Ehe ich mich den Anfängen der Faust-Illustration, die mit der Ausbildung einer bürger¬lich-realistischen Kunst zusammenfallen, zuwenden, sei den Zeichnungen und Skizzen Goethes zu seiner Dichtung gedacht . Sie gelten uns als authentische Aussagen über das im Entstehen begriffene Werk.
Im Grunde handelt es sich nicht um eine Deutung mit den Mitteln der Kunst. Einerseits sind sie dem dichterischen Prozess zugehörig; die Datierung ergibt sich dann aus der Chronologie der Werkgeschichte. Andererseits geht es Goethe um die Ver¬wirklichung seiner Dichtung auf der Bühne, das heißt um die szenische Erprobung mit Hilfe des Zeichenstiftes.
Als Teil der Entstehung des ,,Faust" betrachte ich die Skizze zum ,,Prolog im Himmel" (Abb. 2) , die ich daher für 1797-1800 ansetzen. In ihrer Nähe dürfte, zeichnerisch und zeitlich, die ,,Walpurgisnacht\" (Abb. 6) stehen. Beide Zeich¬nungen deuten den Vorgang lediglich an.
Die weiteren vier Entwürfe zum ersten Teil weisen eine innere Beziehung auf. Die tastende Ausgestaltung eines Innenraumes ist identisch mit dem Suchen nach der gemäßen Bühnenszenerie. Vielleicht könnte noch bei der ,,Hexenküche" (Abb. 5) von der Vergegenwärtigung der Situation und damit von einer Übereinstimmung mit dem Entstehungsprozess gesprochen werden, was eine sehr frühe Datierung (etwa 1788) ergäbe. Die Ähnlichkeit des Rahmens rückt auch diese Zeichnung zu den anderen drei.
Ich meine, die vier Blätter gehören in die Zeit nach 1810.
Goethe lernte in diesem Jahre eine eben entstandene Illustrationsfolge von Ludwig Nau¬werck (1772-1838) kennen, die eine Darstellung der Erdgeisterscheinung enthält. Die Auseinandersetzung mit der Deutung Nauwercks dürfte Goethes eindrucksvolle Zeich¬nung ergeben haben. Apollo, Zeus oder Erdgeist überstrahlt den Raum (Abb. 1); der Kopf der Erscheinung steht im gotischen Spitzbogengewölbe. Die Zeichnungen, die man der Eingangs- und der ersten Studierzimmerszene zuordnet (Abb. 3 und 4), können Vorstufen genannt werden, da die Örtlichkeit ähnlich ist. Meines Er¬achtens nach geht die Bedeutung der Zeichnungen Goethes über eine Prüfung von Nauwercks Leistung hinaus, denn zu dieser Zeit taucht der Gedanke an die Bühnenverwirklichung auf.
Durch Eintragungen in die Tag- und Jahreshefte von 1812, wonach Wolff und Riemer ,,einen Plan zur Aufführung des Faust" entwerfen und ,,der Dichter verleitet ward, mit diesem Gegenstand sich abermals zu beschäftigen, manche Zwischenszene zu bedenken, ja sogar Dekorationen und sonstiges Erfordernis zu entwerfen". Vielleicht weisen diese Worte auf die vier Skizzen hin, die dann als echte Entwürfe zu Bühnenbildern zu gelten hätten. Es ist jedoch nicht völlig auszuschließen, dass die Vorbereitungen zur mono-dramatischen Aufführung des Grafen Brühl 1815 oder zur ersten Berliner Inszenierung mit den Kompositionen des Fürsten Radziwill 1819 die Phantasie des Dich¬ters angeregt haben, die mögliche Szenerie bildlich auszudenken. Die ,,Erscheinung des Erdgeistes" von der Goethe in dem Brief an Brühl vom 1. Mai 1815 ausdrücklich spricht, und der einheitliche Ort des Studierzimmers legen solche Vermutungen ebenso nahe.
Ein weiteres Blatt von der Hand des Dichters ist anzuführen, das nun mit dem Entste¬hungsprozess von ,,Faust II" in Verbindung zu bringen ist. Es handelt sich um den Versuch, die ,,klassische Walpurgisnacht" zu versinnbildlichen (Abb. 7). Allgemein wird diese Zeichnung der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zugewiesen; sie gilt der Szene ,,Felsbuchten des Ägäischen Meers".
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