2.1 Wirtschaftspolitischer Hintergrund
2.1.1 Versorgungskrise
Im Frühjahr 1988 war zu erkennen, daß viele sowjetische Bürger von den praktischen Ergebnissen der Perestrojka-Politik zunehmend enttäuscht waren. Durch das Fehlen konkreter Veränderungen nach 3 Jahren Gorbatschowscher Politik sowie der großen Unterschiede zwischen offiziellen Versprechungen und der Realität des sowjetischen Alltags, der sich durch Versorgungsmängel und steigende Preise auszeichnete, wurde der Kurs der Perestrojka zunehmend unglaubwürdig. Maßnahmen, die die Wirtschaft verbessern sollten, wie z.B. die Kampagne gegen den Alkoholkonsum oder die Einführung der staatlichen Qualitätskontrolle führten zu keiner Verbesserung der Verhältnisse.
Bei der mangelnden Versorgung mit Konsumgütern, im Dienstleistungsbereich oder beim Wohnungsangebot erfuhren die sowjetischen Bürger am eigenen Leibe, daß keine Veränderungen eingetreten waren. Dieses führte zu einer zunehmenden Frustration und Mißstimmung in der Bevölkerung. Solche Stimmungen wurden durch Veröffentlichungen der Ergebnisse von Meinungsumfragen noch unterstrichen.
Sichtbar wurde auch, daß eine zunehmende Politisierung der Bevölkerung stattfand. Im Vordergrund stand dabei die Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz und der Arbeitsatmosphäre sowie die Angst vor Arbeitslosigkeit. Im Versorgungsbereich waren das der Warenmangel und die Inflation. Außerdem bereiteten vielen Bürgern die Formen sozialer Differenzierung Sorge.
Eine Umfrage 1987 in 374 Betrieben ergab, daß über 60% der befragten Belegschaftsmitglieder nicht mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden waren. Die Gründe dafür
schienen in den niedrigen Löhnen und in der schlechten Arbeitsorganisation zu liegen. Zum anderen jedoch auch in den schlechten Lebensbedingungen: 20% der Belegschaftsmitglieder warteten auf eine Wohnung (in der Verhüttungsindustrie mehr als 30%) und ähnlich schlecht waren die Bedingungen bei den Kindergartenplätzen und anderen sozialen Einrichtungen.
Als undurchschaubar stellte sich das neu eingeführte Lohn- und Prämiensystem dar. Hier war die Vorgabe von Prämien in der Regel nicht von der Produktionsleistung abhängig. So erhielten 67% der Befragten eine Prämie, obwohl sie ihre Produktionsaufgabe nicht erfüllt hatten.
Veränderungen in den Betrieben hatte es bis 1987 nicht gegeben, weder im Verhalten der Kollektive noch in der Einstellung der Mitarbeiter zum Betrieb.
Während so einerseits verzerrte und entstellte Reformmaßnahmen bzw. ihr völliges Fehlen zu Frustration und Unzufriedenheit führte, war auch die Durchsetzung von Reformschritten Auslöser für Konflikte. Die Einführung der staatlichen Qualitätskontrolle und die dadurch verschärften Inspektionen führten oft zu Zurückweisungen der Erzeugnisse und in der Folge zu Lohnkürzungen. Dieses und die Möglichkeit der "Freisetzung" von Arbeitskräften von der Belegschaft wurde als Bedrohung angesehen. Dazu kamen Prognosen von Ökonomen, die von einer Freisetzung von 14-16 Millionen Beschäftigten bis zum Jahre 2000 sprachen.
Auch außerhalb der Betriebe setzten sich die Probleme und die Versorgungskrise fort. Zwischen 1986 und 1988 wuchsen die Geldeinkünfte der Bevölkerung um 16,7%, der Verkauf von Konsumgütern dagegen stieg nur um 13%. Dadurch kam es zu einem Nachfrageüberschuß, den der Handel nicht befriedigen konnte. Die sowjetische Führung
griff daraufhin zu dem Aushilfsmittel der Rationierung. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zu einer Inflation nicht unter 4%.
Die Ursachen für dieses Mißverhältnis von Kaufkraft und Konsumangebot muß man in der sowjetischen Geschichte suchen. Seit dem Ende der zwanziger Jahre hatte die Führung über Jahrzehnte hinweg Rüstung und Produktionsgütererzeugung favorisiert und die Konsumgüterproduktion vernachlässigt.
Das Defizit von Lebensmitteln und die inflationäre Preisentwicklung riefen in der Bevölkerung wieder Unzufriedenheit und Sorge hervor. Sogar 70% der Personen aus vergleichsweise privilegierten Gruppen gaben bei Befragungen an, daß sie mit materiellen Problemen zu kämpfen hätten.
Also läßt sich zusammenfassend sagen, daß in weiten Bevölkerungskreisen der Eindruck vorherrschte, daß die seit 1985 Schritt für Schritt konzeptionell fortentwickelte Politik der Perestrojka bisher kaum fühlbare materielle Ergebnisse erbracht hatte.
2.1.2 Die XIX. Parteikonferenz (Juni 1988)
Als Reaktion auf diese nicht vorhandenen Ergebnisse wurde eine politische Wende von Teilen der Partei- und Sowjetführung angestrebt, die auf der XIX. Parteikonferenz durchgesetzt werden sollte. Als Vorbereitung für diese Wende suchten Gorbatschow-Administratoren schon im Vorfeld ein günstiges Klima für Veränderungen zu schaffen. Dazu dienten wohl die Veröffentlichungen von Meinungsumfragen, die die Situation alles andere als positiv aussehen ließen. Der Gesellschaft und der Partei sollte ein ungeschminktes Bild der Lage vermittelt werden, um so die Notwendigkeit zu tiefgreifenden Änderungen zu verdeutlichen und Unterstützung zu mobilisieren. "In seinem Bericht vor der Konferenz skizzierte der Generalsekretär der KPDSU Gorbatschow die Reform des politischen Systems, die in den nächsten Jahren Schritt für Schritt verwirklicht werden sollte. Diese
politische Reform mußte aber auf dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Gesundung stattfinden." Eine Durchsetzung der radikalen Reform des ökonomischen Mechanismus und der Wende der Wirtschaftspolitik maß Gorbatschow deshalb große Dringlichkeit zu. Das Eingeständnis, daß sich die sowjetische Volkswirtschaft in einer schweren Krise befindet, war der Ausgangspunkt Gorbatschows Argumentation. Zur Verbesserung dieser Situation wollte er auch den Rüstungssektor in die Pflicht nehmen, der seinen Beitrag bei der Erzeugung und Lieferung von Konsumgütern entschieden vergrößern sollte. Im Mittelpunkt der Ausführungen zur Wirtschaftsentwicklung stand der desolate Zustand der Staatsfinanzen und die Versorgungskrise. Es sollte eine sogenannte "soziale Reorientierung der Ökonomie" stattfinden, also eine Neuverteilung der Ressourcen, die den Rüstungssektor mit einzubeziehen habe. Eine Wende müßte es ebenfalls in der Außenpolitik geben. Die negativen Folgen für die soziale und ökonomische Entwicklung des Landes, die der Rüstungswettlauf mit sich gebracht hatte, müsse durch eine realistischere Außenpolitik beseitigt werden.
Diese "Ökonomisierung der Außenpolitik" beinhaltet dabei die Beschränkung der militärischen und Rüstungsaktivitäten. Sicherheit sollte nun im Rahmen einer stärker defensiv orientierten Struktur und mit geringeren Mitteln gesichert werden. Die Konferenz gab hier den politischen Rahmen vor, der im Laufe des Jahres 1989 mit Truppenabbau und Kürzung der Rüstungsausgaben dann praktische gefüllt wurde.
2.1.3 Staatshaushaltdefizit
Im Herbst 1988 legten Finanzministerium und Staatsplankomitee den Jahresplan und das Staatsbudget für 1989 vor.
Dabei wurde die Einschätzung der Wirtschaftslage, wie sie bereits bei der XIX. Parteikonferenz gezeigt wurde, noch einmal unterstrichen. Gorbatschow hatte ja bereits darauf hingewiesen, daß die Staatsausgaben die Einnahmen seit längerer Zeit überstiegen hatten. Im Oktober nannte Finanzminister B. J. Gostev konkrete Zahlen.
Abb. 2-1: Staatshaushalt UdSSR 1989
in Mrd.Rbl. in Prozent
1. Einnahmen
Insgesamt 458,4 100,0
a. aus der Wirtschaft 355,6 77,6
darunter
- aus Gewinnen 121,2 26,4
- Umsatzsteuer 104,1 22,7
- aus der Außenwirtschaft 60,0 13,1
- im Rahmen der sozialen Sicherung 31,4 6,8
b. aus Steuern und anderen Abgaben
aus der Bevölkerung 39,4 8,6
c. aus Staatskrediten 63,4 13,8
2. Ausgaben
Insgesamt 494,7 100,0
a. für Sozial-kulturelle Maßnahmen 163,5 33,1
darunter
- für Wissenschaft und Forschung 21,5 4,3
b. für Budgetsubventionen für Lebens-
mittel und andere soziale Belange 103,0 20,8
c. für zentrale Aufgaben der
Zweige der Volkswirtschaft 172,7 34,9
d. für die Außenwirtschaft 28,6 5,8
e. für Verteidigung 20,2 4,1
f. für die Staatsverwaltung 2,9 0,6
g. Finanzreserven 3,7 0,7
3. Differenz zwischen
Einnahmen und Ausgaben 36,3
Quelle: Hans-Henning Schröder, "Versorgungskrise, Rüstungsabbau und Konversion in der UdSSR", Heft I, in Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 56-1989, Seite2 6
Dieses entspricht jedoch nicht ganz der Wahrheit. Gostev setzte sowohl die Staatskredite als auch die Ausgaben für die Verteidigung zu niedrig an.
Die tatsächliche Höhe des im Plan vorgesehenen Defizits betrug anderen Angaben zufolge 100 Mrd. Rubel und das war auch die Zahl, die in der Presse am häufigsten genannte wurde.
Die sowjetische Finanzpolitik befand sich also in einer kritischen Situation, zu deren Beseitigung einschneidende Maßnahmen erforderlich waren. Der Führung wurde bewußt, welche Bedeutung eine gesunde Finanzpolitik für die Durchsetzung der Wirtschaftsreform hat und arbeitete ein Sanierungsprogramm aus, das den Geldumlauf stabilisieren und auf eine Steigerung der Einnahmen und Senkung der Ausgaben hinwirken sollte. In diesem Zusammenhang standen auch die Militärausgaben zu Diskussion, so daß es zur Rüstungslastdebatte kommt.
2.2 Rüstungslastdebatte
Die neue Politik der Offenheit im Zusammenhang mit der Politisierung der Gesellschaft schufen schon im Vorfeld der Parteikonferenz die Grundlage dafür, daß die Frage der sowjetischen Rüstungsausgaben öffentlich diskutiert werden kann.
Die wichtigsten Elemente der Diskussion, die sich nun entwickelt, sind die folgenden:
. Kritik an der Überrüstung der letzten Jahrzehnte ;Beschränkung der Rüstungsanstrengungen auf den durch die defensive Doktrin vorgegebenen Rahmen
. Unklarer Nutzen des sowjetischen Raumfahrtprogramms
. Öffentliche Kontrolle von Betrieben, Militär und Rüstungsindustrie
1. Kritik an der Überrüstung
Der niedrige Lebensstandard wurde mit den hohen Rüstungsaufwendungen verknüpft. Dabei wurden Stimmen laut, die von einer Rüstungslast von 10-15% des Bruttosozialproduktes sprachen. In der Moskauer Öffentlichkeit wurden gerüchteweise sogar 30-40% des BSP erörtert. Demgegenüber steht die USA mit einer Rüstungslast von 6% des BSP und Europa mit 3% des BSP.
Die Zahlen über die sowjetische Rüstungslast waren zwar nur Schätzungen, aber sie machten der Bevölkerung die hohe Last, die die Volkswirtschaft zu tragen hat, klar. Hier liegt auch die Bedeutung der Rüstungslastdebatte, die seit Mitte 1988 in den sowjetischen Medien geführt wird. Eben in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der Schaffung eines Klimas, in dem die bisherige Priorität des Rüstungssektors zu Debatte steht.
2. Kritik am sowjetischen Raumfahrtprogramm
"Ein Nebenaspekt der Debatte über die Belastung der sowjetischen Volkswirtschaft durch die Rüstung war die öffentliche Kritik an den Ausgaben für das sowjetische Weltraumprogramm." Diese Kritik bestand schon seit längerer Zeit und viele Stimmen beklagten, daß ungeheure Gelder und Arbeitsressourcen für Raumschiffe und Satelliten aufgebracht wurden, während es an Wohnraum, Schulen, Krankenhäusern etc. mangelte.
Ein weiterer Kritikpunkt war die Geheimhaltungspolitik, die die Raumfahrtbehörde vor wirksamer Kontrolle durch die Öffentlichkeit schützte und so zu einer Reihe von Fehlentwicklungen führte. Die Kritiker forderten, daß die in diesem Sektor entwickelten Technologien dem Rest der Wirtschaft weitergegeben werden und somit eine kommerzielle Nutzung der Raumfahrt möglich werde.
3. Kritik an der Geheimhaltung der Rüstungsdaten
Die Kritik an der Geheimhaltungspolitik betraf nicht nur den Raumfahrtsektor sondern den gesamten Rüstungssektor. Angesichts der Vorstellung von einer "Informationsgesellschaft", wie sie infolge der Entwicklung von Kommunikationstechnologie und elektronischer Datenverarbeitung nun auch in der Sowjetunion Platz griff, erschienen insbesondere Wissenschaftlern die geltenden Geheimhaltungsbestimmungen irrational. Eine Gruppe von Akademiemitgliedern wandte sich gegen das "Krebsgeschwür" Bürokratie, das sowohl die Entwicklung in der Wirtschaft als auch den technologischen Fortschritt behinderte.Auf einen anderen Aspekt der Geheimhaltung wies der Außenminister Schewardnadse hin. Er wandte sich gegen die Praxis des Verteidigungsministeriums, militärische Daten auch vor dem Außenministerium geheim zu halten.
Ein weiterer Gesichtspunkt gegen die Geheimhaltung war, daß ohne Informationen eine Konversion nicht verwirklicht werden könne.
Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen - konkreter Forderungen des Außenministeriums und von seiten der Zivilwirtschaft - sind die Beschlüsse der XIX.
Parteikonferenz zu sehen. Die Konferenz forderte eine Vertiefung der Politik der "Glasnost" und ihre staatliche Absicherung. Der Anspruch der Bürger auf Informationen sollte festgeschrieben werden und die Grenzen der notwendigen Geheimhaltung sorgfältig abgesteckt werden.
2.3 Die sowjetischen Rüstungsausgaben
Bis zum 30. Mai 1989, als Generalsekretär Gorbatschow die Höhe des sowjetischen Verteidigungshaushaltes mit 77,3 Mrd. Rubel bezifferte, gab es von sowjetischer Seite keine ernstzunehmenden Daten über die Aufwendungen für die Rüstungs- und Sicherheitspolitik. Dieses führte dazu, daß von westlicher Seite eine Reihe von Institutionen Schätzungen vornahmen, die sich jedoch erheblich voneinander unterschieden.
Sowohl die sowjetischen Angaben als auch die westlichen Schätzungen, die ebenso wie die sowjetischen Daten nicht befriedigen können, werden in der nachfolgenden Grafik dargestellt.
Abb. 2-2: Sowjetische Militärausgaben 1985 - 1991 (Mrd. Rbl., lfd. Preise)
Jahr: Offiziell, vor Preisreform 1991 Offiziell, nach Preisreform 1991 Deputierten-
gruppe des Ob.
Sowjets NATO-
Schätzungen
1985 --- --- --- ---
1986 --- --- --- ---
1987 --- --- --- (ca. 130,00)
1988 82,50 --- --- ---
1989 77,30 --- --- (ca. 145,00)
1990 70,10 (ca. 105,60) (ca. 200,00) ---
1991 (ca. 64,50) 96,56 --- ---
Quelle: Hans-Henning Schröder, "Konflikt um Konversion: Rüstungssektor versus Wirtschaftsreform"
"Den offiziellen Angaben zufolge sanken die Militärausgaben 1988-90 von 82,5 auf 70,1 Mrd. Rubel. Real sollten sie im Staatshaushalt für 1991 um weitere 8,5% gekürzt werden. Da jedoch die Waffenpreise um 25-65% angehoben wurden, stiegen die Militärausgaben nominal um 36% an. Eine Gruppe Deputierter des Obersten Sowjet kam Anfang 1990 aufgrund eigener Berechnungen zu dem Ergebnis, daß die Militärausgaben über 200 Mrd. Rubel ausmachten. Westliche Schätzungen dagegen bewegen sich in der Höhe von 130 - 145 Mrd. Rubel. Dabei gehen westliche Regierungsstellen davon aus, daß die sowjetischen Militärausgaben 1989 und 1990 zurückgegangen sind."
Welche der o.g. Angaben der Wahrheit am nächsten kommen, ist schwer auszumachen. Man kann wohl davon ausgehen, daß die offiziellen Angaben bisher zu niedrig lagen. Gleichgültig welche der Angaben letztlich zutrifft, bezogen auf das BSP ist die Rüstungslast auf jeden Fall beträchtlich: nach offiziellen Angaben macht sie etwa 9,4% des BSP aus.
Greift man auf westliche Schätzungen zurück, macht sie ca. 15% aus, nach denen der Deputiertengruppe beläuft sie sich auf über 20%.
Abb. 2-3: Haushalt der UdSSR 1950-1989 in Mrd. Rbl. (lfd. Preise)
Abb. 2-4: Offzielles Wehrbudget der UdSSR
Anteil am Gesamthaushalt in Prozent
Quelle: Hans-Henning Schröder, "Versorgungskrise, Rüstungsabbau und Konversion in der UdSSR", Heft II, in Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 57-1989, Seite 21
Hier kann man sehen, daß die sowjetischen Angaben doch sehr unrealistisch sind. Wenigstens bis zur ersten Hälfte der 60er Jahre scheint es so, daß die offiziellen Angaben einen gewissen Zusammengang mit der realen Entwicklung der Rüstungsausgaben haben.
"Das relative Absinken des Wehrbudgets im Laufe der 50er Jahre ließe sich dann mit der Truppenreduzierung jener Jahre erklären. Spätestens ab Mitte der 60er Jahre haben die offiziellen Angaben jedoch offentsichtlich keinen Realitätsbezug mehr. Die Vorstellung, daß die Verteidigungsausgaben über 25 Jahre hinweg im wesentlichen stagnierten, während sich der Gesamthaushalt verzehnfachte, und dies in einer Phase, in der die UdSSR nuklear aufrüstete mit dem Ziel, die Parität mit den USA zu erreichen, entbehrt nicht der Lächerlichkeit." Dennoch fanden sich in der Sowjetunion Autoren, die die Stirn hatten zu behaupten die offiziell genannte Zahl decke tatsächlich die gesamten Verteidigungsaufwendungen der UdSSR ab.
Etwa seit 1987 zeichnete sich jedoch eine Wende ab. Sprecher des sowjetischen Außenministeriums gestanden ein, daß die Rüstungsausgaben der UdSSR über den bisher veröffentlichten Zahlen lagen. Genaue Angaben wurden aber nicht gemacht. Anfang 1989 begann die Führung Teildaten zu veröffentlichen: Gorbatschow bezifferte dabei, wie bereits genannt, den Umfang der sowjetischen Verteidigungsausgaben auf 77,3 Mrd. Rubel und gab folgende Aufgliederung:
Abb. 2-5: Aufgliederung der sowjetischen Verteidigungsausgaben 1989
nach sowjetischen Angaben
Betriebsausgaben:
Personal, Materialerhaltung, Betrieb
Rente für ehemalige Militärangehörige
20,2 Mrd. Rbl
2,3 Mrd. Rbl.
Investive Ausgaben:
Militärische Anlagen
Beschaffung von Waffen und
militärischem Gerät
Forschung, Entwicklung, Erprobung
4,6 Mrd. Rbl.
32,6 Mrd. Rbl.
15,3 Mrd. Rbl:
Sonstige Ausgaben 2,3 Mrd. Rbl.
Militärausgaben insgesamt 77,3 Mrd. Rbl.
Abb. 2-6: Aufgliederung der sowjetischen Verteidigungsausgaben 1989
nach NATO Angaben
Personal
Renten für ehemalige Militärangehörige
Materialerhaltung, Betrieb,
militärische Anlagen
Beschaffung von Waffen
und militärischem Gerät
Forschung, Entwicklung, Erprobung ca. 20 Mrd. Rbl.
? Mrd. Rbl.
50 Mrd. Rbl.
60 Mrd. Rbl.
? Mrd. Rbl.
Militärausgaben insgesamt 130 Mrd. Rbl.
Quelle: Hans-Henning Schröder, "Versorgungskrise, Rüstungsabbau und Konversion in der UdSSR", Heft II, in Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 57-1989, Seite 31
Eine Besonderheit der Aufgliederung ist, daß das Konzept von Militärausgaben formal schon in etwa international üblichen Vorstellungen entsprach.
Für 1989 bezifferte die NATO die sowjetischen Militärausgaben (nominal) auf insgesamt 135-145 Mrd. Rubel.
Insgesamt gesehen haben sowjetische Angaben also keinen besonders hohen Aussagewert, so daß man auf westliche Schätzungen zurück greifen muß - so unzulänglich diese Angaben auch sind.
Bei aller Kritik muß man jedoch die politische Bedeutung der Angaben beachten. Erstmals seit den frühen 50er Jahren hat die UdSSR Teildaten veröffentlicht, die wenigstens die Grundlage von öffentlichen Diskussionen sein können
2.4 Rüstungsabbau und Konversion
2.4.1 Truppenreduzierung
Trotz großen öffentlichen Drucks läßt sich die sowjetische Führung nur langsam dazu bringen präzise Angaben über den Umfang der geplanten Kürzungen zu machen. Es sind jedoch erste konkrete Schritte zum Rüstungsabbau eingeleitet worden. Nach dem Abkommen über den Abbau der Mittelstreckenraketen war es vor allem die einseitige Truppenreduzierung, die dem sowjetischen Abrüstungswillen im Westen Glaubwürdigkeit verlieh. Am 7.12.1988 hatte Gorbatschow diesen Schritt vor der UNO angekündigt und die praktische Umsetzung begann im Frühjahr 1989. Die Realisierung dieser Abrüstungsmaßnahmen stellten allerdings zunächst keine unmittelbare Erleichterung für die Volkswirtschaft dar, sondern bürdeten ihr neue Lasten auf.
2.4.1.1 Vernichtung und Umrüstung militärischen Geräts
Rüstungsgüter, die vernichtet werden mußten oder einer zivilen Nutzung zugeführt werden konnten, fielen zum einen durch das INF- Abkommen zum anderen durch die einseitige Reduzierung konventioneller Streitkräfte an. Die Zahl der Systeme die im Rahmen des INF- Abkommens vernichtet werden sollten und auch die Verfahren mit denen das geschehen sollte, waren festgelegt. Es handelte sich dabei auf sowjetischer Seite um 826 Mittelstreckenraketen und um 926 Kurzstreckenraketen. Sie sollten entweder gesprengt oder ausgebrannt werden und eine bestimmte Anzahl von Kurzstreckenraketen konnte auch durch Abschuß beseitigt werden. "Die Gefechtsköpfe sollten ebenfalls vernichtet werden, das enthaltene Waffenuran konnte anderweitig genutzt werden. Die Startgeräte und Hilfseinrichtungen sollten so umgebaut werden, daß sie nicht mehr militärisch Nutzbar waren und die Raketentransportfahrzeuge durften für zivile Zwecke umgebaut werden."
Die Möglichkeiten einer zivilen Nutzung militärischen Geräts waren im Abkommen also einige Grenzen gesetzt. Die Vernichtung der Raketen begann im Laufe des Jahres 1988; Anfang August 1989 war die Vernichtung der sowjetischen Kurzstreckenrakete OTR-22 (SS-12) zu 76% abgeschlossen. Edelmetalle waren aus dem Demontierten zurückgewonnen worden und die Raketentransportfahrzeuge waren zu 110 Schwerlastkraftwagen umgebaut worden; u.a. waren 2 Raketen als Wassertürme in einer gärtnerischen Produktionsgemeinschaft aufgestellt worden, Teile einer anderen Rakete erhielt ein Bildhauer als Material für eine Skulptur.
Der volkswirtschaftliche Nutzen der Raketenvernichtung ist also augenscheinlich gering. Die großen Mittel, die in den Bau dieser Waffensysteme investiert worden waren, lassen sich hier kaum zurückgewinnen. Aus diesem Grunde wurden auch Stimmen laut, die sich gegen die Vernichtung aussprachen und die Raketenbrennstoffe zivil nutzen oder die Raketen für geophysikalische Forschungen einsetzen wollten. Zugleich befürchteten einige Kritiker, die Sprengungen der RDS-10 (SS-20) könnten die Umwelt vergiften. Diese Sorgen wurden jedoch von offiziellen Stellen als Unfug abgetan.
Die Vernichtung der Raketen war jedoch nur ein Probelauf für die zivile Umwandlung militärischen Geräts. Die Reduzierung der konventionellen Truppen um 500.000 Mann erweist sich als sehr viel schwieriger. Im Rahmen dieser Aktion sollten 10.000 Panzer, 8500 Geschütze und Werfer sowie Pionierfahrzeuge und das übrige Großgerät abgebaut werden. Von den 10.000 Panzern sollten 5.000 verschrottet werden. Dafür wurde ein Vertrag mit dem schwedischen Unternehmen "Ovako Steel" über die Lieferung von 5.000t und langfristig 50.000t geschlossen. Dieses entspricht 25% der 5.000 zu verschrottenden Fahrzeugen. Die restlichen 5.000 Panzer sollten für Ausbildungszwecke oder nach Umbau für den Zivilbereich genutzt werden.
Wie das geschehen sollte und wie die Verteilung des übrigen Geräts der in Auflösung befindlichen Verbände stattfinden sollte, gab es keine präzisen Angaben.
1989 wurden dann konkrete Angaben gemacht. Danach sollte nur ein geringer Teil der Geräte in die Verfügung der Wirtschaft gelangen. Vorerst wurden die Geräte dazu eingesetzt, um Lücken zu stopfen, die bereits existierten oder durch die Kürzungen der Rüstungsausgaben entstanden sind.
Im März 1989 wurde dann überschüssiges Gerät der Bevölkerung zum Kauf angeboten. Auf der Liste waren u.a. 20.000 Kraftfahrzeuge, Versorgungsschiffe der Kriegsmarine mit neuesten Navigationsgerät, Transistoren, Dioden.
Sinn dieser Aktion war es wohl, veraltetes und unsinnig gehortetes Gerät einer volkswirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Insgesamt gesehen scheint es, daß die Zivilwirtschaft aus der Truppenreduzierung keinen wesentlichen Nutzen ziehen kann. Nur ein geringer Teil des freiwerdenden Geräts kann mit Gewinn genutzt werden und obendrein sind beträchtliche Investitionen notwendig, um die Vernichtung sachgerecht durchzuführen. Man kann also sagen, daß Abrüstung erst einmal die Vernichtung großer Werte bedeutet, die vorher unsinnigerweise aufgehäuft wurden.
Die UdSSR zahlt hier also für die falsche Politik der letzten 25 Jahre.
2.4.1.2 Entlassung von Militärpersonal
Eine Fortsetzung der Probleme ergibt sich bei der Umsetzung und Entlassung von Miltärpersonal.
"Erste Erfahrungen konnte das Verteidigungsministerium im Zusammenhang mit dem Mittelstreckenabkommen sammeln, als zusammen mit der Vernichtung der Raketen die dazugehörigen Truppenteile umgeleitet werden mußten."
Die erste Belastungsprobe stand jedoch in den Jahren 1989 und 1990 an, als die Reduzierung der sowjetischen Truppen um 500.000 Mann durchgeführt werden mußte. Probleme ergaben sich dabei weniger bei den Wehrpflichtigen und Unteroffizieren . Diese Zahl konnte man steuern, indem man die Anzahl der Einberufung verringerte. Anders stellt
sich die Lage bei den Berufssoldaten dar. Davon betroffen waren ca. 160.000 Mann, deren Entlassung von einem umfangreichen Sozialprogramm begleitet werden mußte, das regelmäßige Einkommen, Wohnung und Einbindung in den zivilen Arbeitsprozeß sicherstellt.
Gedanken zu Entlassungen wurden bereits 18 Monate vor der Truppenreduzierung angestellt. Damit sollte eine Verjüngung des Führungsbestandes der Streitkräfte erreicht werden.
Die Truppenreduzierung gab den Anstoß im Rahmen einer Umstrukturierung der Verbände sich von überalterten und unfähigen Truppenführern zu trennen. So sehr eine Verjüngung des Führungskorps der Hebung der Effizienz dienen konnte, so hatten diese Maßnahmen auch negative Auswirkungen. Bereits das Mittelstreckenabkommen und die Ankündigung des einseitigen Truppenabbaus hatten bei den Führern und Unterführern erhebliche Unruhe ausgelöst. Die Verunsicherung über den weiteren Berufsweg nahm in dem Maße zu, in dem reale Kürzungen wahrscheinlicher wurden.
Um einem Vertrauensverlust vorzubeugen wurde versichert, planvoll und unter Berücksichtigung von Einzelfällen vorzugehen. Dabei machten die Vertreter der politischen Hauptverwaltung in ihren Äußerungen die Richtungen der Entlassung deutlich:
. Reserveoffiziere, die ihren Reservedienstgrad in der Regel im Laufe ihres Studiums in der begleitenden Wehrausbildung erwarben und nach dem Examen, statt in den Beruf zu gehen, für zwei bis drei Jahre in die Truppe einberufen wurden. Diese Gruppe war in der Regel schlecht ausgebildet und wenig motiviert, ihr Zivilleben wies verhältnismäßig geringe Schwierigkeiten auf, da sie über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügten.
. Offiziere und Unteroffiziere, die die Altersgrenze ihres Dienstgrades erreicht und einen Pensionsanspruch erworben hatten. Diese Gruppe verfügten über eine soziale Grundversorgung, doch bedurften sie beim Übergang in das Zivilleben teilweise der Unterstützung bei der Versorgung mit Wohnraum etc.
. Offiziere und Unteroffiziere, die den Wunsch hatten, ins Zivilleben zurückzukehren. Dadurch befreiten sich die Streitkräfte von gering motiviertem Personal.
. Offiziere und Unteroffiziere, die von ihren Vorgesetzten moralisch und intellektuell für ungeeignet gehalten wurden.
Um diese Offiziere zu ermitteln, wurde eine Beurteilungsaktion durchgeführt. Von dem Ergebnis hing ab, ob ein Offizier befördert, versetzt, auf eine Militärhochschule überwiesen oder entlassen wurde.
Ziel der Entlassung dieser vier Gruppen war offenbar, im Rahmen der Reduzierung das Führer- und Unterführerkorps stärker zu professionalisieren und das Qualitätsniveau deutlich anzuheben.
Mit der Umsetzung der Truppenreduzierung stellten sich eine Reihe sozialer Probleme ein. Ein besonderes Problem stellte die Arbeitsbeschaffung dar. Zwar wurde der Volkswirtschaft ein Potential an Arbeitskraft zur Verfügung gestellt, aber die entsprechenden Arbeitsplätze mußten bereitgestellt werden und gegebenenfalls Umqualifikationen stattfinden.
Ein anderes Problem war die Bereitstellung von Wohnraum. Dieses stellte sich dadurch besonders schwierig dar, daß schon vor den Massenentlassungen die Situation im Wohnungsbereich katastrophal waren.
Lösungen für diese sozialen und ökonomischen Probleme waren vorerst nicht in Sicht.
2.4.2 Konversionsbeitrag der Streitkräfte
Der Einsatz von Truppen für zivile Zwecke kann auf eine langjährige Tradition zurückgreifen, wobei jedoch nun diese Einsätze stark herausgehoben wurden. Das ist jedoch ganz verständlich, da mit dem Wegfall der Bedrohung von außen, der Druck vorhanden ist, sich vor der Gesellschaft neu zu legitimieren.
Die Hilfseinsätze des Militärs z.B. in Tschernobyl oder bei Erdbebenkatastrophen in Armenien werden deshalb immer wieder herausgestellt. Es gibt aber auch banalere Einsätze.
So wurden beispielsweise alljährlich Altmetallsammlungen durchgeführt und Einheiten zur Erntehilfe eingesetzt.
Weiterhin ist es offenbar an der Tagesordnung, daß reguläre militärische Einheiten eigene "Nebenerwerbswirtschaften" betrieben. Dazu werden Soldaten für Ausbauarbeiten in der Kaserne eingesetzt oder als "freie Künstler" an zivile Betriebe ausgeliehen. Als Gegenleistung erhielten die Einheiten dafür Baumaterialien oder andere Werte, die dazu genutzt werden, den Mangel an Ersatzteilen und Baumaterialien wettzumachen, um die Kasernen und Maschinen in einem halbwegs intakten Zustand zu erhalten.
Durch die Nebenerwerbswirtschaften leisten die Streitkräfte einen großen, wenngleich halbillegalen und schwierig meßbaren Beitrag zur sowjetischen Volkswirtschaft. Allerdings befindet sich das Verteidigungsministerium hier in einem politischen Dilemma. Einerseits muß es Wirtschaftsarbeiten im Zivilsektor einschränken, um die Ausbildung der Truppe zu verbessern, andererseits muß es im Rahmen von Abrüstung und Truppenreduzierung den Nutzen der Streitkräfte nach außen darstellen.
Im Jahre 1988 bezifferte der Verteidigungsminister zum ersten Mal den Beitrag der Streitkräfte zum Investbau - 4 Mrd. Rubel bei einem Gesamtaufkommen der Bauwirtschaft von 215,3 Mrd. Rubel. Das wies auf drei Bereich hin, in denen das Militär einen besonderen Beitrag erbrachte: die Lebensmittelproduktion der Militärsowchosen, der Einsatz militärischer Transportflugzeuge für zivile Transporte und den Wegebau.
Im April 1989 erklärte das Verteidigungsministerium, saß von nun an Teile der Lufttransportflotte für zivile Zwecke genutzt werden sollten. Von den ca. 600 vorhandenen Maschinen sollten ca. 60 Großflugzeuge mit einem Transportvolumen von 50.000t eingesetzt werden. Das sollte in Zusammenarbeit mit der zivilen Luftfahrtgesellschaft "Aeroflot" geschehen.
Seit langem bestanden schon die Landwirtschaftsbetriebe der Streitkräfte. Diese umfaßten 83 Militärsowchosen, 80 spezialisierte Milchviehbetriebe und 2 landwirtschaftliche
Nebenwirtschaften, die kommerziell geführt wurden. Daneben gab es bei anderen militärischen Einrichtungen noch 9000 weitere Nebenwirtschaften. Damit konnte das Verteidigungsministerium zwar nicht zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung beitragen, doch war es in der Lage den Bedarf der Streitkräfte teilweise abzudecken und somit die zivile Landwirtschaft ein wenig zu entlasten. Insgesamt gesehen sind die zivilen Leistungen der Streitkräfte wenig beeindruckend, wobei sich aus Mangel an Informationen auch schlecht sagen läßt, in welchem Maße der Militärbeitrag für zivilwirtschaftliche Entwicklung zugenommen hat und wie groß er tatsächlich ist.
2.4.3 Ansätze zur Konversion der Rüstungsindustrie
Der politische Druck in Richtung auf Senkung der Rüstungsaufwendungen betraf auch die Rüstungsindustrie. Die Herstellung von Waren für den zivilen Bedarf war für den sowjetischen Rüstungskomplex allerdings nichts Neues. Schon seit langem erzeugte er neben Waffensystemen und anderen Rüstungsgütern auch zivile Investitions- und Konsumgüter. Im März 1971 wurde der Anteil der zivilen Produktion am Gesamtumfang auf 42% beziffert. So wie damals wurden auch 1988 wieder zwei Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt. Zum einen die Rolle der Rüstungsministerien als unmittelbare Produzenten von Konsumgütern und zum anderen die Tatsache, daß sie über fortgeschrittene Technologie verfügen, die an die zivilen Industriezweige weitergegeben werden sollten.
Der Druck der Öffentlichkeit wuchs 1988 wieder an, so daß seit 1971 1988 erstmals wieder Daten über den zivilen Anteil an der Produktion gemacht wurden. Insgesamt machte dieser Anteil 1988 40% seiner gesamten Erzeugung aus und sollte 1990 auf 46% und 1995 auf 60% gesteigert werden. Bei diesen Zahlen muß man jedoch beachten, daß die Rüstungsproduktion verringert werden sollte und deshalb die Steigerung der
Zivilproduktion nicht in dem Grade anwuchs, wie es die Prozentanteile auf den ersten Blick darstellten.
Im August 1989 wurden folgende Angaben über die Entwicklung von Zivil- und militärischer Produktion im Rüstungssektor gemacht:
Abb. 2-7: Jährlicher Zuwachs von ziviler und militärischer Erzeugung im Rüstungssektor
(jeweils im Verhältnid zum Vorjahr)
Jahr: Zivilproduktion: militärische Produktion:
1988 105,7% 105,5%
1989 108,9% 95,5%
1990 113,1% 95,3%
Quelle: Hans-Henning Schröder, "Versorgungskrise, Rüstungsabbau und Konversion in der UdSSR", Heft III, in Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 58-1989, Seite 9
"1988 waren danach Rüstungs- und Zivilproduktion etwa im gleichen Maße gestiegen. Erst 1989 setzte ein Umbruch ein. Anscheinend übernahm die Rüstungsindustrie jetzt in der Tat verstärkt nicht militärische Aufgaben. 1989 waren 345 Produktionsbetriebe und 200 Forschungsinstitute und Konstruktionsbüros des Rüstungssektors in die zivile Erzeugung einbezogen." Für den Zeitraum vor 1988 liegen keine Angaben vor. Einer der Schwerpunkte der Konversion sollte die Unterstützung des Agrarindustriellen Komplexes sein. Die Rüstungsministerien sollten die Ausrüstung für die Betriebe der Nahrungsmittelindustrie bereitstellen und Anlagen und Maschinen für diese Branche entwickeln und produzieren. Der Druck auf die Erhöhung des Anteils ziviler Produkte führte gleichzeitig zu einer starken Diversifizierung der Produktpalette des Rüstungssektor. So produzierte das Ministerium für Flugzeugindustrie das in erster Linie Militärflugzeuge,
Raketen und andere Rüstungsgüter herstellte, inzwischen auch Kühlschränke, Waschmaschinen, Staubsauger, Möbel etc. Die Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Produktion bringt jedoch eine Reihe technischer, ökonomischer und sozialer Probleme mit sich. Ein technisches Problem ist, in wieweit sich Anlagen zur Produktion von Rüstungsgütern auf zivile Erzeugnisse technisch umstellen lassen. Dann gibt es noch die ökonomischen Probleme, die Frage nach der Finanzierung von Übergangsmaßnahmen, nach der Belieferung mit Rohmaterialien und Energie unter den neuen Bedingungen und nach der Vermarktung der neuen zivilen Produktion. Weitere Probleme ergeben sich aus der nötig werdenden Umqualifizierung von Arbeitern; das bisherige Niveau der Entlohnung und der materiellen Versorgung ist in Gefahr und im Extremfall müssen Arbeitskräfte ganz entlassen werden. Darüber hinaus gibt es in der UdSSR Städte und Regionen, in denen die Rüstungsproduktion ökonomisch dominiert, so daß sich die Kürzung der Rüstungsausgaben direkt auf den Lebensstandard ganzer Bezirke auswirkt.
Abb. 2-8: Arbeitskräfte in der sowjetischen Rüstungsindustrie 1985 : Rußland
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Alle diese Probleme müssen in einer vorausschauenden Konversionsplanung erfaßt und Lösungen müssen ausgearbeitet werden, wenn die politische Führung nicht riskieren will, in Teilen der Gesellschaft die Unterstützung für ihre Abrüstungs- und Konversionspolitik zu verlieren. Nachdem diese Fragen über Jahrzehnte hinweg außer acht gelassen wurden, muß das jetzt in aller Eile nachgeholt werden.
Ein wesentliches Element einer Konversionspolitik muß jedoch die Verbesserung der Wirtschaftsinformation sein. Bisher läßt sich weder das tatsächliche Ausmaß der sowjetischen Rüstungsausgaben, noch der Umfang der Kürzungen übersehen. Demgemäß ist auch das Ausmaß der Probleme, die für die UdSSR aus der Konversion erwachsen, schwer einzuschätzen.
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