Interpretieren und Analysieren sie das \"Großmuttermärchen\" aus Woyzeck und Vergleichen sie diese mit einem normalen Märchen.
Schon bei der ersten Lektüre des Großmuttermärchens gewinnt man den Eindruck, dass die ganze Welt gegenüber dem Kind feindlich eingestellt ist. Da das Kind bisher von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht wurde, möchte es sich offenbar in eine andere Welt retten. Die freundliche Erscheinung des Mondes stellt sich jedoch als Täuschung heraus; in Wirklichkeit ist er \"ein Stück faul Holz\". Auch die Sonne stellt sich nach näherem Hinsehen als etwas Verdorbenes heraus, als \"ein verwelkt Sonnenblum\". Und die Sterne, die gewöhnlich Positives für die kindliche Phantasie verheißen - wenn die Sterne vom Himmel fallen darf man sich etwas wünschen -, werden von der Großmutter besonders drastisch und enttäuschend vorgestellt: Sie sind \"kleine goldne Mücken\", aufgespießt auf den Dornen der Schlehen. Wenn das Kind zur Erde zurück kommt, findet es diese in größter Unordnung, sie ist nur \"ein umgestürzter Hafen\".
Vorbild für dieses Märchen war für Büchner wahrscheinlich das Grimmsche Märchen \"Sterntaler\". Dort begegnet uns eine ähnliche Ausgangssituation, das Kind ist ebenfalls arm und elternlos, jedoch gibt es einen wesentlichen Unterschied. Während in Büchners Fassung das Kind keinerlei Gelegenheit hat, um sich ein bisschen Glück durch gute Taten zu verdienen, erlebt das Kind im Märchen der Gebrüder Grimm zahlreiche Situationen in denen es seine Güte zeigen und deshalb schließlich von Gott belohnt werden kann. Uns begegnen hier bekannte Motive der Romantik, das Kind wandert \"im Vertrauen auf dem lieben Gott hinaus ins Feld\", und die göttliche Belohnung für seine guten Taten scheint eine logische Folge zu sein. Die Sterne, die in Büchners Märchen den Tod symbolisieren, verwandeln sich bei den Gebrüdern Grimm in \"harte blanke Taler\", die das Kind reich machen.
In Büchners Märchen ist Gott oder irgendeine andere fürsorgliche Macht völlig abwesend. Es begegnet uns gegen Ende des Dramenfragments \"Woyzeck\". So wie das Kind einsam inmitten einer Welt ohne Liebe steht, lernten wir Woyzeck als einen Menschen kennen, der keinen Verbündeten neben sich hat. Das Kind symbolisiert also die Existenz Woyzecks. Und so kann auch das Ende des Märchens als ein Ausblick auf die Zukunft Woyzecks verstanden werden: eine heillose traurige Einsamkeit, aus der er sich nicht zu retten weiß. Nachdem das Märchen erzählt ist, holt Woyzeck seine Geliebte ab, um sie zu töten und (wahrscheinlich) auch seiner eigenen Qual ein Ende zu machen.
Die Einfügung eines Märchens - eindeutig an der gattungstypischen Einleitung \"es war einmal\" zu erkennen - ist formal an die Gestaltung der romantischen Literatur angelehnt, aber der Inhalt des Märchens bei Büchner zeigt uns ein völlig verändertes Weltbild. Der Mensch ist hier grundsätzlich verloren, ausgesetzt und von seiner feindlichen mitleidlosen Umgebung existentiell abhängig. Er hat auf den destruktiven Verlauf seines Schicksals keinen Einfluss und ist unfähig zu Handeln. Die Welt erscheint ohne Sinn und Harmonie.
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