Die Form der Ich-Erzählung bewirkt beim Leser den Eindruck, daß der Autor über Selbsterlebtes berichtet. Die Geschichte erhält den Charakter eines authentischen Berichtes, sie erhebt den Anspruch, wahr zu sein. Im vorletzten Satz des fünften Buches schreibt der Ich-Erzähler: ... begab mich derhalben in eine andere Wildnus und fienge an mein End darin verharren werde, stehet dahin. - Der Wechsel von der Vergangenheit zur Zukunft kann nur bedeuten, daß des bisher Erzählte in der Einsiedelei verfaßt wurde. Dem steht der Bericht des holländischen Schiffskapitäns gegenüber, daß das Buch von einem hochteutschen Mann auf der Insel wegen Papiermangels auf Palmblätter geschrieben worden sei. Und im "Beschluß" heißt es, Verfasser sei ein gewisser Samuel Greifnson vom Hirschfeld, der die ersten fünf Bücher selbst in Druck gegeben habe, während Grimmelshausen Herausgeber der Continuatio sei. Mit diesen Widersprüchen enthüllt Grimmelshausen bewußt die Ich-Erzählung als Fiktion. In Verlauf des Romans verändert sich wiederholt der Abstand zwischen dem erzählenden und dem erzählten Ich, zwischen dem Ich des Autors und dem Ich des Erzählers. Damit werden die verschiedenen Entwicklungsphasen des Ich miteinander einer Lust am sündhaften Detail beschrieben, die fast keine Distanzierung des Erzählers mehr erkennen lassen. So stellt er seine "Tüchtigkeit" als Soester Jäger, seine Überfälle und Raubzüge mit unverkennbarem Stolz dar. Den "Simplicissimus" als Bildungs- oder Entwicklungsroman zu bezeichnen, hieße Maßstäbe der Goethezeit in das 17. Jahrhundert zu übertragen.
Die geistige Verfassung des Knaben Simplex (lat. einfach, natürlich, ehrlich, arglos, offen, bieder, beschränkt. Steigerungsformen: Simplicius, Simplicissimus) wurde mit dem aristotellischen Vergleich einer "tabula rasa" gekennzeichnet. Nur der Gestalt nach ist er ein Mensch, ansonsten eine "Bestia". Als er das erste Mal bei dem Einsiedler das Word Kirche hört, versteht er Kirschen. Auf die totale geistige Unbildung folgt eine Phase gläubiger Einfalt. Der Einsiedler lehrt ihn, fleißig zu beten und zu arbeiten, und bringt ihm einige Grundtatsachen des Glaubens bei. Dabei bleibt Simplex die völlige Unkenntnis der äußeren Welt erhalten. Als er in die Welt geworfen wurde, konnte er sie nur "seltsam" finden, vermochte sich aber nicht darin zurechtzufinden. Das komisch wirkende Nicht-Begreifen bringt ihn in die größten Schwierigkeiten. Durchdrungen von der Verbindlichkeit der religiösen Gebote, versucht er immer wieder, die Welt zu verändern und zu verbessern, und wurde deshalb als närrisch angesehen: Wann ich nun so etwas höret, sahe und beredet, und wie meine Gewohnheit war, mit der HI. Schrift hervor wischte, oder sonst treuhertzig abmahnete, so hielten mich die Leute vor einen Narren.
Mit der Periode des Jägers von Soest beginnt Simplicius´Abenteuerleben. Seine Unternehmungen sind vom Glück begleitet. Es beginnt in Leben voller Vergnügen, und er führt das Leben eines Mannes von Welt. Doch seine Erfolge sind nie von Dauer, und er vergleicht die Güter, die er gewonnen hatte, mit dem Schatz eines Alchimisten, der sich in Nichts auflöst, bevor man sich versieht.
Eine seiner negativen Eigenschaften ist die Eitelkeit, mit der er sein Aussehen wohlgefällig zur Kenntnis nimmt, sich neu einkleidet und ein Wappen zulegt, um als Adliger auftreten zu können.
Bemerkenswert ist der abrupte Wandel vom närrischen Einfaltspinsel zum gewandten Weltmann, der gleichsam über Nacht und ohne erkennbare Entwicklungsstufen verläuft.
Die nächste totale Verwandlung vollzieht sich auf der Heimreise von Paris nach Deutschland, als er unterwegs an den Blattern erkrankt und aus einem "Beau Alman" ein "grindiger Geduck" wird. Auch in dieser Veränderung des äußeren Erscheinugsbildes kommt die Unbeständigkeit irdischen Glücks zum Ausdruck.
Simplicius´ Leben ist eine unaufhörliche Wanderschaft, sie entspricht seiner inneren Ziel- und Haltlosigkeit und entspringt der Auffssung, daß jedes Dasein in seinem Wesen Bewegung und Wandel sei.
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