Heidelberg von Friedrich Hölderin (1770-1843)
Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
Mutter nennen und dir schenken ein kunstloses Lied,
Du, der Vaterlandstädte
Ländlichschönste, so viel ich sah.
Wie der Vogel des Waldes über die Gipfel fliegt,
schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
Leicht und kräftig die Brücke,
Die von Wagen und Menschen tönt.
Wie von Göttern gesandt, fesselt' ein Zauber einst
Auf der Brücke mich an, da ich vorüber ging,
Und herein in die Berge
Mir die reizende Ferne schien,
Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog,
Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön,
Liebend unterzugehen,
In die Fluten der Zeit sich wirft.
Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen
Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn
All ihm nach, und es bebte
Aus den Wellen ihr liebliches Bild.
Aber schwer in das Tal hing die gigantische,
Schicksalskundige Burg, nieder bis auf den Grund
Von den Wettern zerissen,
doch die ewige Sonne goß
Ihr verjüngendes Licht über das alternde
Riesenbild, und umher grünte lebendiger
Efeu, freundliche Wälder
Rauschten über die Burg herab.
Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Tal,
An den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold,
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn.
Friedrich Hölderin ist ein Dichter der nicht eindeutig einer Stilrichtung zugeordnet werden kann. Er verfaßte sowohl romantische als auch klassische Texte. Das Gedicht "Heidelberg" ist allerdings der Romantik zuzuschreiben.
Dies läßt sich schon durch die ungewöhnliche Form des Gedichtes erklären. Es besitzt kein Reimschema, diese Tatsache kann darauf zurückgeführt werden, das in der Romantik die Form zugunsten des Inhaltes vernachlässigt wurde. Das Versmaß des Gedichtes ist auch nicht einheitlich und daher nicht genau definierbar. Das Gedicht besteht aus acht ineinander übergehenden Strophen zu je vier Zeilen.
Der Text beinhaltet archaisierendes Wortgut, zum Beispiel: Gestade, hold. In der Romantik war die Musikalität und Klangschönheit der Sprache von großer Bedeutung und die Form der Texte volksliednah wie in keiner andren Epoche. Der Titel "Heidelberg" läßt noch nicht auf einen so gefühlsbetonten Text schließen.
Hölderin beschreibt mit einer uneingeschränkten Subjektivität die Stadt Heidelberg und ihre Umgebung. In dem Gedicht finden sich zahllose romantische Themen. Schon in der ersten Strophe spielt der Dichter auf das Nationalgefühl seiner Zeit an indem er schreibt: " Du, der Vaterlandstädte ländlichschönste, so viel ich sah." Seine hingebungsvolle Liebe für Heidelberg bringt Hölderin dadurch zum Ausdruck, daß er die Stadt "Mutter" nennen möchte, Zitat (1.Strophe, Zeilen 1-2): "Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust, Mutter nennen". In der zweiten Strophe wird eine Brücke durch einen Vergleich zu etwas lebendigem gemacht bzw. personifiziert, Zitat (Zeilen 1-2) "Wie der Vogel des Waldes über Gipfel fliegt, schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt, leicht und kräftig die Brücke, die von Wagen und Menschen tönt.". In dieser Strophe finden sich auch zwei Verbmetapher: "schwingt sich über den Strom,...,leicht und kräftig die Brücke" und "...die Brücke, die von Wagen und Menschen tönt." und ein Vergleich: "Wie der Vogel des Waldes über Gipfel fliegt, schwingt sich der Strom...". Die dritte Strophe vollzieht schon den Übergang ins Mystische, Sagenhafte und beinhaltet auch einen Anklang von Fernweh, Zitat (Zeilen 1, 3-4) "Wie von Göttern gesandt, fesselt' ein Zauber einst", "Und herein in die Berge mir die reizende Ferne schien,". Die vierte Strophe wird dominiert von der Beschreibung des Stromes von Heidelberg. Für dessen Darstellung als Jüngling bediente sich Hölderin einer Personifikation, Zitat (Zeile 1): "Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog," In dieser Strophe erkennt man sehr deutlich das schwärmerisch - innige Naturgefühl der Romantiker, Zitat (Zeilen 2-4) "Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön, Liebend unterzugehen, in die Fluten der Zeit sich wirft.". In der fünften Strophe finden unterschwellig die ebenfalls typisch romantischen Themen des Verschwommenen, des Dunklen und das der Sehnsucht, Zitat ( Zeilen 2-4): "..hattest dem Flüchtling kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn all ihm nach, und es bebte aus den Wellen ihr lieblich Bild." Die sechste Strophe beinhaltet die Entdeckung der Vergangenheit, bzw. die Wiederauferstehung des Mittelalters, Zitat ( Zeilen 1-3): "Aber schwer in das Tal hing die gigantische, schicksalskundige Burg, nieder bis auf den Grund von Wettern zerrissen,...". Allerdings enthält diese Strophe auch ein Element das eher zur Klassik zu zählen ist, das Symbol für Klarheit, für den Tag: die Sonne, Zitat (Zeile 4): "Doch die ewige Sonne goß". Dieses Element zieht sich bis in die siebente Strophe, Zitat (Zeile 1-2) "Ihr verjüngendes Licht über das alternde Riesenbild...". Dieser Ausschnitt zeugt aber auch von der Sehnsucht nach Jugend. Hölderin verwendete hier auch um der Sprache mehr Ausdruck zu verleihen Onamatopoesie, Zitat (Strophe 7, Zeile 3-4) "freundliche Wälder rauschten über die Burg herab." Es finden sich auch märchenhafte Themen in dieser Strophe: das alternde Riesenbild, der Efeu und die Burg. Den Ausklang des Gedichtes bildet die achte Strophe in der Dichter erneut auf die "Schönheit" der Stadt eingeht, Zitat: "Sträuche blühten herab, bis wo im Tal, an den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold, deine fröhlichen Gassen unter duftenden Gärten ruhn". In dieser Strophe vollzieht Hölderin erneut eine Personifikation, indem er Hügel, Gassen und Gärten bzw. die gesamte Stadt vermenschlicht.
Hölderin beschrieb eine Stadt auf die für die Romantik typische überschwengliche Art und Weise. Heutzutage sind seine Ausschweifungen, Assoziationen bzw. Metaphern und Personifikationen vielleicht nicht mehr ganz nachvollziehbar, aber man erkennt auf den ersten Blick mit welcher Hingabe er die "Vaterlandschönste" Stadt beschreibt. Ich finde das Gedicht äußerst interessant, da es einen Einblick gewährt in die "Welt der Romantik".
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