Eigenartigerweise findet man in Neills Selbstbiographie und in der deutschsprachigen Literatur über Neill und Summerhill 1921 einen Bruch. Bis dahin wird sehr ausführlich über seine Kindheit berichtet, seine Jahre als Lehrer und Student und seine Militärzeit. Ab 1921 wurde hauptsächlich über die Schule berichtet und darüber, wie Neill dort arbeitete und welche Grundsätze und Ziele er verfolgte. Nichts Ausführliches ist über seine erste Frau zu lesen, obwohl sie Mitbegründerin der Schule in Hellerau war. In seiner Autobiographie schreibt Neill wohl über Liebesepisoden, über seine Beziehung zu seiner Frau allerdings schweigt er. Aus seinen Schriften war nicht herauszufinden warum sie keine Kinder zusammen hatten. Neill stand der Institution Ehe skeptisch gegenüber. Lilian NEUSTÄTTER, seine erste Frau, heiratete er \"der Schule wegen\". Er erklärte: \"Ich mußte mich ehrbar und solide geben\"40 es war ihm wichtig, der Öffentlichkeit gegenüber eine geregelte Beziehung vorweisen zu können. Ein anderes Motiv war, daß er Lilian NEUSTÄTTER auch möglichst schnell die britische Staatsbürgerschaft zukommen lassen wollte, weil sie sich als Ausländerin regelmäßig bei der Polizei melden mußte. Erst in seinem Buch \"Hearts not Heads\", 1945, schrieb er das letzte Kapitel als Nachruf auf \"Mrs. LINS\", wie Lilian von den Kindern immer genannt worden war. Hier würdigte er ihre Leistungen. Ihr organisatorisches Talent hatte wesentlich dazu beigetragen, daß Summerhill die Anfangskrisen überwinden und so lange bestehen konnte.
Jonathan Croall, ein ehemaliger Summerhill Schüler, berichtet in seinem Buch \"Neill of Summerhill\" über die Leistungen von Lilian Neustätter für den Aufbau der Schule. Sie unterstützte Neill schon, als er noch von seiner Schule träumte und ihr in langen Gesprächen in London davon erzählte. Später half sie Neill immer wieder in seinen Versuchen, die Schule neu zu starten. Sie organisierte das Schülerheim, war Köchin, regelte die Geldangelegenheiten der Schule und unterrichtete Kurzschrift, Maschinschreiben, Geschichte, Deutsch und Englisch, obwohl sie keine Ausbildung dafür hatte. Eine Frau mit viel Energie und Elan, der die Entscheidungsfindung der ganzen Gemeinschaft oft zu schwerfällig und langsam war, und Neill erinnerte sich: \"In her heart she never really liked selfgovernment\"41. Es konnte vorkommen, daß sie während eines \"meetings\" Papier herumliegen sah und sagte: \"Wir müssen aufräumen.\" Wenn sie das sagte, standen alle auf und machten es. \"She was almost like a House of Lords that overruled everyone else\"42. So gab sie zum Beispiel ihre eigenen Regeln aus. Sie verbot den Kindern, die vordere Stiege und Tür des Haupthauses zu benützen. Diese stachelten sich dann gegenseitig auf, es doch zu tun, wenn Mrs. Lins in der Nähe war. \"That was considered the most dangerous thing to do in Summerhill\"43. Doch die Schüler beschrieben sie u. a. folgendermaßen: \"Sie war phantastisch\". \"Sie war für alle, Lehrer wie Schüler, eine Mutter. Du konntest über alles mit ihr reden, sie hörte zu und verstand dich\"44. Eines Tages im Jahr 1927 verließen Neill und Mrs. Lins die Schule und teilten beim Nachhausekommen mit, daß sie verheiratet wären. Es gab keine große Zeremonie, niemand von Summerhill war bei der standesamtlichen Trauung dabei. Neills erste Frau starb 1944, nachdem sie vorher einen Herzinfarkt gehabt hatte.
Ena Wood, seine spätere zweite Frau, lernte Neill bereits 1939 kennen als sie ihren Sohn Peter in Summerhill anmeldete. 1940 kam sie als Küchengehilfin ins Summerhill Team. Das war zu einer Zeit, als die Schule wegen des Krieges von Leiston nach Festiniogh in Nord-Wales übersiedelte. Ena berichtete, daß Mrs. Lins über diese Übersiedlung verärgert war. \"Sie war nicht mehr in der Lage, Sachen zu organisieren\"45, urteilt Ena. So nahm sie alles in die Hand was die Übersiedlung betraf. In Festiniogh kochte sie für 90 Kinder. Summerhill war zu dieser Zeit überfüllt, weil viele Londoner ihre Kinder vor den Bombenangriffen auf die Hauptstadt in Schutz bringen wollten.
Ena wurde Hausmutter in Summerhill und schließlich Neills \"Sekretärin\". Im Oktober 1944 schrieb Neill an REICH: \"Inzwischen muß ich durch eine schwierige Zeit. Einige Mitarbeiter sind sehr gegen meine Sekretärin, die mir aber in jeder Hinsicht eine Menge bedeutet.\"46 Einen Monat später schrieb er: \"Es ist jetzt schon viel besser, nachdem ich den Mitarbeitern bekanntgegeben habe, daß ich die junge Dame, die meine Sekretärin ist, heiraten werde.\"47 Neill war damals 61 Jahre alt und Ena 34. Die Hochzeit fand 1945 statt.
1945 ging die Schule auch wieder nach Leiston zurück, wo am 2. Nov. 1946 Zoe, Neills und Enas Tochter geboren wurde. Sie lebten als Familie im Haupthaus der Schule, was für das Kind oft sehr belastend war. Zoe hatte keinen Platz für sich alleine, ihr Spielzeug war immer wieder weg, sie hatte schwere Zeiten mit den anderen Kindern, die ja zunächst alle älter waren als sie. Deshalb zog die Familie 1950 in die \"Holy Lodge\", einem Haus, das zum Schulgelände gehörte, aber etwas abseits stand. Darin wohnt Ena noch heute. Alexander Sutherland Neill starb 1973. Damals übernahm Ena die Leitung der Schule, später Zoe und deren Mann.
Zusammenfassung
A. S. Neill hat als Kind darunter gelitten, daß er Dinge lernen mußte, die ihn nicht interessierten und die er sich auch nicht merken konnte. Er hat gelitten unter der Strenge seiner Eltern und den moralischen Vorschriften der damaligen Zeit. Seine Kindheit und Jugend waren von Mißerfolgen und Angst geprägt, Angst vor der Dunkelheit, vor der Hölle, vor dem Tod, vor Gott u. a. Er hatte Mißerfolge, weil er sich als Schüler nichts merken konnte. Als Bürogehilfe und als Botengänger scheiterte er. Als Lehrerpraktikant war er bei den Prüfungen einer der schlechtesten. Schließlich aber schaffte er die Prüfungen für die Zulassung zum Universitätsstudium und schloß das Studium erfolgreich ab. Seine Dominie-Bücher wurden ein Erfolg. Neill wurde als Schriftsteller bekannt und zu vielen Vorträgen eingeladen. Er lernte, daß ein Mißerfolg in der Kindheit nicht auch ein Mißerfolg für den Rest des Lebens bedeutet.
Seine Mitarbeit an der Zeitschrift \"New Era\" (1920) in London hat wesentlich dazu beigetragen, daß er sich mit Erziehungsfragen auseinandergesetzt hat. Er schrieb kritische Artikel gegen das damalige Schulsystem und die Lehrer. Beeinflußt hat ihn auch seine Zeit als Schulleiter in Gretna Green (1918). Hier konnte er in der Praxis erproben, was er zuvor an Ideen entwickelt und zum Teil in der Studentenzeitung und bei Vorträgen veröffentlicht hatte.
Mit Summerhill hat Neill eine Schule gegründet, in der das oberste Prinzip \"Freiheit\" und das Glück der Kinder ist. Niemand sagt ihnen, was und wann sie lernen müssen oder ob sie spielen dürfen. Es gibt keine moralischen Vorschriften. Neill glaubte an das Gute im Kind.
Am wichtigsten für die Gründung und die Art der Führung von Summerhill war zweifellos die Bekanntschaft mit Homer LANE. LANE praktizierte im Little Commonwealth bereits Selbstverwaltung. Er half Neill, seine Ideen vom \"Guten\" im Kind und von der Freiheit des Kindes zu konkretisieren und in Summerhill umzusetzen.
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