In den 70er Jahren wurde auf dem Land das Heiratsalter für Frauen auf 23, für Männer auf 25 Jahre heraufgesetzt, in der Stadt gar auf 25 und 28 Jahre. Wer das neue Recht verletzte, dem drohten harte Strafen. Wer die Norm erfüllte, konnte mit Belohnungen rechnen.
Tatsächlich sank die durchschnittliche Kinderzahl in den siebziger Jahren um mehr als die Hälfte - auf 2,5 pro Frau. In solch einem Tempo hatte sich noch keine Nation der Welt das Gebären abgewöhnt. Doch für Maos radikale Nachfolger war das noch zu wenig. 1979 präsentierten sie dem Land, in dem viele Kinder und vor allem Söhne seit jeher eine wichtige Rolle spielten, den nächsten Schocker: das Postulat der Ein-Kind-Familie.
Die neue Vorgabe liess sich nur mit stalinistischen Methoden durchsetzen. Fabriken, Dörfer, Gemeinden, Bezirke und Provinzen - alle Ebenen der Gesellschaft bekamen Quoten zugeteilt, die von strammen Parteikadern und Familienplanungs-Komitees überwacht wurden und keinesfalls überschritten werden durften. Deng Xiao-ping, seit 1977 der neue starke Mann Chinas, gab die Losung aus: "Nutzt, mit welchen Mitteln auch immer, alle Möglichkeiten, um die Bevölkerung zu reduzieren - aber tut es."
Jede Frau brauchte seither ein Zertifikat zum Schwangerwerden. Bei Paaren mit zwei oder mehr Kindern wurde einer der Partner zwangssterilisiert. Wer sich dagegen wehrte, dem wurden Wasser und Strom abgestellt, Führerschein und Gewerbeerlaubnis entzogen. Einer chinesischen Journalistin führten die Behörden einmal stolz die Arbeit einer Eingreiftruppe der Familienplanung vor. Sie zeigten ihr, wie die Häuser von sechs Familien niedergerissen wurden, weil die Frauen eine Abtreibung verweigert hatten. Im Krankenhaus des Ortes, berichtete die Journalistin weiter, standen mülleimerweise abgetriebene, bis zu acht Monate alte Feten herum.
Eine Kontrollbeamtin aus einer Provinz nördlich von Beijing beschreibt, wie Kinder sogar bis zum neunten Monat abgetrieben bzw. ermordet wurden. Dass gar Ärzte selbst Neugeborene umbrachten und sie dann als Totgeburten deklarierten, um die vorgegebenen Quoten nicht zu überschreiten.
Unter dem Druck der Ein-Kind-Kampagne verdreifachte sich binnen vier Jahren die Zahl der Abtreibungen. 1982 endete fast die Hälfte aller Schwangerschaften durch einen Eingriff der Planer. In manchen Städten wie Schanghai wurden weit mehr Feten abgetrieben als Kinder geboren. Auch die Tötung von Mädchen nahm ungeheure Ausmasse an. Für viele Bauern stellte sich nach Geburt einer Tochter die Frage, ob sie auf die staatliche Versorgung im Alter verzichten wollten oder das Mädchen umbringen sollten, um die Quoten für einen "zweiten Versuch" zu retten.
Zwar sank Chinas Wachstumsrate nach Einführung der Ein-Kind-Politik noch einmal, aber bald zeigt sich, dass die Regierung übertrieben hatte. Auf dem Land, wo 80 Prozent aller Chinesen wohnen, liess sich die verschärfte Geburtenkontrolle nicht voll durchsetzen. Hier waren Kinder einfacher zu verstecken, als in der Stadt und Überwachungsbeamte leichter zu bestechen. Bis heute "fehlen" in Chinas Statistiken vermutlich 50 Mio. nicht gemeldeter Kinder. Viele Bauern, die neuerdings durch die Privatisierung der Landwirtschaft unabhängig geworden waren, konnten es sich obendrein leisten, die hohen Bussen für illegale Nachkommen zu zahlen.
Auf den öffentlichen Druck hin wurden die Bestimmungen 1984 gelockert. Minderheiten und Bewohner besonders armer Regionen wurden von der Ein-Kind-Politik ausgenommen. Diese und viele andere Sonderregelungen erlaubten vielerorts 2 Kinder, wodurch die Wachstumsquote wieder anzog.
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