Die Berechtigung zur bildlichen Erklärung hat Goethe bejaht. Er glaubt sogar anfänglich, ohne die künstlerische Wiedergabe werde die Gestaltenwelt des ,,Faust" schwerlich fass¬bar sein. Wie nahe ihm die nötige Berührung mit der Kunst zu liegen scheint, entnehmen ich einem Schreiben an den Verleger Cotta vom 30. September 1805: ,,Ist es mir einiger¬maßen möglich, so tret ich gleich mit Faust hervor. Er und die übrigen holzschnittartigen Späße machen ein gutes Ganze...\" Wenig später, in dem Brief an Cotta vom 25. No¬vember des gleichen Jahres, verwirft Goethe den Gedanken der Bildbeigabe.
Es geschieht jedoch, dass C. F. Osiander in Cottas Auftrag vier Sze¬nen bearbeitet. Die Kupferstiche werden in eine Anzahl Exemplare der Erstauflage ein¬gebunden. Es handelt sich um eher wertlose Versuche, der Dichtung Ausdruck zu verleihen. Als dokumentarische Zeugnisse für eine der ersten Illustrationsfolgen haben ich ,,Auer¬bachs Keller" , ,,Kerker", "Erscheinung des Erdgeistes" sowie "Nacht, offen Feld" (Abb. 8) aus dem sehr seltenen Band ausgewählt. Goethe hat, so nimmt man an, mit ziemlicher Sicherheit, die Abbildungen von Osiander nie gesehen.
1790 erscheint das ,,Fragment\", das man als Vorklang zum vollendeten ersten Teil bezeich¬net. In ähnlicher Weise verstehen man eine Proben einer illustrativen Erklärung der Dichtung aus dem Jahre 1796 als Vorspiel. Ich führe die Zeichnung ,,Hexenküche\" von As¬mus Jakob Carstens (Abb. 9) an.
In der Manier des Umrisses kündigt sich die klassische Malweise an, die sich auf die Linie stützt und zeitweilig auf die Farbgebung verzichtet. Sie sollte für eine Reihe von Illustratoren verbindlich werden. Während Carstens die früheste Arbeit zu der Dichtung in ihrem fragmentarischen Stadium liefert, tritt ein Leipziger schon 1809 mit Versuchen zum ein Jahr vorher erschienenen ersten Teil des ,,Faust" hervor. Es handelt sich um Christian Ludwig Stieglitz´ (1756-1836) 13 Zeichnungen, die lange Zeit als ver¬schollen galten und die erst 1932 entdeckt wurden. Rochlitz macht Goethe auf die Illu¬strationen aufmerksam. Am 20. November 1809 erbittet der Dichter die Deutung seines Werkes. Als Goethe die Sepiastudien am 18. Februar 1810 zurückschickt, bemerkt er dazu: ,,Dem Dichter kann nichts Angenehmeres begegnen, als wenn er auf eine so bedeutende Weise erfährt, dass ihm die Einbildungskraft des Lesers entgegen arbeitete".
Mit Bedacht spricht Goethe nicht von dem ,,Künstler", der sein Werk deute, denn die Stieg¬litz-Blätter können nur als Liebhaberarbeiten gelten, die im Stile von spätbarocken Bühnenmalereien abhängig sind. Demzufolge werden italienische Landschaften und antike Architekturelemente in eine romantische Umwelt gesetzt. Der Bühnenvorgang ist für Stieglitz unwichtig; in der ,,Kerker"-Szene (Abb. 10) wirken Bauteile, Gewölbe und Bögen bestimmend.
An den bisher genannten Arbeiten fällt auf, dass entweder die Bewegtheit und Phantastik der Szene (,,Auerbachs Keller", Erdgeisterscheinung, ,,Hexenküche") oder die eindrucksvolle, hochdramatische Situation (Pakt bzw. Wette, ,,Kerker\") als An¬regung dient. So reagiert allgemein die Illustrationskunst auf Goethes Dichtung. Faust, die Hauptgestalt des Werkes, wird in ihrem eigentlichen Wesen noch nicht verstanden und empfunden.
Die Reaktion der Literaturkundigen auf die Veröffentlichung des ersten Teiles der Tra¬gödie ist nicht besonders groß gewesen. Wenige Rezensionen aus den Jahren 1808/10 liegen vor. Um so mehr erstaunt die Fülle der Illustrationen. Es scheint, als übernehme die bildende Kunst die beurteilende Funktion. Diese Feststellung müssen man insofern einschrän¬ken, da noch nicht von einer Ausdeutung der Dichtung gesprochen werden kann. Die illustrative Behandlung des ,,Faust" ist identisch mit einer Annäherung an die Dichtung, und zwar mit den Mitteln der Kunst. Maler und Zeichner ringen wie die Leserschaft um das Verständnis für die Bilder, die der Dichter entworfen hat. Diese Grundvoraussetzung muss man bei der zeitgenössische Illustration beachten.
Sie gilt nicht nur für die Einzelblätter und Folgen, die bis 1832 entstehen, sondern weitgehend für die gesamte Illustrationskunst des 19. Jahrhunderts, soweit sie sich der Werke Goethes verschrieben hat.
Der Künstler hält sich zunächst an den Text, malt die Szene, zeichnet die abgehandelte Situation. So verfährt Moritz Retzsch mit den ,,Umrissen zu Goethe\'s Faust" (1816), indem er bescheideneren Ansprüche zu verwirklichen trachtet. Schon der Entwurf mit der Feder beweist die begrenzten Ziele, die Retzsch mit seiner Gestaltungsweise verfolgt. Der Künstler wählt geschickt Momente der Dichtung aus, die für den Hand¬lungsverlauf wesentlich sind; er trifft dabei Augenblicke, die den Leser bewegen und die zugleich einer volkstümlichen Nachzeichnung entsprechen. Das Ergebnis ist die erste Illustrationsfolge zu ,,Faust I" , die sich sofort durchsetzt und die auch in anderen Ländern mit den frühesten Übersetzungen zur Wirkung gelangt. Aufgrund der großen Bedeutung dieser Illustrationsfolgen für die Verbreitung des Werkes und da Goethe sehr angetan von ihnen war, werde ich an späterer Stelle nochmals detailliert die Werke Moritz` Retzschs ansprechen.
Die Darstellungsweise von Retzsch (und auch Ramberg) trägt zum Verstehen des dichterischen Werkes bei. Goethes ,,Faust" erweist sich hier als klar darstellbar.
Solche Erkennt¬nis sollte für das Theater anregend wirken. In diesem Sinne hat die Kunst dem Theater vorgearbeitet und der Dichtung den Weg zu unübersehbarer Entfaltung geöffnet. Die Wechselwirkung zwischen Dichtung und Zeichenkunst beziehungsweise zwischen Malerei und Bühnenkunst wird in ähnlicher Weise schon zu Goethes Zeit und in der unmittel¬baren Umgebung des Dichters formuliert.
Aus der großen Zahl der zu Goethes Zeit entstandenen Illustrationen ragt der Zyklus von Peter Cornelius hervor (1816). Die Anregung Goethes, die Malweise Dürers zu stu¬dieren, verhilft dem Künstler zu klaren Formen und zu einer historisch einwandfreien Kostümierung. Zwar bleibt Cornelius dem Umriss verpflichtet, doch gelingen ihm male¬rische Situationen, an denen die Lebendigkeit gefällt (Abb. 11). Am 8. Mai 1811 nennt Goethe die Illustrationen in einem Brief ,,sehr geistreich gut gedachte, ja unübertrefflich glückliche Einfälle".
Die Beteiligung des Auslandes an der Faust-Illustration bezeugt Eugene Delacroix, dessen Folge von 1828 als zweite überragende Leistung der Goethe-Zeit zu bezeichnen ist. Der ,,gemalte französische Faust" übertrifft alle im Verlauf des 19. Jahrhunderts ent¬standenen Versuche. Mit den in ihrer Art völlig anderen Beiträgen unseres Jahrhunderts kann sich Delacroix noch immer messen.
Ein Künstler scheint nun dem Wesen Fausts gerecht zu werden; Delacroix verleiht dem um Erkenntnis ringenden Gelehrten Ausdruck (Abb. 12). Für andere Szenen gelingt ihm nicht einfach das Abbild des Vorgangs, sondern er macht das Unheimliche des Augenblicks (Abb. 13) und das Dämonische der Figur Mephistos sichtbarer.
Delacroix setzt überhaupt zu einer Ausdeutung der Dichtung an. Goethe bemerkt 1827 in den zwei zugesandten Probedrucken das ,,Ungestüm seiner Konzeptionen".
Aber schon im Eckermann-Gespräch vom 29. November 1826 heißt es, ,,dass Herr Delacroix meine eigene Vorstellung bei Szenen übertroffen hat, die ich selber gemacht habe...". Delacroix findet in Weimar fast ungeteilte Zustimmung. Die innere Spannung der Szenen, ihre realistische Auffassung und die Beleuchtung des Hintergründigen führte zur Hochschätzung Delacroix` .
Die Verleger der Dichtungen Goethes, die nach seinem Tod die Werke in ununterbroche-ner Kette herausgeben, glauben auf Illustrationen nicht verzichten zu können. Aus dieser Gesinnung heraus sind bereits die Blätter Gustav Nehrlichs im Jahre 1831 entstanden, und zwar unter dem Einfluss Retzschs und der Umrisstechnik.
Etwas später beweisen ein deutscher Künstler, Gustav Schlick, und ein franzö¬sischer, Tony Johannot, ebenfalls künstlerisches Talent. Die Arbeiten des einen setzt man in die Jahre 1847-50, die des anderen sind 1847 veröffentlicht worden. Schlicks Zeichnungen imponieren in ihrer Unaufdringlichkeit und einfachen Schilderung; und in ihrer Aussage dem vom Delacroix vergleichbar.
Anders Johannots Bilder; sie leben von Gegensätzen, die der Künstler gekonnt zum Ausdruck bringt, und vom Dämo¬nischen (Abb. 14).
Für diese Jahrzehnte haben ich nur die Illustrierung von ,,Faust I" verfolgt. Seit dem Erscheinen des zweiten Teiles wird die dem Künstler gestellte Aufgabe umfassender. Die ersten Versuche, dem zweiten ,,Faust" gerecht zu werden, gehen von bereits genann¬ten Künstlern aus. Retzsch legt 1836 die zweite Folge vor (Abb. 15) und Kaulbach liefert mit der ursprünglichen ,,Goethe-Gallerie" von 1841 ein Bild zu ,,Laboratorium" (Abb. 16). Etwa gleichzeitig entsteht mit der Ausmalung des Goethe-Zimmers im Weimarer Schloss, die im Auftrage der Großherzogin Maria Pawlowna geschieht, ein großflächiges Fresko von Bernhard von Neher (1806-86) (Abb. 17). Diese für die damalige Zeit ausgezeichnete Leistung monumentaler Malerei verbindet historisierende Tendenz mit dekorativem Aufbau zu einer Zusammenschau der Dichtung.
Der Verpflichtung, nunmehr beide Teile des ,,Faust\" bildkünstlerisch zu erfassen, ver¬sucht Engelbert Seibertz (1813-1905) gerecht zu werden. Der Künstler steht an der Schwelle zur zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts. Diese Epoche erreicht auf dem Gebiet der Kunst einen Tiefstand, von dem auch die Faust-Illustration berührt wird. Seibertz` Arbeiten zum ersten Teil sind für uns kaum mehr erträglich, obwohl er nicht unwesentlich zur Fixierung der Mephisto-Figur beigetragen hat. In den Stichen und Holzschnitten die um 1850 entstehen, erkennt man zwar ein selbständiges Gestalten und trotzdem eine Nähe zur Dichtung, ebenso das Entwerfen bedeutender Menschen, aber auch einen Zug der Überhebung mit dem Vordringen ,,faustisch-deutscher\" Elemente. Nur die Bilder, die mit klassizistischer Staffage ausgestattet sind, können noch als akzeptabel gelten. Deshalb habe ich vorzüglich solche Abbildungen ausgewählt, die den antiken Bezügen der Dich¬tung folgen (Abb. 18). Allerdings weist die Anlehnung an gotische Stilformen auf ein seltsames Verquicken von romantisierenden und klassizistischen Zügen hin. Als ein Positivum bestätigt sich wiederum das Vorarbeiten der Bildenden Kunst, indem die Illustration anregend wirkt für die jetzt einsetzenden ,,Faust II"-Aufführungen.
Für die Illustrationskunst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nennen ich vier Namen: Alexander Liezen Mayer (1839-98), Adolf Schmitz (1825-94), August von Kreling (1819-76) und Ernst Juhus Hähnel (1811-91) . Diese Künstler gelten zu ihrer Zeit als unbedingte Meister; ihre Arbeiten finden eine weite Verbreitung im In- und Ausland, deren Ruf sogar ins 20. Jahrhundert reichte. Die von mir berücksichtigten Motive sind teils gerade noch anzuerkennen, teils reichen sie an die Grenze des Mög¬lichen.
Wenn Kreling 1874 den trockenen Schleicher Wagner porträtiert (Abb. 19), trifft er - noch dazu im damaligen Kostüm - seine Zeit und Umwelt. Wie Schmitz und Liezen Mayer verwendet Kreling albernen Prunk und hohle Posen, die die gesellschaftlich aufgeblasene Situation und die Fragwürdigkeit des Kaiserreiches enthüllen. Mit bescheideneren Mitteln, aber dennoch idealisierend, gestaltet der Dresdener Bildhauer neoklassizistische Figuren (um 1860); er schwankt zwischen mittelalterlicher, klassizistischer und zeitgenössischer Manier.
Die Faust-Illustrationen seit den 60er Jahren sind auf ,,Innigkeit", ,,nationalen Geist" und vornehmlich auf ein kleinbürgerliches Milieu abgestimmt. In dem Moment, wenn man sich an die ähnliche Darbietung auf der Bühne erinnert, empfindet man die begründete Bedenklichkeit dieser Ausdrucksform.
Die impressionistischen und expressionistischen Richtungen zu Anfang unseres Jahrhunderts entdecken den ,,Faust\" als thematischen Vor¬wurf. Der Symbolwert der Gestalten wird erkannt und regt zu beachtlichen Schöpfungen an. Wesen und Sinn des Geschehens werden nicht mehr bildlich nacherzählt, sondern von einer höheren Einsicht her erfasst. Die buchkünstlerischen Absichten, die zugleich von den Pressendrucken ausgehen, stellen größere Anforderungen an den Künstler.
Vergleichbare künstlerische Aussagen können man für die folgenden zwei Jahrzehnte in Deutschland nicht registrieren. Erst nach dem zweiten Weltkrieg findet die deutsche Faust-Illustration eine solche Belebung, dass sie hier beachtet werden kann.
Inzwischen treten in Amerika Kent (1941) und in Frankreich Sdy-Legrand (1942) hervor. In fast raffinierter Weise nutzt Kent die Möglichkeiten des Holzschnitts bis zur letzten Konsequenz. Die zweiseitige Buchillustration verhilft ihm dazu, den Doppelcharakter einer Szene zu enthüllen (Abb. 20).
Das Elend der Konzentrationslager, die Grausamkeit des Krieges und der Terror des Faschismus haben dazu aufgerufen, den faustischen Drang nach Erkenntnis in befreiende Tat münden zu lassen. Mir scheint daher die Faust-Illustration seit 1945 vertiefter, gereifter zu sein. Es existieren Arbeiten Max Beckmanns (1943/44), Rudolph Schröders (1948), Gontscharows (1953), Max Schwimmers (1954/55), Fritz Cremers (1956/59), Otto Baumbergers (1956/59), Vanhammes (1957) und Hegenbarths (1961).
Wenn man Beckmanns Zeichnungen den Faust-Illustrationen seit 1945 zuweist, so stimmt das nur für die von Willi Seidel geschnittenen Druckstöcke. In der spannungsgeladenen, manchmal auch beklemmenden Aus¬drucksweise lebt das Schicksal des Flüchtenden und Gehetzten, denn zur Zeit der Ent¬stehung verbirgt sich Beckmann in Antwerpen in der Emigration vor dem Zugriff der Faschisten. Wiederum wendet sich ein Illustrator vornehmlich dem zwar nicht mehr ver¬nachlässigten, aber noch keineswegs voll erfassten zweiten Teil des ,,Faust" zu.
Der Künstler skizziert die Szene zunächst sehr realistisch, wenn er den Gestalten auch oftmals ein zeitgenössisch-modernes Gewand leiht. In den gewählten Motiven versucht er darüber hinaus ein Allgemeines, eine urmenschliche Situation anzulegen. Dennoch weicht er nie¬mals in mystische, dämonische oder barbarische Bezirke aus (Abb. 21).
Cremer bildet hier einen schaffen Kontrast. Die Bildvisionen seiner ,,Walpur¬gisnacht" setzen sich mit dem Barbarischen der Brockenwelt auseinander, die zugleich Verwandlung der grauenhaften jüngsten Vergangenheit einschließen (Abb. 22). Die Anwendung des Schrecklichen, Häßlichen und Obszönen hat hier seine volle Berechtigung.
Baumbergers "Kompositionen" erscheinen 1966, sie erhalten ausdeutenden und symbolisierenden Charakter, während die Entwürfe der 20er Jahre eher Rahmen als Bild gezeigt haben. Die dreifache Stufung in der Szene vom höchsten Augenblick - Lemuren, Faust, Mephisto - gilt als höchst eindrucksvoll (Abb. 23).
Der Maler Bert Heller, der der Gegenwart Wesentliches zu sagen hat, ist mir als Illustrator einer ,,Faust\"-Ausgabe begegnet. Er leistet Bedeutendes, mitunter Problematisches, wenn er mit der Strichzeichung das dichterische Wort zu erfassen sucht.
Heller hat unzweifelhaft mit dem Bilde des sinnenden Faust einen bleibenden Beitrag zur Faust-Illustration geliefert, so sagen es zumindest übereinstimmend die Kritiker unserer Zeit. Man begreift diesen Faust als eine unseren Tagen gemäße Deutung der Gestalt Goethes, wie sie uns auch im zweiten Teil der Dichtung entgegentritt (Abb. 24).
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