Die Entfaltung des bürgerlichen Trauerspiels in den 50er und 60er Jahren ist auch von Bemühungen um die theoretische Rechtfertigung begleitet. Die Theorie des bürgerlichen Trauerspiels ist oft nicht trennbar von der Theorie des Trauerspiels überhaupt. Obwohl Abhandlungen häufig logisch unklar und gegensätzlich sind, weisen alle Theorien einige Gemeinsamkeiten auf: Das bürgerliche Trauerspiel ist der heroischen Tragödie überlegen, weil es größeren Nutzen stiftet. Damit ist vor allem sittliche Besserung gemeint. Erzielt wird sie nicht durch die Einsicht des Zuschauers oder die Bewunderung standhafter Übermenschen, sondern durch die Wirkung auf das Gemüt, d.h. durch Rührung. Angesprochen wird vor allem die Fähigkeit, Mitleid zu fühlen. Die moralisch bessernde Wirkung ist daher die Erziehung zu einer optimalen Mitleidsfähigkeit.
Dies ist am leichtesten zu erreichen, wenn die dargestellte Welt möglichst wirklichkeitsgetreu ist. Der Zuseher nimmt dann mehr Anteil, weil das Unglück auch selbst erleben könnte. Dadurch kann er sich mit den Schauspielern identifizieren und bedauert in den unglücklichen Personen eigentlich sich selbst.
Die dargestellten Privatpersonen sollen einen moralischen Durchschnitt darstellen und keine Extreme sein. Auch wenn eine Person gut ist, soll sie keine kalte, intellektuelle Bewunderung hervorrufen. Die Personen befinden sich in Gemeinschaften, die auf seelischen Bindungen beruhen und treten als Vater, Mutter, Tochter oder Freund auf. Selbst hochgestellte Personen können mitspielen, wenn sie diese Voraussetzungen erfüllen, z.B. Ernst Karl Ludwig Ysenburg von Buris Trauerspiel über die letzten Tage von König Ludwig XVI von Frankreich (1793).
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