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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Der besuch der alten dame --


1. Drama
2. Liebe

( eine tragische Komödie)
Dürrenmatt hätte diese \"Komödie\" nie geschrieben, wäre ihm die Bühnenidee dazu nicht eingefallen. Und wie von selbst verwandelte sich im Weiterdenken das Bergdorf in Güllen und Walt Lotcher in Claire Zachanassian.
Claire Zachanassian, geborene Klara Wäscher, in ihrer Jugend arm, aber hübsch, verliebt, geschwängert und verstoßen, zur Hure heruntergekommen, dann durch mehrere Heiraten zurück, in die abgewirtschaftete Kleinstadt Güllen. An den Besuch der alten Dame werden die höchsten Erwartungen geknüpft, besonders von ihrem ehemaligen Geliebten, Verführer und Verräter Ill. Aber die Dame ist gekommen, um der Stadt Güllen eine Milliarde zu stiften, zur Ankurbelung der Konjunktur, wenn sie ihr den ehemaligen meineidigen Verräter Ill tot ausliefert. Den Sarg hat sie gleich mitgebracht. Auf Capri ist für ihre Jugendliebe schon ein Mausoleum errichtet. Sie will Rache, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung. Die Güllner sind empört und kein bißchen schuldbewußt. Alle hatten gewußt, wer der Vater von Klaras Kind war. . . - zur Handlung der Vorgeschichte: Man schreibt das Jahr 1910. Die junge Klara bekommt ein uneheliches Kind. Als Vater benennt sie ihren Geliebten Alfred Ill. Dieser bestreitet die Vaterschaft, weil Klara angeblich auch mit anderen Männern geschlafen hätte. Mit Hilfe von ihm bestochenen Zeugen Jakob Hühnlein und Ludwig Sparr gelingt es, durch deren falsche Aussagen den von Klara bestrittenen Mehrverkehr vor Gericht glaubhaft zu machen. Das Kind stirbt. Klara Wäscher wird Prostituierte in einem Hamburger Freudenhaus. Alfred Ill konnte die begehrte Kaufmannstochter Mathilde Blumhard heiraten.
Im Bordell lernt Klara den Milliadär Zachanassian kennen, der sie heiratet. In den Besitz eines Riesenvermögens gelangt, nimmt die nunmehrige Claire Zachanassian den Oberrichter, der einst den Vaterschaftsprozeß geleitet hat, als Butler in ihre Dienste(Bobby). Die beiden meineidigen Zeugen läßt sie in der ganzen Welt suchen und zu sich bringen, den einen aus Kanada, den anderen aus Australien. Sie läßt sie blenden und kastrieren(Koby und Loby). Sie sorgt dafür, daß der Ort, an dem ihr soviel Unrecht widerfahren ist, der wirtschaftlichen Auszehrung verfällt, indem sie Güllens prosperierende Unternehmungen aufkaufen und stillegen läßt. Was nun noch aussteht, 45 Jahre danach, ist die Rache an dem eigentlichen Schuldigen. . .
Die sittliche Empörung der Güllener über ihr Angebot macht Frau Zachanassian nicht irre. Sie kann warten. Der Gasthof ist zwar verkommen, aber sie nistet sich ein, läßt sich scheiden von ihrem siebenten Gatten Moby und heiratet aufs neue, einen Nobelpreisträger, genannt Hoby. Ihr wird die Zeit nicht lang. Sie hat eine Maschinerie in Gang gesetz und sieht vom Balkon des Hotels dem Lauf der Dinge geruhsam zu. Und die Güllener, zu ihren Füßen, verhalten sich, als hätten sie das Geld schon. Leben üppig, kleiden sich neu ein, bauen, alles auf Pump. Selbst Ill modernisiert seinen Laden. Er hofft, wie sie alle, auf Vergessen und Güte. Nach und nach erkennen die Güllener den wahren Charakter der Dame auf dem Balkon - und denken nun an Abrechnung und Mord, Mord an Ill. Ill gerät in Panik.
Alles hat seinen Preis. Das weiß die reichste Frau der Welt. Fünfhundert Millionen für die Stadt, fünfhundert Millionen auf die Bürger verteilt. Der Lehrer appelliert an Claires Menschlichkeit. Ihre Antwort: \"Die Menschlichkeit ist für die Börse der Millionäre geschaffen, mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell. Wer nicht blechen kann, muß hinhalten, will er mittanzen. Ihr wollt mittanzen. Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord, Konjunktur für eine Leiche.\"
Durch das ganze Stück geht der Ruf nach Menschlichkeit, nach Gerechtigkeit. Niemand in Güllen spricht von Geld, alle sprechen von Gerechtigkeit. Die Entlarvung des verlogenen Begriffs Gerechtigkeit ist der Inhalt dieser tragischen Komödie. Gerechtigkeit verlangt der Bürgermeister, verlangt sogar der Pfarrer, verlangen nun alle von Ill. Ill, so sein Seelensorger, solle nicht so sündhaft am Leben hängen, sondern mehr an die Ewigkeit denken, sich auf das ewige Leben vorbereiten. Oder aber, besser noch, besinnt sich der Geistliche, er solle fliehen, auf daß seine Güllener Schäfchen nicht in Versuchung gerieten. Die Sache mit der Zachanassian und ihrer Milliarde werde sich schon regeln lassen, sei Ill erst einmal weg. Da irrt sich der fromme Mann. Die Stadt überwacht Ill, verhindert seine Flucht. Schließlich hat er sich ja wie ein Schuft zu Klara benommen! Daß muß gesühnt werden. Der Bürgermeister bringt Ill ein geladenes Gewehr und legt ihm nahe, sich selbst zu richten, um den Güllenern die Schmach zu ersparen, das wäre Ills Pflicht, nach all seinen Jugendsünden und Verbrechen, die nun die Stadt befleckten. Güllen ( kommt von dem Wort Gülle = flüssiger Stalldünger, der sich aus Kot und Harn zusammensetzt) sei Kulturboden, habe Tradition. Goethe habe hier einmal übernachtet und Brahms ein Streichquartett komponiert. Das verpflichte! Ill lehnt ab. Das ist seine Rache: Er will seine Mitbürger zu Mördern machen. Schließlich soll eine Gemeindeversammlung über Ills Schicksal entscheiden, sinnigerweise im Theatersaal des Gasthofs zum Goldenen Apostel, in dem die Zachanassian logiert. Der Bürgermeister lädt auch Ill ein und fragt, ob er sich dem Spruch der Allgemeinheit beugen werde. Ill, zermürbt, hat seine aussichtslose Lage erkannt, bekennt seine Schuld, sagt ja. Der Bürgermeister sagt etwas zu deutlich: \"Wer reinen Herzens die Gerechtigkeit verwirklichen will, erhebe die Hand.\" Alle außer Ill heben die Hand. Nun hat keiner dem anderen mehr etwas vorzuwerfen. Sie alle sind Mörder. Im Saal werden die Lichter gelöscht. Als es wieder hell wird, liegt Ill tot am Boden. Ein Turner mit kraftvollen Händen hat ihn erdrosselt. Die verabredete Arztdiagnose: Herzschlag. Frau Zachanassian überreicht den Scheck und zieht mit ihrem Gefolge und Ill im Sarg von dannen, nach Capri.
In dieser Komödie sind drei Handlungsstränge miteinander verflochten. Claire hat nie aufgehört, ihren ersten Freund, Alfred Ill, zu lieben. Erst im Alter kann sie seiner habhaft werden. Das ist eine Liebesgeschichte. - Vor 45 Jahren sind zwei Meineide geschworen worden, und ein Richter bestochen worden. Dies ist der kriminalistische Hintergrund. - Drittens ist der Besuch eine Gesellschaftsstudie bitterster Art mit vielen Typen, schrägen, oberflächlichen und faulen. - Zur Wirkung des Stückes trägt nicht wenig die objektive Charakterisierung der Zachanassian bei. Keine Person ist karikiert.
Die Sprache ist von raffinierter Einfachheit, gestochen scharf und transparent. Das Wort ist doppeldeutig. Es wird das eine gesprochen und etwas anderes gemeint, gedacht, beabsichtigt, meist das Gegenteil. Nur die Zachanassian spricht aus, was sie denkt und will. Sie kann es sich leisten. Die Güllener lügen.

Personen:
*.) Claire Zachanassian geb. Klara Wäscher
\"Klara\" leitet sich her vom Lateinischen: die Helle, Berühmte. Ehe die vormalige Klara Wäscher leibhaftig ins Spiel tritt, bilden sich denn auch Konturen der Milde und Güte ab. Die Spital- und Kirchenstifterin wird gepriesen. Ihre Wohltätigkeit gibt Güllen Zukunftshoffnungen, wenn man nur zartfühlend, klug und psychologisch richtig mit der Heimkehrenden umginge.
Wenn sie dann in der Handlung erscheint, widerspricht die Wirklichtkeit der Güllener Selsttäuschung im entscheidenen Punkt: Diese Kläri kennt keine Sentimentalitäten, wie sie Jugenderinnerungen oder Heimatliebe gemeinhin heraufzureizen pflegen. Das Bildnis, was man sich von ihr gemacht hat, ist falsch. Und es wird dadurch keineswegs richtiger, daß durchaus einige der früheren Wesensmerkmale auch bei des Zweiundsechzigjährigen wiedererkannt werden können: ihr rotes Haar, eine seltsame Grazie, ja sogar jener Charakterzug provokanter Ungeniertheit, den man in der feierlichen Begrüßungsrede zu unbestechlicher Gerechtigkeitsliebe hochzustilisieren trachtete. So nett sie sich selber alt und fett, bekennt sich uneitel zu ihrer Beinprothese und fegt des Bürgermeisters Lobhudeleien mit schonungslosen Selbstbekenntnissen vom Tisch.

*.) Alfred Ill
Der Krämer ist zu Beginn der Handlung ganz und gar Güllener Mitbürger. Er nimmt offensichtlich eine bevorzugte Stellung im Städtchen ein. Sein Wort gilt etwas, sein Rat ist gefragt, zumal in allem, was Klara Wäscher betrifft. Unversehens war Ill zum Hoffnungsträger ananciert, da die Milliardärin ihren Heimatbesuch avisiert hat.
Die schreckliche Wahrheit unbewußt vorwegnehmend, nennt er sich ihren schwarzen Panther und wird jählings auf die Realität zurückgeworfen: \"unsinn. Du bist fett geworden. Und grau und versoffen.\"
Kritiker werten die Ill-Gestalt von recht differenzierten Ansätzen her, ihr so Facetten-Reichtum und theatralisches Anziehungsvermögen bescheinigend, wie einige ausgewählte Belegstellen repräsentativ veranschaulichen mögen.
Friedrich Dürrenmatt belehrt nicht. Er stellt hin. Die Güllener sind, soweit Geld glücklich machen kann, glücklich, ohne üblen Nachgeschmack. Selbst Ills Witwe und Kinder leben auf.
Nach der Uraufführung war der längst vielgepriesene und vielgescholtene Autor aller materiellen Sorgen ledig. Merkwürdig, daß Dürrenmatt selbst das Stück nicht schätzt. Ihm ist der Welterfolg eher ein Beweis dafür, daß das Stück schlecht und flach ist. Seine Lieblingsstücke sind die erfolglosen Romulus, Frank V und Mitmacher.
Auf Dürrenmatt regnete es nun Ehrungen, Preise, Doktorhüte, Medaillen, Aufträge, Einladungen zu Vorträgen.
1957 bestellte der Filmproduzent Lazar Wechsler bei ihm eine Filmerzählung zum Thema Sexualverbrechen an Kindern. Das Thema war akut. Dürrenmatt schrieb ein Treatment, der Regisseur Ladislao Vajda das Drehbuch. Dürrenmatt war mit dem Produkt der Praesens-Film(Zürich) durchaus zufrieden, nicht aber mit dem Schluß seiner Geschichte. Aus dem Filmstoff es geschah am hellichten Tag wurde Das Versprechen.

 
 

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