Diederich Heßling ist sowohl eine historische als auch eine aktuelle Figur.
Da sich das Buch im Kern unter anderem mit den Charaktereigenschaften einer Person auseinandersetzt, die auf ihre Umwelt, sei es jetzt gesellschaftlich oder politisch gesehen, reagiert, ist das von Mann beschriebene Szenario auch auf heutige Gegebenheiten durchaus übertragbar.
Viele seiner beschriebenen Charakterzüge findet man, wenn auch in abgewandelter Form, bei vielen Menschen in der heutigen Zeit wieder.
Um dies zu verdeutlichen, hier einige Beispiele:
Ein Arbeitnehmer zum Beispiel ist sich bewusst, dass er, wenn er sich nicht mit seinem Arbeitgeber einlässt und nur seinen eigenen Willen durchsetzten möchte, nach kurzer Zeit auf Granit stößt und entlassen wird. Dies ist nicht das gewünschte Ergebnis. So ist es also unumgänglich, eine Kommunikationsbasis aufzubauen, in der man die Meinung des Anderen akzeptiert und so Kritik ausüben kann, aber auch einstecken muss. So ist ein Vorankommen gesichert. Wenn man hingegen das extrem unterwürfige Verhalten Diederichs auf diese Situation übertragen würde, würde der Arbeitnehmer höchstwahrscheinlich auch entlassen werden. Er würde sich mit seiner ständigen Akzeptanz oder "Verehrung" seines Arbeitsgebers zunächst bei seinen Kollegen unbeliebt machen und zudem würde es seinem Chef schon bald stören, weil er durch seinen Angestellten keine konstruktive Kritik bekommt, sondern nur jemanden hat, der ihm nach dem Mund redet.
Eine weitere Eigenschaft Diederichs findet man fast bei jedem Menschen: Den Willen, in der Gesellschaft höher zu kommen und so an mehr Ruhm, Macht oder Anerkennung zu gelangen. Man fühlt sich besser und stärker als zuvor. Nur ist dieser Wille nicht bei jedem Menschen so ausgeprägt wie bei Diederich.
Durch Intrigen oder Anwendung verschiedener Tricks ist es heutzutage genauso wie damals möglich, zu Ruhm, Geld oder Macht zu gelangen. Auch heute ist dieses Bedürfnis genauso stark oder vielleicht noch stärker vorhanden als damals. Beispiele dafür wären Steuerhinterziehung, Spendengeldaffären, Bestechungen und ähnliches.
Der Militärdienst hat in der Gesellschaft nicht mehr einen so großen Stellenwert, da er nicht mehr so präsent ist, sondern sich eher zurückhält. Ebenfalls wird der verweigerte oder nicht ausgeführte Militärdienst nicht als Schande oder als unverständlich abgebucht, sondern ist zur Gewohnheit geworden. Man wird nicht mehr an den fürs "Vaterland" bestrittenen Kämpfen oder ähnlichem gemessen. So ist die Huldigung des Militärs hierzulande nicht mehr zu finden, außer vielleicht in Randgruppen.
Ein weiteres Merkmal der Figur Diederich verglichen mit damals und heute wäre seine große Angst vor Frauen in der Jugend beziehungsweise im Laufe seines Erwachsenwerdens. Diese Angst kann man heute auch teilweise erkennen, vielleicht ist sie am Anfang bei jedem festzustellen. Nachdem eine Überwindung stattgefunden hat, wird die Angst, wie auch bei Diederich im späteren Leben, von selbst verschwinden.
Eine Veränderung passiert mit jedem, der mit einer Frau mehrere Monate zusammen lebt. Man gewöhnt sich aneinander und allmählich kommt der Alltag immer mehr zum Vorschein. Das Verhalten der beiden Partner zueinander verändert sich. Heute wird sich in Deutschland wohl kaum jemand so gegenüber seiner Frau verhalten wie Diederich es getan hat. Seine Frau hat zudem sein Verhalten gebilligt und wohl oder übel akzeptiert, was heute nicht bei einem Großteil der Frauen nicht mehr der Fall wäre. Vor 200 Jahren war es üblich, dass eine Frau größtenteils dazu da war, um sich um die Wohnung und um die Kinder zu kümmern. Diese drastische Form wird nun nicht mehr als Normalität gesehen, obwohl viele Männer immer noch ihre Frauen schlecht behandeln.
Diese verschiedenen Bemerkungen und Beispiele verdeutlichen, dass Diederich Heßling eine Figur ist, deren Charaktereigenschaften noch heute bei vielen Menschen zu beobachten sind; er ist eine aktuelle Figur. Es wird wohl kaum eine Person geben, die das gleiche Charakterprofil aufweist wie er; dafür hat sich die Welt und insbesondere Deutschland über die Jahre doch zu sehr verändert. Meiner Ansicht nach steckt wohl in jedem von uns ein Teil von Diederich Heßling, mal stärker, mal schwächer.
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