Die Kurzgeschichte "Eis", geschrieben von Helga M. Novak, handelt von der zwischenmenschlichen Isolation, die sich insbesondere in der Gleichgültigkeit und fehlenden Aufmerksamkeit unter den Menschen widerspiegelt.
Die Kurzgeschichte ist in Prosa verfasst und hat insgesamt 39 Zeilen. Die Sprache ist durchgehend einfach strukturiert und im Allgemeinen sehr schlicht gehalten. Ein Beleg hierfür sind die knappen Sätze, die schon in der ersten Zeile auffallen, wie z.B. " In einer Hand trägt er ein Eis. Er lutscht. Das Eis schmilzt."
Die Satzanfänge wiederholen sich sehr häufig monoton in der Reihenfolge "Der junge Mann.", "Der Herr".
Bei der Erzählform handelt es sich um die so genannte allwissende Form, sodass dem Leser eine objektive Betrachtung des Geschehens und des gegenseitigen Umgangs der beiden Figuren möglich ist.
Ein junger Mann, der nicht bei Namen genannt wird, isst Speiseeis und läuft währenddessen durch eine Grünanlage. Es ist eine alltägliche Situation. Nach einer Weile begegnet er einem älteren Mann mit dem er sich unterhält. Sein Name bleibt ebenso verborgen; stattdessen wird er kontinuierlich mit "der Herr" tituliert. Dies impliziert eine Anonymität, einen Persönlichkeitsentzug, sodass der Leser noch keinen Bezug bzw. Verbundenheit mit der einen oder anderen Person aufbauen kann.
Die Unterhaltung selbst beginnt für die bisher alltägliche Situation sehr ungewohnt. Nachdem der junge Mann sein Eis fallen lässt fragt er nach der Reaktion des "Herrn". Der alte Herr wundert sich über den Gesprächsauftakt eines völlig Fremden, aber der junge Fremde bleibt ihm gleichgültig. Diese Gleichgültigkeit sieht man am Stil seiner Sprache: Die Sätze sind unvollständig und äußerst kurz:"Der Herr sagt erstaunt, ich? Von Ihnen? Gar nichts." (Zeile 7)
Der alte Herr hat also kein Interesse sich mit dem Jungen zu unterhalten.
Der Junge provoziert jedoch durch die Frage: ". mir ist doch eben das Eis runtergefallen, haben Sie da nicht gedacht, so ein Trottel?" (Zeile 9-10) und lässt das Gespräch weiterlaufen.
Selbst nachdem der alte Mann ihn beschwichtigt und beteuert dies nicht gedacht zu haben (vgl. Z. 10-11), missversteht ihn der Junge Mann und löst eine weitere Provokation aus. "Sie denken wohl, ich kann mir kein zweites Eis kaufen. Sie halten mich für einen Habenichts." (Z.12-13) zeigt, dass es nicht die finanzielle Lage ist, die ihn bedrückt. Er bildet sich ein, dass der alte Mann ihn verurteilt und gibt sich nicht zufrieden. Er versucht sich zu verteidigen und zu rechtfertigen und erreicht damit genau das Gegenteil, nämlich Verständnislosigkeit.
Der alte Herr kann den Gefühlsausbruch des Jungen nicht nachvollziehen und versucht es auch nicht weiter. Der Junge interessiert ihn nicht und dies zeigt er durch eine Geste der Distanzierung, als er "die Zeitung wieder auseinander" faltet (Z.16) und sich wieder um seine eigenen Angelegenheiten kümmert. Indem er sagt, dass der Junge tun soll, was er wolle, versucht er der von ihm empfundenen "Belästigung" zu entkommen (vgl. Z. 12-16). Jedoch wird der Herr den Jungen nicht los, macht ihn mit diesem Satz sogar nervöser und versucht die Konversation aufrecht zu erhalten. Der Satz "Was denken Sie jetzt von mir?" wiederholt sich hier (Zeile 6, 22).
Ähnliche, gleichbedeutende Fragen ziehen sich durch das ganze Gespräch, bis zum Ende der Kurzgeschichte. Sein Drängen nach einer "fairen Beurteilung" seiner Person lässt darauf schließen, dass er den Wunsch hat, dass man sich mit ihm beschäftigt. Er erregt Aufsehen und inszeniert sich selbst, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die er dem Anschein nach nicht in seinem Umfeld bekommt.
Die lang ersehnte Antwort des alten Herrn "Ihre Mutter hätte Sie öfter verhauen sollen. Das denke ich jetzt von Ihnen."(Z. 24-25) hat den Punkt getroffen, der den jungen Mann endlich zufrieden stellt. Dieses Thema wollte er schon längst ansprechen. Er hat den dringenden Wunsch, Themen, die ihn sehr beschäftigen, anderen, mitfühlenden Menschen mitzuteilen. Eines davon ist die ambivalente Beziehung zu seiner Mutter. Wegen der fehlenden zwischenmenschlichen Beziehung und der Gleichgültigkeit und Unverständnisses zwischen den Menschen bleibt er mit seinen Gedanken, Gefühlen und Meinungen allein. Die Gleichgültigkeit spiegelt sich ebenso im rhetorischen Stil der Autorin wieder: Formalitäten, wie Anführungszeichen beim Dialog, sind nicht vorhanden. Das, was eigentlich der Korrektheit halber da sein sollte, wird vernachlässigt.
Jedoch muss angemerkt werden, dass sein provokatives Verhalten selbst dazu beiträgt, zurückgewiesen zu werden.
Das Gespräch zum alten Herrn ähnelt seiner Erzählung von einem Gespräch zu seiner Mutter: das Muster der Provokation (mithin der Verwendung rassistischer Art: "Neger") und Unverständnisses der, im Gegensatz zum alten Herrn, fürsorglichen, liebenden, und mitfühlenden Mutter wiederholt sich (vgl.: "darauf sie". "dann ich" in Z. 29-36).
Als die gutmütige Mutter nicht mehr auf diese Provokationen reagiert, ärgert er sich und hat "ihr was in den Tee getan"(Z. 39). Es bleibt offen, was es ist, offensichtlich ist jedoch, dass es nichts Gutes zu bedeuten hat. Es zeigt, wie stark eine Aggression und Provokation gehen kann.
Der Titel "Eis" symbolisiert die kalte, anonyme und gleichgültige Beziehung unter den Menschen. Das (Speise)Eis, das der Junge Mensch hastig lutscht, verbildlicht, dass er diese Barriere Eis, versucht zum Schmelzen zum bringen. Sein eigenes Verhalten und das anderer Menschen lassen dies jedoch nicht zu. Es fällt ihm herunter, was seinen vergeblichen Versuch darstellt.
Da aber Eis im wörtlichen Sinne gebrochen werden kann, vermittelt die Autorin einen Funken Hoffnung und fordert in diesem Sinne zu mehr Aufmerksamkeit auf.
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