwung. Städte und mit ihnen Handel und Handwerk entwickelten sich, und vor dem Hintergrund der immer schwächer werdenden lothringischen Herzogsgewalt bildeten sich im 12. Jahrhundert relativ feste und selbständige Territorien heraus: Im Norden, den heutigen Niederlanden, Holland, Seeland, Geldern und das Bistum Utrecht, im Süden das Bistum Lüttich, Flandern, Hennegau, Brabant, Namur und Limburg. Mit Ausnahme von Flandern gehörten die Niederlande zwar nominell zum Heiligen Römischen Reich, die politische Bindung war jedoch sehr locker; kulturell und wirtschaftlich, d. h. vor allem im Handel, orientierten sich die Niederlande vorwiegend an Frankreich.
7.2 Burgundische und habsburgische Herrschaft
Im 15. Jahrhundert fassten die Herzöge von Burgund die niederländischen Provinzen, die sich nun zunehmend aus dem Reichsverband lösten, zu einem Herrschaftsbereich zusammen: Herzog Philipp III., der Gute, erwarb zwischen 1429 und 1433 Brabant, Limburg, Namur, Holland, Seeland und Hennegau; seinem Großvater Philipp II., dem Kühnen, waren 1384 auf dem Erbweg bereits Flandern und das Artois zugefallen. Philipps III. Sohn Karl der Kühne suchte Burgund und die Niederlande zu einem einheitlichen, unabhängigen Reich zusammenzufassen, scheiterte jedoch. 1477 fiel der größte Teil der burgundischen Besitzungen, also auch die Niederlande, über Karls Erbtochter Maria von Burgund an den späteren Kaiser Maximilian I. aus dem Hause Habsburg. Kurz vor ihrer Heirat hatte Maria den niederländischen Provinzen und Städten im Großen Privileg noch umfangreiche Rechte zugesichert.
Die Habsburger - zunächst Maximilian, Karl V. und die Statthalterin in den Niederlanden, Margarete von Österreich - verfolgten wie in allen ihren Erblanden so auch in den Niederlanden in erster Linie ihre Hausinteressen und förderten daher die Verselbständigungstendenzen der Niederlande gegenüber dem Reich. Maximilian fasste 1512 im Zuge einer Neuordnung der Reichskreise die meisten der niederländischen Provinzen zum "Burgundischen Kreis" zusammen; sein Nachfolger Karl V. erweiterte den habsburgischen Besitz und den Burgundischen Kreis zwischen 1524 und 1543 noch um Friesland, Utrecht, Overjissel, Groningen, Drenthe und zuletzt Geldern. 1555 übertrug Karl V. den niederländischen Besitz seinem Sohn Philipp II., ab 1556 König von Spanien, womit die Niederlande an den spanischen Zweig der Habsburger kamen.
Wirtschaftlich und kulturell hatten die Niederlande im 16. Jahrhundert eine einzigartige Blütezeit erreicht. Die Städte, vor allem die flandrischen und brabantischen, waren zu bedeutenden und reichen Handelszentren geworden; Antwerpen hatte sich dank des aufblühenden Handels im spanischen Weltreich (seit 1516 waren die Niederlande durch Karl V. mit Spanien verbunden) zu einem der wichtigsten Häfen und zum herausragenden Finanzplatz in Europa entwickelt. Das Selbstbewusstsein der wohlhabenden niederländischen Provinzen manifestierte sich auch in der "Verfassung" des Länderkomplexes: Basierend auf dem Großen Privileg (wenn es auch von den Nachfolgern Marias von Burgund nicht mehr anerkannt wurde) behaupteten die Provinzen ihre eigenen Ständevertretungen, waren jedoch einer Zentralverwaltung mit einem Generalstatthalter an der Spitze unterworfen. Diese habsburgische "Fremdherrschaft" einschließlich der Zentralisierungstendenzen bewirkte, dass sich die niederländischen Provinzen ungeachtet aller Gegensätzlichkeiten politisch immer enger zusammenschlossen.
7.3 Der Kampf um Unabhängigkeit
Früh breitete sich auch in den Niederlanden, ausgehend von den reichen Städten in Flandern und Brabant, die Reformation aus, zunächst in Form des Luthertums, später des Calvinismus. Schon Karl V. suchte die Reformation in den Niederlanden mit Gewalt zu unterdrücken; unter Philipp II. setzte dann die Gegenreformation mit Macht ein. Neben der religiösen Unterdrückung - u. a. mit Hilfe der Inquisition - verschärfte Philipp II. auch den politischen und finanziellen Druck auf die niederländischen Provinzen: Die alten Freiheiten der Provinzen wurden zunehmend eingeschränkt, die Zentralisierung ausgebaut, die Besteuerung drastisch erhöht. Dies alles provozierte Städte und Adel zur Opposition gegen die Herrschaft Philipps II. bzw. der Statthalterin Margarete von Parma und ihres Ministers Granvelle.
1566 erreichte die antispanische Opposition einen ersten Höhepunkt: Im Kompromiss von Breda schloss sich der verächtlich als Geusen bezeichnete niedere Adel zusammen und wandte sich mit einer Bittschrift, in der u. a. die Aufhebung der Inquisition sowie aller religiöser Unterdrückung und der Abzug der spanischen Truppen gefordert wurden, an Margarete von Parma; und wenig später entlud sich, zunächst in den flandrischen Städten, der Protest auch des Volkes im Bildersturm. Philipp II. hob zwar die Inquisition wieder auf, entsandte aber 1567 ein spanisches Heer unter dem Herzog von Alba in die Niederlande und ließ den Aufstand blutig niederschlagen. Alba entfaltete einen unvergleichlichen Terror - er ließ Tausende Aufständische hinrichten, u. a. auch den Grafen Egmont, einen der Führer der Opposition - und provozierte damit einen neuerlichen Aufstand, den Niederländischen Freiheitskampf.
1572 übernahm Wilhelm I. von Oranien, Statthalter von Holland und Seeland, die Führung des Aufstandes. Der Aufstand verlagerte sich nun in die nördlichen Provinzen, die heutigen Niederlande; Träger des Aufstandes waren vor allem die Geusen. 1576 vereinten sich alle 17 niederländischen Provinzen, also sowohl die nördlichen aufständischen, calvinistischen, als auch die südlichen beruhigten, katholischen, noch einmal in der Genter Pazifikation gegen die spanische Herrschaft. Gut zwei Jahre später zerbrach dieses antispanische Bündnis jedoch vor allem auf Grund konfessioneller Differenzen wieder: Im Januar 1579 schlossen sich die zehn südlichen, aristokratisch-katholischen Provinzen zur Union von Arras zusammen und schlossen Frieden mit Philipp II.; die sieben nördlichen, republikanisch-calvinistischen Provinzen (Holland, Seeland, Utrecht, Groningen, Friesland, Overjissel und Geldern) vereinigten sich zur Utrechter Union und setzten unter der Führung von Wilhelm von Oranien den Aufstand gegen Spanien fort.
1581 erklärten sich die sieben Provinzen der Utrechter Union für unabhängig von Spanien und riefen die Republik der Vereinigten Niederlande aus. Während die südlichen Provinzen in der Folgezeit von dem neuen Statthalter Alessandro Farnese bald wieder völlig unter spanische Kontrolle gebracht waren, verteidigten sich die Vereinigten Niederlande unter Wilhelm von Oranien und nach dessen Ermordung 1584 unter dessen Sohn und Nachfolger Moritz von Nassau mit Erfolg gegen die Spanier: Um 1597 waren die spanischen Truppen aus den sieben nördlichen Provinzen verdrängt - nicht zuletzt dank der Unterstützung Frankreichs und Englands, mit denen die Vereinigten Niederlande 1596 ein Bündnis gegen Spanien geschlossen hatten. Dieses Bündnis bedeutete zugleich eine erste (indirekte) Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande durch Drittstaaten. 1609 schloss der spanische König Philipp III. einen zwölfjährigen Waffenstillstand mit den Vereinigten Niederlanden und erkannte damit ebenfalls de facto die Unabhängigkeit der Republik an. 1621 brach der niederländisch-spanische Krieg im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges erneut aus. Im Westfälischen Frieden von 1648, der beide Kriege beendete, wurde schließlich die Unabhängigkeit der Republik der Vereinigten Niederlande international völkerrechtlich anerkannt; zugleich schieden die betroffenen niederländischen Provinzen formell aus dem Heiligen Römischen Reich aus.
7.4 Die junge Republik
Die Republik der Vereinigten Niederlande war ein Staatenbund, in dem die innenpolitische Souveränität bei den Provinzen bzw. deren Ständen lag, die außen- und verteidigungspolitische bei den Generalstaaten, die sich aus den Vertretern der Provinzen zusammensetzten. Vorsitzender der Generalstaaten war der Ratspensionär von Holland, der wohlhabendsten, bevölkerungsreichsten und damit führenden Provinz. Der Ratspensionär als eine Art Ministerpräsident hatte de facto die politische Führung inne; die eigentliche Macht lag jedoch beim Statthalter, der - trotz des republikanischen Anspruchs des neuen Staates - eine quasi-monarchische Stellung und Machtfülle innehatte. Das Amt des Statthalters, das bald schon erblich wurde, besetzte von Beginn an das Haus Oranien.
Innen- und Außenpolitik der jungen Republik waren oftmals geprägt von der Auseinandersetzung zwischen Statthalter und Ratspensionär, der sich zeitweise noch der religiöse Gegensatz zwischen Gomaristen (strenggläubigen Calvinisten) und Arminianern beigesellte. So wurde z. B. 1619 der Ratspensionär Johan van Oldenbarnevelt auf Betreiben des Statthalters Moritz von Oranien auf Grund militärisch-außenpolitischer und religiöser Differenzen wegen Hochverrats hingerichtet, und 1672 fiel der Ratspensionär Jan de Witt der Lynchjustiz der Anhänger Wilhelms III., dessen Ernennung zum Statthalter er hatte verhindern wollen, zum Opfer.
7.4.1 Das Goldene Jahrhundert
Im 17. Jahrhundert erlebte die Republik der Vereinigten Niederlande eine Zeit außerordentlichen wirtschaftlichen Wohlstandes. Mitte des 17. Jahrhunderts waren die Niederlande die wichtigste Handels- und Seemacht in Europa, und Amsterdam hatte sich zu einem der bedeutendsten Finanzzentren entwickelt.
Auf dem Fundament des wirtschaftlichen Wohlstandes und dank der vergleichsweise hohen religiösen Toleranz und liberalen Handhabung der Zensur konnte sich in den Niederlanden ein reichhaltiges kulturelles und wissenschaftliches Leben auf außerordentlich hohem Niveau entfalten; das 17. Jahrhundert gilt als das "Goldene Jahrhundert" der Niederlande. Zu den bedeutendsten Niederländern, die in jener Zeit wirkten, zählen der Jurist Hugo Grotius, der Physiker und Astronom Christiaan Huygens, der Naturforscher Antonie van Leeuwenhoek, die Kartographen Willem Janszoon Blaeu und Jodocus Hondius, die Schriftsteller Pieter Corneliszoon Hooft und Joost van den Vondel, der Philosoph Baruch Spinoza sowie eine Reihe von Theologen. Die liberale Atmosphäre zog darüber hinaus zahlreiche Ausländer an wie z. B. den französischen Philosophen und Mathematiker René Descartes und den englischen Philosophen John Locke. Die Malerei erlebte durch Meister wie Rembrandt, Jan Vermeer, Frans Hals und Jan Steen eine Hochblüte. Das hohe Niveau der niederländischen Malerei setzte sich bis in die Gegenwart fort; es seien nur Namen wie Vincent van Gogh, Piet Mondrian und Karel Appel genannt.
7.4.2 Entdeckerfahrten und Kolonialisierung
Um 1600 erreichte eine Flottenexpedition niederländischer Kaufleute Java. Es war die erste einer langen Reihe von Entdeckungsreisen, in deren Verlauf zahlreiche Handelsstützpunkte in Afrika, Südostasien und Amerika gegründet bzw. erworben wurden - wovon geographische Namen wie Spitzbergen, Kap Hoorn, Staten Island und Tasmanien noch heute zeugen.
1602 statteten die Generalstaaten die niederländische Ostindische Kompanie mit einem Handelsmonopol für alles Gebiet östlich des Kaps der Guten Hoffnung in Afrika und westlich der Magellanstraße in Südamerika aus. Zugleich wurde die Kompanie mit einer Reihe von souveränen Rechten ausgestattet. Die 1621 als Ergänzung gegründete Holländisch-Westindische Kompanie erhielt das Monopol für ganz Amerika und Afrika und den Atlantik dazwischen; sie gründete Kolonien auf den Karibischen Inseln (z. B. die Niederländischen Antillen), in Nord- (Neu-Niederlande, heute New York) und Südamerika (Niederländisch-Guayana, heute Surinam) und brachte für kurze Zeit das portugiesische Brasilien in ihre Hand.
Die Ostindische Kompanie fasste zuerst auf den Molukken, den Gewürzinseln, Fuß und später auf West-Java, wo Batavia (heute Jakarta) das Zentrum ihrer Unternehmungen wurde, und übernahm nun die Führung im äußerst gewinnbringenden Gewürzhandel. Zunächst konzentrierte sich die Kompanie hauptsächlich auf den Handel und die Errichtung von Handelsstützpunkten; in der Folgezeit brachte sie dann aber nahezu ganz Indonesien unter niederländische Herrschaft.
7.5 Der Niedergang der Niederländischen Republik
Der Niedergang der Republik der Vereinigten Niederlande setzte bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein. Grund war die ökonomische und in deren Folge bald auch militärische Auseinandersetzung mit England, der neben den Niederlanden zweiten führenden See- und Handelsnation in Europa. Die drei Englisch-Niederländischen Seekriege (1652-1664, 1665-1667 und 1672-1674) endeten trotz einiger niederländischer Erfolge im zweiten und dritten Krieg zugunsten Englands, das u. a. die Niederlande zur Anerkennung der (modifizierten) Navigationsakte zwingen und Neu Amsterdam (die heutige Stadt New York) gewinnen konnte und nun die führende Macht auf den Weltmeeren wurde.
Ab 1667 war die Republik der Vereinigten Niederlande zudem in vier Kriege gegen das Frankreich Ludwigs XIV. verwickelt: den Devolutionskrieg (1667/68), den Niederländisch-Französischen Krieg (1672-1679), den Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) und den Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714). Ludwig XIV. hatte seine expansiven Interessen vor allem auf die Spanischen Niederlande und die Republik der Niederlande gerichtet; die niederländische Republik konnte sich auf verschiedene Allianzen gegen Ludwig XIV. stützen und schließlich auch auf England, dessen König seit 1689 der niederländische Statthalter Wilhelm III. von Oranien war. Am Ende der vier Kriege hatte die Republik der Vereinigten Niederlande zwar ihr Territorium behauptet, aber infolge der Kriege auch deutlich an wirtschaftlicher und politischer Macht verloren. Der Niedergang der Niederlande als Wirtschaftsmacht setzte sich auch im 18. Jahrhundert fort; parallel dazu fielen sie auch auf kulturellem Gebiet ins zweite Glied zurück. Die südlichen Spanischen Niederlande waren nach dem Aussterben der spanischen Habsburger im Frieden von Rastatt 1714 an die österreichischen Habsburger gekommen (Österreichische Niederlande).
Nach dem Tod Wilhelms III. 1702, in den Wirren des Spanischen Erbfolgekrieges, übernahm Johann Wilhelm Friso (1687-1711), ein entfernter Verwandter Wilhelms III., den Fürstentitel der Oranier; er war Statthalter von Friesland, während in den anderen niederländischen Provinzen das Amt des Statthalters vorerst unbesetzt blieb. 1747 wurde sein Sohn Wilhelm IV. (1711-1751) erblicher Statthalter aller sieben Provinzen. Unter der Statthalterschaft Wilhelms IV. entzündete sich die Auseinandersetzung zwischen den Oraniern und deren Anhängern auf der einen, den "Patrioten" einschließlich der Ratspensionäre auf der anderen Seite. Letztere forderten republikanische Reformen und die Abschaffung der monarchengleichen Stellung der Oranier. Der Konflikt zwischen Oraniern und Patrioten dominierte in der Folgezeit das innenpolitische Leben in den Niederlanden; außenpolitisch bewahrten die Niederlande während des 18. Jahrhunderts eine weitgehend neutrale Position, d. h., sie beteiligten sich kaum an den großen internationalen Konflikten.
7.6 Batavische Republik und napoleonisches Königreich
Ende 1794 eroberte Frankreich während des 1. Koalitionskrieges die Vereinigten Niederlande und errichtete hier - nach dem Vorbild der revolutionären französischen Republik - im Januar 1795 die Batavische Republik, deren Regierung weitgehend den Patrioten übertragen wurde. 1806 wandelte Napoleon die Batavische Republik in ein Königreich um und setzte seinen Bruder Louis Bonaparte als König ein. Der allerdings unterstützte mehr die niederländischen als die napoleonischen Interessen, teilte u. a. die Abneigung der Niederländer gegen die Kontinentalsperre, die sich verheerend auf die niederländische Wirtschaft auswirkte. 1810 kam es zum Bruch zwischen Napoleon und Louis; Louis verzichtete auf den Thron, Napoleon besetzte die Niederlande und schloss sie an Frankreich an.
7.7 Das Königreich der Vereinigten Niederlande
Nach dem Sturz Napoleons wurde die Unabhängigkeit der Niederlande wieder hergestellt, und 1815 wurde auf Beschluss des Wiener Kongresses die ehemalige Republik der Vereinigten Niederlande mit den ehemals Spanischen/Österreichischen Niederlanden und dem Fürstbistum Lüttich zum "Königreich der Vereinigten Niederlande" zusammengeschlossen. König wurde der Oranier Wilhelm I., Sohn des letzten Erbstatthalters Wilhelm V. und Enkel Wilhelms IV.
Die zwangsweise Wiedervereinigung der seit über eineinhalb Jahrhunderten getrennten nördlichen und südlichen Niederlande war ein äußerst unglücklicher Akt. Beide Regionen hatten sich politisch, sprachlich, kulturell, konfessionell und wirtschaftlich völlig unterschiedlich entwickelt, und in beiden Teilen hatte sich unterdessen ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein entwickelt. Den latenten belgisch-niederländischen Gegensatz verschärfte Wilhelm I. durch seine autokratische, die Niederlande gegenüber dem belgischen Landesteil in allen Belangen, besonders auch in Sprache und Religion, deutlich bevorzugende Politik noch erheblich. 1830 erhoben sich die Belgier in der Belgischen Revolution (auch Septemberrevolution) gegen die niederländische Herrschaft, lösten sich von den Niederlanden und riefen im Oktober 1830 die Unabhängigkeit Belgiens aus. Im Oktober 1831 erkannten die europäischen Großmächte im Londoner Protokoll Belgien als souveränen, unabhängigen Staat an.
Wilhelm I. verweigerte dem unabhängigen Belgien die Anerkennung und suchte in den folgenden zwei Jahren, Belgien mit militärischen Mitteln zurückzugewinnen, scheiterte jedoch und sah sich schließlich im April 1839 in einem weiteren Londoner Protokoll doch zur Anerkennung des neuen Staates gezwungen.
7.8 Das Königreich der Niederlande
Die ersten Jahrzehnte des Königreiches der Niederlande waren - wie schon die Jahre vor der Abspaltung Belgiens - innenpolitisch geprägt von der Auseinandersetzung um eine Revision der den König mit außerordentlichen Vollmachten ausstattenden Verfassung. Wilhelm I., zu keinerlei Zugeständnissen bereit, dankte 1840 zugunsten seines Sohnes Wilhelm II. ab. Noch im Jahr seines Regierungsantritts nahm Wilhelm II. eine erste Reform der Verfassung vor; zu einer tiefer gehenden Revision, die das Land in eine zumindest auf dem Papier bestehende parlamentarische Monarchie umwandelte, fand er sich jedoch erst 1848, in Reaktion auf die Revolutionen in Frankreich und Deutschland, bereit. Ein wesentliches Element der neuen Verfassung war daneben die Aufhebung konfessioneller Beschränkungen, so dass sich nun auch starke katholische Bewegungen formieren und mit den Liberalen und den aufkommenden protestantischen konservativen Parteien konkurrieren konnten. Unter Wilhelm III. (Regierungszeit 1849-1890) gewann im Zuge des Verfassungskonfliktes in den sechziger Jahren das liberal dominierte Parlament nun auch de facto die führende Rolle im Staatswesen.
Zentrale, kontrovers diskutierte innenpolitische Themen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts waren die Konfessionspolitik, seit der Konstituierung politischer Parteien ab den siebziger Jahren mehr und mehr das Wahlrecht sowie die Sozialpolitik. Letztere gewann durch den Wirtschaftsaufschwung, den die Niederlande ab etwa 1880 erlebten, und das damit einhergehende Erstarken der Arbeiterbewegung sowie durch die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1894 zunehmend an Gewicht und Brisanz. 1890 folgte Wilhelmina ihrem Vater Wilhelm III. auf dem Thron.
Während des 1. Weltkrieges verhielten sich die Niederlande strikt neutral; ihre innenpolitische Entwicklung blieb vom Kriegsgeschehen weitgehend verschont. 1917 wurde das allgemeine Wahlrecht für Männer eingeführt und 1922 auch für Frauen. Die bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts dominierenden Liberalen mussten ihre Führungsposition nun, in den Jahren zwischen den Weltkriegen, an die zum Teil neu entstandenen konfessionellen Parteien abgeben und blieben die längste Zeit in der Opposition; die Sozialdemokraten wurden erstmals 1939 an der Regierung beteiligt. Die Weltwirtschaftskrise erfasste Ende der zwanziger Jahre auch die Niederlande, die der Krise unter Abkehr von ihrer liberalistischen Wirtschaftspolitik mit dirigistischen Maßnahmen zu begegnen suchten.
7.8.1 Der 2. Weltkrieg
Im August 1939 erklärte die niederländische Regierung angesichts der vom nationalsozialistischen Deutschen Reich ausgehenden Bedrohung die allgemeine Mobilmachung, ohne jedoch die Neutralität des Landes in Frage zu stellen. Am 10. Mai 1940 überfielen deutsche Truppen ohne Kriegserklärung die Niederlande und Belgien - ungeachtet der Neutralität der beiden Staaten (siehe 2. Weltkrieg). Am 13. Mai gingen Königshaus und Regierung ins Exil nach London, und am 14. Mai 1940 kapitulierte die niederländische Armee. Zuvor hatte die deutsche Luftwaffe Rotterdam und andere Städte bombardiert und schwer zerstört.
Noch im Mai 1940 errichteten die Deutschen in den Niederlanden eine Zivilregierung mit Arthur Seyß-Inquart als Reichskommissar. Die Besatzungsmacht schaltete das Land weitgehend gleich und beutete es rigoros aus, zog niederländische Bürger zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie heran und verfolgte mit aller Brutalität die jüdische Bevölkerung. Die politischen Parteien wurden verboten - mit Ausnahme der Nationalsozialistischen Bewegung (Nationaal-Socialistische Beweging, NSB, 1931 von Anton Andriaan Mussert gegründet), die in der Folgezeit in das nationalsozialistische Unterdrückungssystem eingebunden wurde und die u. a. auch die niederländischen Einheiten der SS stellte. Gegen das nationalsozialistische Besatzungsregime formierte sich schon bald eine breite Widerstandsbewegung, die sich im Februar 1941 in einer großen Streikbewegung artikulierte.
Vor dem Hintergrund der Bedrohung des niederländischen Kolonialbesitzes durch Japan erklärte die Londoner Exilregierung am 8. Dezember 1941, am Tag nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, Japan den Krieg. Im Mai 1942 hatten die Japaner die niederländische Flotte vor Java vernichtet und ganz Niederländisch-Indien besetzt.
Nach ihrer Landung in der Normandie hatten die Alliierten bis April 1945 auch die Niederlande befreit; Exilregierung und wenig später auch Königshaus kehrten in die Niederlande zurück. In Niederländisch-Indien rief die indonesische Nationalbewegung nach dem Zusammenbruch Japans im August 1945 den unabhängigen Staat Indonesien aus, den die Niederlande jedoch nicht anerkannten; vielmehr suchten die Niederlande hier mit militärischen Mitteln ihre Herrschaft wieder herzustellen.
7.8.2 Konsolidierung und Westintegration
Die Jahre nach dem 2. Weltkrieg waren vom Wiederaufbau geprägt, der u. a. dank des Europäischen Wiederaufbauprogramms zügig voranschritt. Im Parteienspektrum dominierten die Katholische Volkspartei (Katholieke Volkspartij, KVP), die später im Christlich Demokratischen Appell (Christen-Democratisch Appèl, CDA) aufging, und die sozialdemokratische Partei der Arbeit (Partij van de Arbeid, PvdA, hervorgegangen aus der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei). Bis Ende der achtziger Jahre wechselten sich KVP bzw. CDA und PvdA mit jeweils unterschiedlichen Koalitionen in der Regierung ab. 1948 dankte Königin Wilhelmina zugunsten ihrer Tochter Juliana ab.
Außenpolitisch gingen die Niederlande nach dem 2. Weltkrieg von ihrer Neutralitätspolitik ab und suchten die Einbindung in das westliche Bündnissystem und die (west-)europäische Integration, die sie wesentlich mitgestalteten. 1945 waren die Niederlande Gründungsmitglied der Vereinten Nationen. 1948 trat die schon 1944 beschlossene Zollunion zwischen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg, den Benelux-Staaten, in Kraft, die sukzessive ausgeweitet wurde und 1960 in der Errichtung einer Wirtschaftsunion mündete (siehe Benelux-Vertrag). Ebenfalls 1948 traten die Niederlande - zusammen mit ihren Benelux-Partnern - im Brüsseler Pakt dem ursprünglich gegen Deutschland gerichteten britisch-französischen Bündnis (Dünkirchenvertrag von 1947) bei; 1955 ging der Brüsseler Pakt mit geänderter Zielsetzung in der Westeuropäischen Union (WEU) auf. 1949 waren die Niederlande Gründungsmitglied des Nordatlantikpaktes (NATO), und 1952 unterzeichneten sie den Gründungsvertrag der schließlich gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). 1949 begründeten die Niederlande den Europarat mit, 1952 die Montanunion und 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die EURATOM.
1949 mussten sich die Niederlande der indonesischen Unabhängigkeitsbewegung beugen und ihre Kolonie Niederländisch-Indien in die Unabhängigkeit entlassen. Lediglich aus Niederländisch-(West-)Neuguinea zogen sich die Niederlande erst 1963 zurück. 1954 wurden Surinam und die Niederländischen Antillen gleichberechtigte Provinzen des Mutterlandes; Surinam wurde 1975 in die Unabhängigkeit entlassen.
7.9 Wechselnde Regierungen
1973 löste nach 15 Jahren in der Opposition die PvdA unter Joop den Uyl an der Spitze einer Mehrparteienkoalition die teilweise äußerst instabilen KVP-geführten Koalitionen in der Regierung ab. Neben den bereits bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen sorgte nach der Unabhängigkeit Surinams 1975 der Zustrom Zehntausender surinamesischer Einwanderer für eine brisante Zuspitzung der sozialen Lage. Nach den Wahlen von 1977 übernahm der CDA, der sich inzwischen aus der KVP und anderen konfessionellen Parteien formiert hatte, mit Andreas van Agt als Ministerpräsident die Regierung. 1980 dankte Königin Juliana zugunsten ihrer Tochter Beatrix ab.
Bei den Wahlen von 1981 verlor die Regierung van Agt ihre Mehrheit im Parlament; van Agt bildete eine neue Koalition, die jedoch bald wieder zerbrach. Aus den Parlamentswahlen vom September 1982 ging zwar die PvdA als stärkste Fraktion hervor; die Regierung übernahm aber erneut der CDA unter ihrem neuen Vorsitzenden Ruud Lubbers. Lubbers bildete eine Koalition mit der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, VVD), die 1989 zerbrach und - nach vorgezogenen Neuwahlen - durch eine Koalition des CDA und der PvdA (ein Novum in der niederländischen Geschichte), wieder unter Lubbers' Führung, abgelöst wurde.
1983 trat eine neue Verfassung in Kraft. Zugleich wurde beschlossen, Aruba 1986 verwaltungstechnisch aus den Niederländischen Antillen herauszulösen und in ein autonomes überseeisches Gebiet der Niederlande umzuwandeln. Nach weiteren zehn Jahren sollte Aruba die volle Unabhängigkeit erhalten; diese Entscheidung wurde jedoch 1994 wieder rückgängig gemacht. Drei weitere Inseln der Niederländischen Antillen - Sint Maarten, Sint Eustatius und Saba, entschieden sich 1994 in einem Referendum für eine Beibehaltung des Status quo und verzichteten damit auf einen Sonderstatus, wie ihn Aruba genießt.
7.10 Sparkurs und Reformen
Angesichts des enormen Haushaltsdefizits und der hohen Staatsverschuldung beschloss die CDA/PvdA-Regierung Anfang 1991 ein drastisches Sparprogramm, in dessen Rahmen u. a. auch die Sozialausgaben deutlich gekürzt werden sollten. Dieser Beschluss hatte einen - schließlich gescheiterten - Misstrauensantrag der Opposition zur Folge, eine schwere Regierungskrise, in der die PvdA mit dem Rückzug aus der Koalition drohte, eine Krise innerhalb der PvdA selbst sowie massive Proteste der Gewerkschaften und zahlreiche Demonstrationen. Der Sparzwang bestimmte auch in den folgenden Jahren die Finanzpolitik der Niederlande und erstreckte sich nun auch auf verschiedene andere Bereiche, u. a. auf die Bildung und die Beamtenbesoldung. 1993 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Reduzierung der Streitkräfte um fast 50 Prozent bis 1998 und ihre Umwandlung in eine Berufsarmee vorsah.
Bei den Wahlen vom Mai 1994 verloren die beiden Regierungsparteien ihre absolute Mehrheit im Parlament; allein der CDA verlor 20 Sitze und wurde von der PvdA als stärkste Fraktion abgelöst. Die größten Zugewinne konnten die Liberalen verbuchen, die rechtsliberale VVD und die linksliberalen Demokraten '66 (D '66). Nach langwierigen, fast drei Monate dauernden Verhandlungen brachte die PvdA eine Koalition mit der VVD und den D '66 zustande; Ministerpräsident wurde der PvdA-Vorsitzende Wim Kok. Der CDA musste nun erstmals seit über 20 Jahren in die Opposition gehen. Auch die neue Regierung hielt an dem Sparkurs ihrer Vorgängerin fest und setzte außerdem 1995/96 eine tief greifende Reform des kaum mehr finanzierbaren Sozialsystems um, durch die u. a. die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber sichergestellt und die gesetzliche Krankenversicherung abgeschafft wurde. Im Rahmen einer Staatsrechtsreform wurden im Oktober 1995 das Wahlrecht nach deutschem Vorbild modifiziert und Referenden auf kommunaler, Provinz- und Landesebene eingeführt. Am 31. August 1996 endete offiziell die Wehrpflicht; seither ist die niederländische Armee eine Berufsarmee.
Die Parlamentswahlen am 6. Mai 1998 bestätigten die Regierungskoalition: PvdA und VVD gewannen sogar noch deutlich hinzu, die D '66, der kleinste Koalitionspartner, verloren allerdings einige Sitze. Die Koalition verfügte nun zusammen über 97 der insgesamt 150 Parlamentssitze. Der CDA sank weiter in der Wählergunst und wurde nur noch drittstärkste Fraktion hinter PvdA und VVD. Trotz der klaren Mehrheit für die alte Koalition dauerte es erneut fast drei Monate, bis sich PvdA, VVD und D '66 auf ein Regierungsprogramm und die Fortsetzung ihrer Koalition einigen konnten. Ministerpräsident blieb Wim Kok.
Seit 1996 machte sich in nahezu allen Wirtschaftszweigen ein deutliches Wachstum bemerkbar, die Arbeitslosenquote ging auf unter 6 Prozent zurück, Haushaltsdefizit und Inflationsrate konnten auf unter 2 Prozent gedrückt werden. 1997 lag die Staatsverschuldung noch immer bei über 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Trotzdem konnten die Niederlande am 1. Januar 1999 an der Einführung des Euro teilnehmen, der seit dem 1. Januar 2002 Währungseinheit ist.
Am 16. April 2002 erklärte die Regierung ihren Rücktritt. Damit zog sie die Konsequenzen aus einem Bericht des Instituts für Kriegsdokumentationen zum Fall der muslimischen Enklave Srebrenica in Bosnien im Jahr 1995 sowie dem Verhalten der dort stationierten niederländischen Schutztruppe. Dem Bericht zufolge hielten hohe niederländische Militärs bewusst Informationen über das Ausmaß der Tragödie von Srebrenica zurück, um das Ansehen der etwa 400 Blauhelme nicht zu beschädigen. Der seit acht Jahren amtierende Ministerpräsident Wim Kok hatte bereits im August 2001 verkündet, nicht für eine dritte Amtsperiode als Regierungschef zur Verfügung zu stehen.
Die Parlamentswahlen vom 15. Mai 2002 veränderten die politische Landschaft in den Niederlanden grundlegend. Stärkste Partei wurden die Christdemokraten, die unter ihrem Spitzenkandidaten Jan-Peter Balkenende 43 der 150 Mandate errangen, vor der rechtspopulistischen Liste Pim Fortuyn (LPF). Diese erstmals bei Parlamentswahlen angetretene Partei erreichte auf Anhieb 26 Sitze. Die PvdA musste die schwerste Niederlage in ihrer Geschichte hinnehmen; sie verlor nahezu die Hälfte ihrer Mandate und stellt nur noch 23 Abgeordnete. Auch die beiden Koalitionspartner der Sozialdemokraten, VVD und D '66, erlitten Verluste. Die Wahlen standen unter dem Eindruck des Todes von Pim Fortuyn, der zehn Tage vor der Abstimmung einem Attentat zum Opfer gefallen war.
Fünf Wochen nach den Wahlen einigten sich der Christlich-Demokratische Appell, die Liste Pim Fortuyn und die Volkspartei für Freiheit und Demokratie auf die Bildung einer Regierungskoalition, die im Juli die Amtsgeschäfte übernahm. Ministerpräsident wurde der Christdemokrat Balkenende. Bei den Verhandlungen hatten sich die Parteispitzen auf eine deutliche Verschärfung des Einwanderungsrechts geeinigt. Die Regierungsbildung erwies sich als langwierig, weil die LPF Schwierigkeiten hatte, Ministerposten mit qualifiziertem Personal aus ihren Reihen zu besetzen.
Nur rund drei Monate nach ihrer Vereidigung trat die Regierung am 16. Oktober zurück. Grund für die Auseinandersetzungen in der Koalition waren parteiinterne Querelen in der LPF, die in einem Machtkampf um die Parteispitze gipfelten. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 22. Januar 2003 erreichte die CDA als erneut stärkste Kraft 44 Mandate, die bei den Wahlen vom Mai abgestrafte sozialdemokratische PvdA verbesserte sich auf 42 Mandate. Die rechtsliberale VVD ist im neuen Parlament mit 28 Abgeordneten vertreten, auf die Liste Pim Fortuyn entfallen nur noch acht Sitze.
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