1.1
In dem Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" wird die Geschichte eines
jungen Mannes erzählt, der
trotz seiner bürgerlichen Herkunft die Möglichkeit findet seine
persönliche Neigungen
herauszufinden und sie in Harmonie mit der Gesellschaft zu
verwirklichen.
1.2.
Zu Beginn der Handlung ist der Protagonist Wilhelm noch vollkommen in
den Bann des Theaters
gezogen, das ihn seit seiner frühen Kindheit so tief beeinflußt hat,
dass einen unmächtigen Drang
verspürt selbst gegen den Unwillen seines Vaters sein Leben als
Schauspieler oder
Theaterschriftsteller zu verbringen.
Durch seine Liebe zu einer Schauspielerin wird seine Vorstellung vom
Theaterleben noch stärker
romantisiert. Als er sich jedoch von ihr betrogen glaubt projeziert er
seine Enttäuschung auf das
Theater und seine schriftstellerischen Fähigkeiten, so dass er sich von
seinem früheren Traum für
immer abwenden will.
Wenig später wird Wilhelm von seinem Vater mit einer Geschäftsreise
beauftragt, die er am Anfang
auch erfolgversprechend auszuführen scheint bis er auf ein versprengtes
Wandertheater stößt und
dessen Leitung er übernimmt. Allerdings muß er feststellen, dass den
meisten Schauspielern mehr
an Ruhm und einem bequemes Leben als an künstlerischem Ausdruck gelegen
ist, was jedoch seine
Begeisterung noch nicht bremst.
Durch die Beschäftigung mit Shakespeare und den Lebensbericht einer
Stifsdame sowie den
Einfluß einer aristokratischen Geheimgesellschaft erkennt Wilhelm
schließlich, dass die Theaterwelt
nicht mehr als leerer Schein ist und entschließt sich ein nützliches
Leben zu führen.
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1.3
Goethe schrieb den Roman " Wilhelm Meisters Lehrjahre" aus dem neuen
Bewusstsein heraus, das
sich während seiner Arbeit mit Herder und der Italienreise entwickelt
hatte.
Bis 1786 hatte Goethe als oberster Beamter im Weimarer Staatsdienst
gearbeitet und zwang sich
dort zu einer pflichtbewußten Arbeitsweise. Jedoch mußte er bald
erkennen, dass er viele seiner
Ziele wegen der Furcht des Adels, Privilegien zu verlieren, aufgeben
mußte.
Enttäuscht zog er sich nach Italien zurück wo er durch das Studium der
antiken Kunst und die
italienische Lebensweise zu einer neuen Weltauffassung mit einem starken
Wunsch nach Klarheit
und Harmonie kam. Diese Harmonie sah er als Einklang der individuellen
Wünsche mit den
gesellschaftlichen Pflichten, der aber nicht durch äußeren Druck sondern
nur den eigenen Wunsch
zur Selbsterziehung entstehen könne.
Bildung mache erst aus der "rohen Natur" den kultivierten Menschen, da
sie ihm im Idealfall die
Möglichkeit gebe die tierischen Instinkte mit der Vernunft harmonisch zu
verbinden.
Um das Individuum von der Notwendigkeit seinen eigenen Verstand
auszubilden zu überzeugen, sei
Erziehung notwendig. Die könne aber nicht nur durch Belehrung wie zum
Beispiel durch
nachahmenswerte Vorbilder sondern auch durch den Genuss der Harmonie des
Ästhetischen
gewonnen werden.
Dadurch kam es zur Entstehung der Bildungsromane, die exemplarisch am
Lebenslauf des
Protagonisten verdeutlichten wie die Entfaltung der Individualität im
Sinne des Humanität möglich
sei.
" Wilhelm Meisters Lehrjahre" hatte lange Jahre eine Vorbildstellung in
dieser Gattung inne.
2
Wilhelms Haltung gegenüber dem Theater
Wilhelms Haltung gegenüber dem Theater verändert sich im Laufe des
Romans stufenweise.
Die erste Begegnung Wilhelms mit dem Theater findet bereits in seier
frühen Kindheit statt und ist
deshalb besonders prägend. Der Anlass ist ein Puppenspiel, das der Vater
an Weihnachten
aufführen lässt.
Erst gibt sich Wilhelm nur der "Freude der Überraschung und des
Staunens" (S.15) hin, bei der
wiederholten Aufführung ist empfindet er aber schon tiefes Drängen
hinter die Kulisse zu schauen,
nachzuforschen und zu verstehen was vor sich geht. Er ist sogar bereit
für einen Erkenntnisgewinn
einen Teil der Ergötzenden Illusion aufzugeben.
Aus seinem Wunsch nach Verstehen entwickelt sich schließlich das
Verlangen selbst an dem
Puppenspiel beteiligt zu sein. Das eigene Aufführen des Stückes
beeindruckt ihn so stark, dass er
später der Mutter das Textheft entwendet und auswendig lernt.
In Wilhelm entsteht nun auch das Interesse sich anderen Stücken
zuzuwenden, jedoch beschäftigt er
sich mit ihnen nur sehr oberflächlich und liest meist nur den fünften
Akt, da dort die abenteuerlichte
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Handlung vorkommt.
Schließlich versucht sich Wilhelm selbst als Theaterschriftsteller,
bringt aber nie wirklich etwas zu
Stande, da ihm Erfahrung und Talent fehlt.
Auch and den Versuchen mit seinen Freunden ein Stück aufzuführen zeigt
sich, dass Wilhelm der
Sinn für das Machbare fehlt. Er glaubt zwar bis zur Aufführung daran
alles unter Kontrolle zu haben,
muß dann aber erkennen, dass er nicht bedacht hat, "dass doch jeder
wissen müsse, was und wo er
es zu sagen habe" (S. 26)
Durch Wilhelms Unwissenheit und seine kindliche- spielerische
Einstellung ist sein Theaterprojekt
zum Scheitern verurteilt.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass Wilhelm sich durch seine
Theaterleidenschaft von der Realität
fortreißen läßt, zeigt sich an seinem Gedicht der beiden Musen. Durch
seine naive Haltung und die
mangelnde Theaterkenntnis zeichnet er sie nur in Schwarz- Weiß, so wie
er sie seinen Vorurteilen
gemäß sieht ohne wirklich abzuwägen.
Dem professionellen Theater begegnet Wilhelm erst später, als er Mariane
kennenlernt und auch
dann ist er nicht in der Lage Abstand zu gewinnen. Durch seine Liebe zu
der Schauspielerin verklärt
er auch das Theater und idealisiert seine Vorstellungen.
Ein Zeichen dafür, dass Wilhelm weder zum Theater noch zu seinen
kindlichen Erfahrungen mit dem
Puppenspiel Distanz gewonnen hat, sind seine leidenschaftlichen
Erzählungen gegenüber seiner
Gelieben.
" Die Begeisterung des jungen Mannes ist liebenswert, und sie wird auch
so dargestellt, zusammen
mit der Erinnerung, die sie in Wilhelm hervorruft. Zur gleichen Zeit
aber wird dieser enthusiastische
Zustand mit Ironie behandelt. ... Während Wilhelm mit Begeisterung
erzählt, ..., schläft Mariane ein,
die gewiß für ihn Sympathie empfindet. ... Das Verhalten der alten
Barbara, die inzwischen den
Wein mit Bedacht genießt, rückt Wilhelms Leidenschaft noch stärker in
ironische Beleuchtung."
Von seinem verklärten Standpunkt sieht Wilhelm weiterhin keinen Grund
sich um die Sorgen des
alltäglichen Lebens zu kümmern. Als Sohn einer wohlhabenden
Bürgerfamilie hat er sich nie
Gedanken um seine Lebenserhaltung machen müssen und glaubt, dass
Schicksaal würde ihm schon
weiterhelfen solange er seine Begabungen leben würde.
Deshalb begegnet er auch später Melina mit vollkommenen Unverständnis,
als sich dieser nach
seiner Hochzeit seine sicherere Stellung als die eines Schauspielers
suchen will.
Wilhelm glaubt nähmlich durch das Theater die Menschen erreichen zu
müssen, ihnen den Sinn der
Stücke nahezubringen, " ihre Herzen aufzuschließen, ihre Gemüter zu
berühren und ihnen himmlische
Genüsse zu bereiten" (S. 66).
Doch wie soll er das mit seinem begrenzten Wissen und Fähigkeiten tun,
da er wie an Serlos
Theater nur sich selbst spielt und nicht einmal Shakespeares kennt ?
Wilhelms Begeisterung für das Theater entspringt nur sehr lückenhaften
Kenntnissen der
Theaterliteratur.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass Wilhelms Beziehung zu Theater durch
irreale Vorstellungen
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bestimmt wird ist, das er sich in seinem Enthusiasmus schon als Schöpfer
eines Nationaltheaters,
vortrefflichen Schauspieler oder Dichter sieht. Daran zeigt sich schon,
dass es ihm nur darum geht zu
gefallen. Hätte er wirklich eine innere Begabung wäre sein Streben nicht
so unbestimmt, sondern
würde sich nur auf eine Richtung beschränken.
Auf ihn trifft dagegen sein eigener Vergleich mit Kindern zu die alles
ausprobieren, was sie
beeindruckt hat, da sie glauben, dass es leicht nachzuahmen sei, nur
dass Wilhelm hartnäckiger an
der Hoffnung festhält selbst eine große Begabung zu besitzen, die ihn
mit dem Theater verbindet.
Durch die Lektüre Shakespeares bewegt sich Wilhelm langsam von der
Scheinwelt des Theaters
weg. Erst nimmt ihn der Stoff vollkommen gefangen, so dass er glaubt "
vor den aufgeschlagenen,
ungeheuren Büchern des Schicksaals zu stehen." ( S.197)
Dann ruft seine Begeisterung Aktivität hervor: Wilhelm beschäftigt sich
sehr intensiv mit
Shakespeares Werken und bewirkt sogar die Aufführung Hamlets. Auch wenn
das Publikum
begeistert ist, gelingt es Wilhelm nicht in seiner Rolle über die
Selbstdrastellung hinauszukommen, da
er immer noch nicht in der Lage ist Abstand zu gewinnen und "sieht in
Hamlet nicht so, wie er ist,
sondern als einen ihm ähnlichen , empfindsamen, nach Bildung strebenden
Menschen."
Erst in seiner Beschäftigung mit den "Bekenntnissen einer schönen Seele"
stößt er auf wirklich neue
Gedanken, die seine Einstellung zum Theater grundlegend ändern.
Er erkennt, was Serlo schon lange wüßte; nähmlich, dass das Theater ein
bloße Scheinwelt und der
normale Zuschauer nur in Begeisterung gerät, wenn sich die Kulisse durch
perfekte Illusion in
Wirklichkeit verwandelt.
Da nur wenige wirklich in der Lage sind die großen Stücke ohne lange
Auseinandersetzung wirklich
zu begreifen, scheut er sich nicht sie auf das Wesentliche zu
reduzieren.
Wilhelm dagegen glaube sie durch sein Gefühl erfassen zu können ohne
dabei auf die Idee zu
kommen, dass er sie durch seine mangelnde Distanz falsch interpretieren
könnte.
Wilhelm wird klar, dass sich vieles als anders herausstellt als er am
Anfang angenommen hat und
empfindet das Bedürfnis Klarheit in die verschwommene Auffassung seiner
Umwelt zu bringen.
Durch die Erfahrungen, die er während seiner Lehrzeit gemacht hat, ist
es ihm gelungen seine
Anlagen zu entfalten auch wenn er dabei auf einige Irrwege gekommen ist.
Jedoch ist seine Ausbildung erfolgreicher und wesentlich lebendiger
verlaufen als die seines
Freundes Werner, was sich schon an ihrer äußeren Gestalt zeigt.
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Während seiner Lehrjahre gelingt es Wilhelm nicht nur von bürgerlichen
Verhältnissen in die
Aristokratie aufzusteigen, sondern auch sich von seiner Hingabe an
Illusionen zu befreien und durch
die so gewonnene Unabhängigkeit ein für die Gesellschaft nützliches
Leben zu führen.
Schon die ersten Worte des Romans "das Schauspiel" zeigt, dass das
Theater für Wilhelm letzlich
nur Schein, nur ein Umweg zur freiwilligen Eingliederung in die
Gesellschaft ist.
Somit verwirklicht Wilhelm am Ende die Ziele der Klassik.
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