Rechtsextremismus und Rassismus mit all den Vorstellungen von Ungleichwertigkeit von Menschen je nach Herkunft und Aussehen (...) werden nicht durch jugendliche Gewalttäter, sondern weit eher durch erwachsene Biedermänner und Nadelstreifenrassisten verbreitet und hoffähiger gemacht ..." (Krafeld 1992)
Die Medien haben in der letzten Zeit oft über fremdenfeindliche Krawalle, Brandanschläge gegen Asylunterkünfte, Mord und Totschlag gegen Ausländer berichtet. Dabei war rasch erkennbar, dass es vor allem Jugendliche waren, welche solche Gewalttaten ausübten. Erhärtet wird dieser Eindruck auch durch die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der fremdenfeindlichen Tatverdächtigen höchstens 20 Jahre alt sind.
Wir möchten dies mit Hilfe von (zumeist deutscher) Jugendforschung zum Thema Rechtsradikalismus überprüfen.
2.2.1. Alltagstheorien
Zum Thema rechtsradikaler und fremdenfeindlicher Gewalttaten Jugendlicher, hört man bei Durchschnittsbürger oftmals ähnlich, plausible Erklärungen. Stellt man diese plausiblen Alltagstheorien jedoch den neusten Resultaten der deutschen Jugendforschung entgegen, wird klar, dass die Ursachen weitaus komplexer sind.
AlltagstheorienRechtsextreme Jugendliche leiden besonders stark unter der Jugendarbeitslosigkeit.Schuld ist die zunehmend Überfremdung und die damit verbundene Konkurrenz am Arbeitsplatz.Rechtsextreme Jugendliche kommen aus kaputten Familienverhältnissen.Das sind Jugendliche aus unteren Schichten.Das sind Jugendliche, welche in anonymen Wohnungszentren leben.Die entscheidende politische Beeinflussung kommt von den Eltern. JugendforschungDie formale Integration Jugendlicher in der Arbeitswelt erklärt weder Entstehung noch Rückgang von Rechtsradikalismus. Wäre es so, wären junge Frauen viel mehr zum Rechtsradikalismus geneigt als junge Männer, da junge Frauen mehr von der Arbeitslosigkeit betroffen sind als Männer.Z. B. in den neuen Bundesländern fühlen sich 50% der Jugendlichen durch Ausländer gestört, bei einem Ausländeranteil von etwa 1%!Nicht die formelle Vollständigkeit der Familie ist entscheidend, sondern viel mehr die "innere" Qualität. Diese ist wichtig für eine verlässliche Milieuunterstützung und ein angstfreies Klima.Fremdenfeindlichkeit kommt in allen sozialen Schichten vor. Aus dem mittelständischen Milieu stammen jedoch die meisten rechtsextremen Straftäter.Zwischen der Zufriedenheit mit der Wohnsituation und dem Hass gegenüber Fremden gibt es keine direkten Zusammenhänge.Die politische Beeinflussung durch die Eltern ist in der Altersphase der Siebzehn- bis Zwanzigjährigen gering. Auch schon nur durch die gering politische Gesprächsdichte in den meistem Familien.
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2.2.2. Das Selbstbild
Wie rechtsextreme Jugendliche sich selbst und die Motivation ihres Handelns und Denkens sehen, soll hier mit Hilfe von einigen Stichworten aus Berichten von Jugend- und Sozialarbeitern gezeigt werden.
- Sie glauben aus Notwehr zu handeln, da der Staat (Polizei) nicht für genügen Ordnung sorgt.
- Sie sehen viele feindliche Gruppierungen in ihrer Umgebung, fühlen sich von ihnen bedroht und glauben, sich behaupten zu müssen.
- Sie halten Gewalt für eine normale Aktionsform zur Regelung von Konflikten.
- Sie sehen eine bevorstehende Katastrophe für die Nation (Asylantenschwemme, ...)
- Sie glauben sie seien die "Buhmänner " und würden für alle Vorkommnisse und Beschädigungen in der Gegend verantwortlich gemacht werden.
- Sie sehen sich als Kämpfer für eine gerechte Sache.
Merkmale:
Dem Selbstbild der rechtsextremen Jugendlichen steht das Bild gegenüber, dass sie gegen aussen vermitteln. In der Jugendforschung gelten folgende Merkmale als typisch für rechtsextreme Jugendliche:
- ausgeprägte Tendenz zum Denken in Feindbildern.
- mangelnde Differenzierungsfähigkeit
- Anfälligkeit für einfache und "starke" Parolen.
- Geringe Diskussionsbereitschaft.
- Neigung, die eigene und die gesellschaftliche Situation mittels einfacher Erklärung zu interpretieren.
- Teilweise diffuses rechtes Weltbild, teilweise unpolitisch.
- Leiden unter Vereinzelung und haben wenig echte Unterstützung von der Familie und von Gleichaltrigen.
- Sie sind kaum Arbeitslos, da sie nicht als "arbeitsscheu" gelten wollen.
- Vermissen eine verbindliche Männerrolle (Identitätskrise)
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2.2.3. Soziale Herkunft und Bildung
Untersuchungen haben gezeigt, dass fremdenfeindliche Einstellungen in allen sozialen Schichten anzutreffen sind. Aussagekräftiger als die Schichtzugehörigkeit ist das Bildungsniveau. Untersuchungen in Deutschland haben gezeigt, dass unter Rechtsextremisten überdurchschnittlich viele Hauptschulabsolventen (Primarschüler) zu finden sind. Demgegenüber zeigen Jugendliche mit einem höheren Bildungsniveau weniger Neigung zum Rechtsextremismus. Hierfür gibt es zwei mögliche Deutungen:
1.
Eine Person mit höherer Bildung geht mit grösserem Reflexions- und Differenzierungsvermögen und damit auch mit grösserer Toleranz gegenüber anderen Völkern und Kulturen die ganze Problematik an.
2.
Jugendliche mit einer höheren Bildungsstufe verstehen es, bei Befragungen zum Thema Rassismus ihre Einstellung "geschickter" und damit auch "versteckter" darzustellen..
Beide Thesen schliessen einander nicht aus, sondern laufen viel eher parallel zueinander.
Arbeitsplatz:
Untersuchungen in Deutschland haben gezeigt, dass die verbreitete These, wonach vor allem Jugendliche ohne gesicherte Arbeitsstelle zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit neigen, nicht stimmt! Zwar begründen Jugendliche selber ihre Ausländerfeindlichkeit häufig durch die Konkurrenz am Arbeitsplatz, doch es ist nicht so, dass die gelieferte Erklärung mit der Realen Erfahrung übereinstimmen muss.
Sicherlich gibt es daneben auch Rechtsradikalismus bei Jugendlichen, die ohne Arbeitsplatz da stehen und dies "Schuld" den Ausländern, Asylanten und Flüchtlingen zuschieben.
Zwischen benachteiligten und nicht benachteiligten rechtsextremen Jugendlichen gibt es eine Gemeinsamkeit: Beide befürchten, etwas mit dem Anderen, dem Fremden teilen zu müssen. Die Einen etwas bereites real Erworbenes, die Andern etwas Erhofftes.
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2.2.4. Erklärungsansätze für jugendliche Rechtsextreme:
Die Ursachen von rechtsextremistischen Einstellungen Jugendlicher liegen sowohl in der inneren Entwicklung junger Menschen, als auch in den soziokulturellen Bedingungen, innerhalb deren sie aufwachsen. Zwischen beiden Bereichen besteht eine enge Beziehung.
Sozialisation kann beschrieben werden als Teil des Verarbeitungsprozesses von Erfahrungen einer Person. Das Individuum verhält sich gegenüber der umgebenden Realität teils aktiv gestaltend, teils ausweichend oder selektiv suchend, teils passiv hinnehmend. Als Folge dieser Verarbeitung verändert sich sowohl die reale Situation des Individuums als auch das Individuum selber.
In der heutigen Zeit sind wir so weit, dass:
- bereits in der Schule die Tendenz zur individuellen Abschottung gefördert wird
- wir in "Schlafdörfern" ohne echte Dorfgemeinschaft aufwachsen
- wir, durch die kontinuierliche Senkung der Erwerbszeit, neue Freiräume erhalten, die wir erst wider sinnvoll gestalten müssen.
Die oben beschriebene Individualisierung ermöglicht einerseits die Verfügbarkeit über eigenes Geld, eigene Wohnung, eigene Freizeit und bringt zudem dem Einzelnen auch die Chance zu Selbstfindungs- und Reflexionsprozessen. Dem steht aber gegenüber, dass die harten Selektionsprozesse in der heutigen Arbeitswelt individuell bewältigt werden müssen und der Lebensweg nicht wie früher mit einer Gruppe zusammenfällt. Wer demnach an einem Mangel an sozialer Einbindung leidet, wird Wege suchen, die Vereinzelung mit neuen Gemeinschaftskonstrukten zu kompensieren. Der Anschluss an eine rechtsextremistische Gruppierung ist in dieser Hinsicht eine von zahlreichen Möglichkeiten, um in einer Gemeinschaft aufzugehen, die ihren Mitgliedern eine soziale Heimat bieten.
Die Entwicklungspsychologie hat aufgezeigt, dass sich im Verlauf des Jugendalters die kognitiven (die Vernunft betreffenden) Strukturen quantitativ, vor allem aber auch qualitativ entwickeln. Jugendliche eignen sich mehr und mehr die Fähigkeiten an, über konkret Gegebenes hinaus zudenken, Hypothesen zu bilden und zu testen, neue Perspektiven zu suchen - Allgemein gesprochen geht es um die Zunahme der Differenzierungsfähigkeit, die bewirkt, dass pauschale Eigenschaftszuschreibungen abnehmen und das Verhaltensinventar insgesamt flexibler wird. Da Rassismus und Fremdenfeindlichkeit oftmals auf Vorurteile und Stereotypen beruhen, könnte der Schluss gezogen werden: Jugendliche sind besonders anfällig für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, da ihre Differenzierungsfähigkeit noch nicht genügend stark entwickelt ist. Ein solche Schluss ist aber wissenschaftlich nicht abgestützt. Und widerspricht den Erfahrungen: Vorurteile und Stereotypen finden sich bei Erwachsenen mindestens so häufig wie bei Jugendlichen.
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2.2.5. Das Argument der "falschen Erziehung"
Untersuchungen haben gezeigt, dass rechtsextreme Gewalttäter angesichts ihrer Tat häufig keine Gewissensbisse haben, es ihnen also an internen moralischen Barrieren mangelt. Daher ist es verlockend, einen Zusammenhang zwischen der Erziehung und der politischen Einstellung, in diesem Fall der Neigung zum Rechtsextremismus, herzustellen. Gestützt würde eine solche Annahme durch die Feststellung, dass die familiären Hintergründe rechtsradikaler Jugendlicher verblüffende Ähnlichkeiten aufwiesen: autoritäre Vaterpersönlichkeit und schwache oder indifferente Mutter. Autoritäre Erziehung schafft autoritäre Charaktere, die für die äussere Steuerung leicht verfügbar sind, weil autonome innere Orientierungen und Hemmungen fehlen. Allerdings ist die väterliche Dominanz nur gepaart mit eine besonders unglücklichen Kindheit massgebend für eine rechtsextreme Entwicklung.
Umgekehrt kann man auch argumentieren, dass eine zuwenig autoritäre Erziehung zu einer Zunahme der jugendlichen Rechtsextremismus führt. Als Schlagwort war die "antiautoritäre Erziehung" bei der 68er Generation hoch im Kurs. Rein zeitlich gesehen sind es die Kinder dieser Generation, die nun an der Schwelle zur Erwachsenenwelt stehen. Daher kann man auf die Idee kommen, den heutige Rechtsextremismus als Frucht der antiautoritären Erziehung zu sehen. Der Vorwurf ist insofern unberechtigt, da nur in kleinen Experimentierfeldern antiautoritäre Erziehung im eigentlichen Sinn praktiziert wurde.
2.2.6. Rechtsradikalismus - ein Jugendproblem?
Es ist fragwürdig, wegen der grossen Zahl jugendlicher Täter von einem Jugendproblem zu sprechen. Nur eine kleiner Teil der Jugendlichen übt Gewalt aus. Untersuchungen zeigen, dass die Jugendlichen insgesamt viel toleranter gegen Ausländer eingestellt sind als Erwachsene.
Jugendliche gestalten noch kaum selber die Gesellschaft, sie agieren innerhalb der von ihnen vorgefundenen Verhältnissen in einem gesellschaftlichen Umfeld und in einer politischen Atmosphäre, die vorwiegend von Erwachsenen geprägt worden ist. Besonders deutlich wurde dies zum Beispiel bei den Krawallen in Hoyerwerda (Deutschland, September 1991). Damals stürmte eine Gruppe Jugendlicher ein Asylantenheim und setzten es in Brand - unter dem Beifall zuschauender Erwachsener.
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