Das Volksstück "Herr Puntila und sein Knecht Matti" handelt von den zwei unterschiedlichen Seelen des finnischen Gutsbesitzers Puntila. Dieser zeigt sich in nüchternem Zustand als rationaler und inhumaner Landbesitzer, besoffen ist er hingegen sozial und menschlich. Wie für Brecht typisch, wird das Stück zwischen den meisten Szenen durch Songs unterbrochen, was zu dem Gesamtverständnis des Volksstückes beitragen soll. Deshalb lohnt es sich, Form, Inhalt, Aussage und Sinn der Lieder näher zu untersuchen.
Zunächst möchte ich auf die formalen Aspekte des Puntilalieds eingehen. Die insgesamt acht Strophen bestehen jeweils aus acht Zeilen, deren Länge stark variiert. So umfasst die siebte Zeile der vierten Strophe elf Silben, während die zweite Zeile der achten Strophe lediglich sechs Silben lang ist. Auch ein einheitliches Reimschema lässt sich zunächst nicht feststellen. Beispielsweise reimen sich die erste Zeile und die dritte Zeile der ersten Strophe nicht, in der zweiten Strophe erkennt man in den gleichen Zeilen jedoch einen Reim zwischen "Gewinn" und "drin". Allen Strophen gemeinsam ist aber ein Reim von Zeile zwei mit Zeile vier und von Zeile sechs mit Zeile acht. Man kann also in den Abschnitten, in denen sich die erste Zeile mit der dritten reimt, einen Kreuzreim feststellen. Ferner ist weder ein durchgehendes Metrum, noch ein festes Schema für die Kadenz auszumachen. Am Beispiel der ersten Strophe findet man in den ersten vier Zeilen zwar einen betonten und damit männlichen Versausklang, doch schon die Kadenz der fünften und der siebten Zeile ist weiblich. Diese Unregelmäßigkeiten bei Reim, Kadenz und Metrum sind darauf zurückzuführen, dass das Puntilalied in erster Linie am gesprochenen Text orientiert ist. Es handelt sich dabei also nicht unbedingt um ein Lied.
Vielmehr ist das Puntilalied als Ballade zu begreifen, da es den Inhalt der entsprechenden Szenen noch einmal erzählend wiedergibt. Dabei ist auffällig, dass sich jede der acht Strophe auf genau eine Szene bezieht. In der ersten Strophe des Puntilalieds erzählt die Köchin Laina von dem Besäufnis im Hotel zu Tavasthus. Es werden also die Geschehnisse der ersten Szene thematisiert. Die zweite Strophe handelt von der Unterhaltung zwischen Matti und Eva nach der Ankunft von Puntila mit seinem Anhang und ist damit inhaltlich der zweiten Szene zuzuordnen. In der dritten Strophe wird erzählt, wie sich Puntila mit dem Kuhmädchen verlobt. Damit entspricht die dritte Strophe der Handlung der dritten Szene. Während die ersten drei Szenen also mit den ersten drei Strophen des Puntilalieds abgedeckt werden, wird die vierte Szene mit keiner Strophe berücksichtigt. Demzufolge knüpft die vierte Strophe erst an den Handlungsverlauf der fünften Szene an. Laina erzählt nämlich von den Geschehnissen in der Badehütte und von Puntilas bekräftigter Entscheidung, seine Tochter mit dem Attaché zu verloben. In der darauffolgenden Strophe erfahren wir von Evas Annäherung an Matti in der Gutsküche, womit auch die sechste Szene mit einer Strophe erwähnt wird. Auch die zwei darauffolgenden Szenen werden jeweils mit einer Strophe abgedeckt. So handelt die sechste Strophe vom dem Besuch von Puntilas Verlobten auf seinem Landgut in der siebten Szene und in der siebten Strophe wird deren Heimweg während der achten Szene beschrieben. Schließlich singt Laina in der achten Strophe noch von den Geschehnissen im Esszimmer auf Puntila, nämlich dass dieser den Attaché von seinem Landgut vertreibt und seine Tochter mit Matti verloben wollte, wenn er denn mit ihren hausfräulichen Fähigkeiten zufrieden wäre. Nachdem die neunte Szene also mit der achten Strophe in Erwähnung gebracht wird, werden die Szenen zehn bis zwölf in dem Puntilalied nicht abgedeckt. Insgesamt gibt es also vier Szenen, die von Brecht nicht mit einer dazugehörigen Strophe des Puntilalieds versehen worden sind. Dabei lassen sich unterschiedliche Gründe für die Nichtberücksichtigung einzelner Szenen vermuten. Die vierte Szene, bei der Puntila auf dem Gesindemarkt nach Knechten sucht, wurde wohl wegen inhaltlicher Belanglosigkeit nicht berücksichtigt, da sie, auch was den Ort des Geschehens betrifft, vom Handlungsverlauf vor und nach dieser Szene ausschert. Bei der zehnten Szene dürfte der Grund für das Fehlen im Puntilalied schlichtweg die Kürze gewesen sein, so dass es an erwähnenswerten Vorkommnissen fehlt. Ganz andere Gründe lassen sich für die elfte und zwölfte Szene vermuten. Diese sind nämlich schon durch Mattis Abschiedslied weitgehend abgedeckt. Deswegen hat Brecht wohl auf eine Erwähnung im Puntilalied verzichtet. Zusammenfassend kann man sagen, dass in den Strophen nur Ausschnitte des eigentlichen Geschehens zur Sprache gebracht werden. Das sieht man zum Beispiel daran, dass Laina in der dritten Strophe nur von der Verlobung mit dem Kuhmädchen berichtet, die Verlobung mit dem Apothekerfräulein, mit der Schmuggleremma und mit der Telefonistin bleiben jedoch unberücksichtigt. Man kann also festhalten, dass in den Strophen immer nur Teile der ganzen Handlung vereinfacht dargestellt werden. Ein weiteres Merkmal aller Strophen ist, dass die letzten zwei Zeilen, von der siebten Strophe abgesehen, immer in der direkten Rede stehen. Es fällt jedoch auf das der Inhalt dieser direkten Rede mit dem, was die Darsteller in den Szenen sagen, nicht immer konform ist. So hört man von Puntila in der vierten Strophe: "Der [Attaché] sagt nix, wenn er einen Knecht bei ihr find´t, weil ich seine Schulden zahl." (Strophe 4/ Zeile 7-8)
Doch neben dem Puntilalied werden auch noch andere Songs in diesem Volksstück vorgetragen, wie zum Beispiel Mattis Abschiedslied, welches dieser nach dem Ende der zwölften Szene singt. Hier sind einige Verbindungen zwischen dem Puntilalied und Mattis Abschiedslied zu erkennen. So enden die letzten zwei Zeilen des Puntilalieds mit den Worten Mattis, was den Anschluss an Mattis Abschiedslied herstellt. Gewissermaßen kann das Abschiedslied auch als neunte Strophe des Puntilalieds bezeichnet werden, zumal es im Wesentlichen Anstoß an die Geschehnisse der elften Szene nimmt. Es lassen sich aber auch Unterschiede zwischen Mattis Abschiedslied und dem Puntilalied feststellen. Beispielsweise ist das Puntilalied an den Zuseher gerichtet, während Matti in seinem Abschiedslied seinen Herrn Puntila direkt anspricht. Auch formal unterscheiden sich Puntilalied und Abschiedslied in einigen Punkten. So hat das Puntilalied kein einheitliches Reimschema, wohingegen im Abschiedslied eindeutig ein Paarreim vorliegt. Auch ein durchgehendes Metrum, nämlich ein Jambus, lässt sich beim Abschiedslied im Gegensatz zum Puntilalied ausmachen.
Eine weitere interessante Frage ist, ob die Inhalte des Volksstücks in den einzelnen Strophen objektiv wiedergegeben werden. Hier ist meiner Meinung nach eine Differenzierung zwischen den einzelnen Strophen erforderlich. In den ersten drei Strophen sind kaum Ansätze für Subjektivität zu finden, so dass ich diese im Wesentlichen für objektiv halte. So sieht man am Beispiel der dritten Strophe, dass Laina zwar etwas bildlich erzählt, wie zum Beispiel in dem Satz "du gehst meine Kühe melken" (Strophe 3/ Zeile 5), dennoch entspricht dies sinngemäß den Worten des Gutsbesitzers in Szene drei "Und ich hab einen Hof und die Dampfmühle und das Sägewerk hab ich und gar keine Frau! Wie ist es mit dir, Täubchen?" (S. 32 unten). Auch die Strophen sechs bis acht beschreiben die Geschehnisse in den entsprechenden Szenen meiner Ansicht nach objektiv. Beispielsweise begründet Matti seine Absage an eine Hochzeit mit Eva am Ende der achten Strophe mit "Ich nehm sie nicht, denn sie ist mir nicht gut genug." (Strophe 8/ Zeile 7-8), was Matti in der neunten Szene mit "Da fehlt eben alles." (S. 107 unten) auch sinngemäß sagt. Im Gegensatz zu diesen Strophen lassen sich in der vierten und in der fünften Strophe Anhaltspunkte für eine subjektive Wiedergabe der Szenen ausmachen. Beispielsweise sagt Puntila am Ende der vierten Strophe: "Der [Attaché] sagt nix, wenn er einen Knecht bei ihr find´t, weil ich seine Schulden zahl." (Strophe 4/ Zeile 7,8; s.o.) Tatsächlich gewinnt man in der fünften Szene eher den Eindruck, dass der Attaché Eva den gemeinsamen Aufenthalt mit Matti im Badezimmer aus dem Grund nicht übel nimmt, weil er ihnen glaubt, dass sie wirklich lediglich Karten gespielt haben. Er sagt nämlich: "Weißt du, Puntila, wenn sie 66 gespielt haben, ist's ein Missverständnis." Auch die fünfte Strophe ist meiner Ansicht nach in ihrer Darstellungsweise nicht ganz objektiv. So wird Eva in dem Lied mit dem Ausspruch "Schofför, mich reizt deine Manneskraft" (Strophe 5/ Zeile 3) zitiert, wobei sie in der eigentlichen Handlung zu Matti nur sagt: "Ich nehm den Attaché nicht. Ich glaub, ich nehm Sie." (S. 71 unten)
Hier stellt sich natürlich die Frage, warum es Unterschiede zwischen den einzelnen Strophen hinsichtlich ihrer Objektivität gibt. Nach dem Brechtschen Dramenverständnis sind nur außenstehende Personen in der Lage, einen Sachverhalt inhaltlich korrekt und objektiv zu erzählen. Sind sie dagegen in der Handlung eines Stückes involviert, so neigen sie zu einer subjektiven Darstellungsweise. In diesem Volksstück spielt die Erzählerin des Puntilalieds, nämlich die Köchin Laina, in den Szenen fünf, sechs, neun, elf und zwölf eine Rolle. Die Subjektivität in der vierten Strophe lässt sich also mit ihrem Auftreten in der fünften Szene begründen. Dementsprechend ist der Grund für subjektive Erzählweise der fünften Strophe in Lainas Rolle in der sechsten Szene zu erklären. Dies gilt allerdings nicht für die objektiv dargebrachte achte Strophe des Puntilalieds. Obwohl Laina in der entsprechenden neunten Szene vorkommt, wird die Strophe objektiv erzählt. Dies ist wohl damit zu begründen, dass Laina in der neunten Szene zwar vorkommt, in den dortigen Geschehnissen aber nicht integriert ist. Sie unterhält sich nämlich lediglich mit der Pröbstin über Pilzkulturen, ohne an dem Gespräch zwischen Matti, Eva und Puntila teilzunehmen, so dass diese Strophe exemplarisch dafür steht, dass nur an der Handlung unbeteiligte Personen in der Lage sind, objektiv darüber zu berichten.
Schließlich möchte ich noch klären, inwieweit die Lieder dieses Volksstücks zum Brechtschen Dramenverständnis beitragen. Ein bedeutender Aspekt des Brechtschen Dramenverständnisses ist der Verfremdungseffekt. Dieser besteht zum einen daraus, dass Brecht bewusst vom Erwarteten abweicht, um dem Zuseher seine Aussage zu verdeutlichen, zum anderen besteht dieser Effekt darin, dass die Perspektiven des Stückes verschoben werden. Im Wesentlichen geschieht die Abweichung vom Erwarteten dadurch, dass Brecht im Puntilalied dazu neigt, Ereignisse noch einmal überzogen darzustellen. So heißt es zum Beispiel in der siebten Strophe: "Und wer auch sein Vertrauen setzt auf der reichen Herren Huld, soll froh sein, wenn's den Schuh nur kost, denn da ist er selber Schuld." (Strophe 7/ Zeile 5-8). Auf der anderen Seite verschiebt Brecht die Perspektiven des Stückes dadurch, dass das Puntilalied aus der Sicht von einer bestimmten Person, nämlich von Laina erzählt wird. Brecht versucht also gewissermaßen, die Maske über den Szenen durch das Lied zu entfernen.
Ferner ist der Abstand zwischen den Geschehnissen auf der Bühne und dem Zuseher ein wichtiger Punkt des Brechtschen Dramenverständnisses. Hier wird versucht, den Zuschauer durch Unterbrechungen zwischen den Szenen in Form der Lieder von dem Bühnengeschehnissen loszureißen, so dass dieser in der Lage ist, die Vorgänge aus der Vogelperspektive zu überschauen. Durch die Lieder will Brecht also verhindern, dass sich ein Spannungsbogen und Sympathieempfindungen aufbauen, die den Zuseher von der eigentlichen Aussage des Stückes ablenken.
Der wohl wichtigste Gesichtspunkt des Brechtschen Dramenverständnisses ist allerdings die Belehrung des Zuschauers, zu der auch die Lieder in gewisser Weise beitragen. So werden durch Wiederholung einzelner Belehrungsaussagen in dem Puntilalied diese noch einmal erklärend in den Vordergrund gehoben. Beispielsweise vertreibt Puntila seine vier Verlobten in der siebten Szene mit dem Worten "Ich rat euch, gehts vom Gut, bevor ich euch vertreib und die Polizei anruf." (Seite 82 unten) von seinem Gut. Im Puntilalied wird Puntila mit dem Ausspruch "[...] an meinem Tisch habt ihr nicht verloren" (Strophe 8, Zeile 7-8) zitiert. Hier wird also der Zusammenhang zur Aussageintention Brechts insofern hergestellt, dass die Vertreibung der Verlobten als symbolisch für die Ignoranz und Arroganz der Reichen und Mächtigen dargestellt wird. Doch im Puntilalied werden nicht nur bereits evidente Aussagen noch einmal erklärt, sondern das Gesamtwerk wird auch um neue Aussagen ergänzt. In der vierten Strophe des Puntilalieds erzählt Laina beispielsweise "Der [Attaché] sagt nix, wenn er einen Knecht bei ihr find´t, weil ich seine Schulden zahl." (Strophe 4/ Zeile 7-8; s.o.). Brecht spielt damit auf Bestechlichkeit und Materialismusdenken der einflussreichen Leute, hier in Form des Attachés, an.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Songs ein wichtiger Mosaikstein zur Gesamtaussage des Stückes sind. Der Kommunist Brecht instrumentalisiert das Volksstück als eine satirische Anklage gegen die Unmenschlichkeit der Reichen und Mächtigen. So ist das einfache Volk von den Launen und im übertragenen Sinn von den Fähigkeiten der Kapitalträger abhängig, in diesem Fall leidet Matti, der Rest der Gutsarbeiter und nicht zuletzt seine Tochter unter der Willkür des nüchternen Puntila. Nur unter dem Einfluss des Rausches verliert der Kapitalist Puntila sein materialistisches Denken und offenbart seine menschliche Seele. Diese Aussage versteht Brecht, in Form des Puntilalieds darzubringen und zu verdeutlichen.
|