Danton und die Dantonisten
Ein zentrales Thema des politischen Diskurses in Dantons Tod ist die Einschätzung revolutionärer Gewalt: die Legitimation der Terreur und des >Despotismus der Gewalt<. Zynische Kommentare der Dantonisten, die treffsicher die Schwächen des politischen Gegners erkennen und kritisieren, eröffnen den politischen Diskurs (6 f.). Robespierres atavistischer Kult der Tugend und die neue Opferreligion, die das System der mechanischen Massentötung mühsam mit dem Schein einer realitätsfernen revolutionären Romantik zu bemänteln sucht, demonstrieren die Unfähigkeit der jakobinischen Diktatur der Mitte, der Revolution ein soziales oder politisches Ziel zu setzen. Die Revolution ist zum Selbstzweck geworden; die Terreur dient primär dem Machterhalt der jakobinischen Führungsclique. Freilich findet die scharfsinnige Kritik der jakobinischen Fraktion nicht ihr Gegenstück in einer politisch reflektierten Selbstkritik der Dantonisten. Die mögliche revolutionäre Legitimation der Gewalt und des >Despotismus der Freiheit<, also deren politische und soziale Funktion, tritt nicht in den Blick. Die dantonistische Forderung nach einem »Aufhören« (7) der Revolution, die durchsichtig an die girondistische Position 1792-93 anknüpft, ist politisch naiv und betreibt im Grunde die Sache der bürgerlichen Reaktion. Die Gefährdung der Revolution durch die Aufstände im Innern, den Krieg, die Versorgungskrise und durch den Hunger des Volkes wird einfach ausgeblendet. Das dantonistische Programm trägt daher den Charakter einer unpolitischen, praxisfernen Setzung, einer unverbindlichen Proklamation ohne auch nur die geringste Chance auf Realisierung. Mag es in der Auffassung des Staates, der menschlichen Natur und im kategorischen Imperativ des Genusses auch Ansätze zu einer sensualistischmaterialistischen Sozialutopie geben - die schwärmerisch ästhetisierende Rhetorik der Verkündung und die zynische Antithese zu den dringendsten Bedürfnissen einer sozialen Revolution, die in der folgenden Szene mit der Darstellung des verelendeten Volkes drastisch vor Augen geführt werden, qualifizieren das dantonistische Programm in der gegebenen Situation als reaktionär. Der Luxuskult der Merveilleuses und der Incroyables sowie der Vergnügungs rausch der Jeunesse dorée während der ThermidorZeit entlarvten das volksverachtende Wesen dieses Programms.
Der Sozialcharakter des dantonistischen Programms wird durch die ihm zugedachte gesellschaftliche Basis noch einmal unterstrichen: »Wir und die ehrlichen Leute« (8). Die Gemäßigten denken keineswegs an eine Koalition mit der Volksbewegung. Das Volk, dem Danton die politische Reife eines Kindes zubilligt - »das Volk ist wie ein Kind, es muß alles zerbrechen, um zu sehen, was darin steckt« (23) - kommt als Adressat für die Genußvariante der bürgerlichen Revolution zwangsläufig nicht in Betracht. In der zynischen Sichtweise der Dantonisten macht die materielle Verelendung das Volk unfähig zum Genuß, ist also die Tugend der Enthaltsamkeit einer Deformation der Genußorgane geschuldet. Das Volk, so Danton, »haßt die Genießenden wie ein Eunuch die Männer« (23). »Wir und die ehrlichen Leute«: Als Zielgruppe des dantonistischen Programms wird das wohlhabende Bürgertum, die soziale Stütze der ThermidorZeit, ins Auge gefaßt.
Schon zu Beginn des Dramas wird Danton sorgfältig von seinen Anhängern unterschieden. Er ist nicht an der Formulierung ihres Programms beteiligt und weiß bereits, daß die Revolution ihrer eigenen Logik folgt. Im Hinausgehen, zwischen Tür und Angel, prophezeit er, daß der revolutionäre Prozeß noch nicht beendet ist, daß das Opfer der eigenen Fraktion noch bevorsteht; später wird er auch das gewisse Ende Robespierres voraussagen. Das prophetische Vermögen hat jedoch seinen Preis: Die Erweiterung der politischen Reflexion wird mit einer Einschränkung der Handlungsfähigkeit bezahlt. Von vornherein geht Danton auf Distanz zur Sphäre politischen Handelns. Seine chronische Handlungsverweigerung ist das Resultat eines Reflexionsprozesses, der die aktuelle politische Situation bewußt überschreitet. Die gleich anfangs inszenierte Spielmetapher benennt die Danton verbliebene Praxisform, der, jedenfalls zeitweise, eine existentielle Setzung fehlt: Dantons Handeln ist Spiel, ein Handlungsspiel, das sich mit dem Vollzug des als unvermeidbar begriffenen revolutionären Geschehens aus der Distanz der Reflexion zu vermitteln sucht. Daher bleibt die Position Dantons auf der Ebene des politischen Diskurses relativ unergiebig. Seine letzten öffentlichen Auftritte zeigen den spielerischen Nachvollzug einer Handlungsrolle, die die Revolution für ihren »toten Heiligen« bereitgestellt hat. Die Reden vor dem Revolutionstribunal (52 ff. und 62 f. ) formulieren den Abgesang eines gescheiterten Revolutionärs; in der Selbstapologie eines Helden der Revolution versucht Danton - vergeblich, wenn auch unter dem Beifall der Versammlung - den historischen Sinn der eigenen Geschichte in der Geschichte der bürgerlichen Revolution einzuklagen.
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