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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Georg büchner: dantons tod - interpretation - michael voges


1. Drama
2. Liebe

In der Krise des Germinal im Jahre II zeigt sich das Scheitern der Französischen Revolution als >soziale< Revolution im Sinne des Volkes. Robespierre und die jakobinischen Führer im Wohlfahrtsausschuß zielen auf ein Bündnis mit der Volksbewegung. Die durch den Krieg und die Konterrevolution im Innern noch verschärfte soziale Krise der Jahre 1793/94 setzt unübersehbar den Gegensatz von Arm und Reich auf die Tagesordnung der bürgerlichen Revolution. Dies erkennend, strebt die Revolutionsregierung eine politische Integration des Volkes in das jakobinische Modell einer bürgerlichen Revolution an. Die sozialen Maßnahmen des Wohlfahrtsausschusses (staatliche Eingriffe in die Wirtschaft) werden dagegen nur zögernd und halbherzig vorangetrieben. Das Bündnis zwischen dem mittleren Bürgertum, das von der Revolution politisch und ökonomisch profitiert hat, und der Sansculottenbewegung der Handwerker und kleinen Händler, der sich auch Gesellen und Lohnarbeiter anschließen, ist von vornherein brüchig. Die Jakobinerdiktatur scheitert nicht zuletzt an dem Klassenwiderspruch, der ihrer sozialen Basis eingelagert ist. Der Position der Mitte, die Robespierre gegenüber der bürgerlichen Rechten (Anhänger der entmachteten Gironde) und der extremen Linken (Enragés, Hébertisten) beansprucht, fehlt eine wirksame gesellschaftliche Verankerung. Robespierres spiritualistisch motivierter Tugendkult suspendiert die soziale Frage, statt sie zu lösen. Er leugnet die soziale Dimension der Terreur des Volkes, an deren Stelle die moralisch legitimierte Schreckensherrschaft des Staates treten soll. Der jakobinische >Despotismus der Freiheit< begibt sich zusehends einer breiten politischgesellschaftlichen Legitimation.Durch die Beseitigung der extremen Linken und der gemäßigten Fraktion um Danton (Indulgents) versuchen die Jakobiner um Robespierre diesen sozialen Widerspruch mit Gewalt abzuschaffen. Die jakobinische Diktatur der Mitte gerät noch stärker in die gesellschaftliche Isolation, die schließlich mit dem Sturz Robespierres am 9. Thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) ihre eigene Liquidierung zur Folge haben wird. Durch diese Ereignisse wird die Entmachtung der Volksbewegung, die bereits von der Revolutionsregierung vorbereitet wurde, zu Ende geführt. Dem Volk, dessen wiederholte Mobilisierung gegen die Feinde der Revolution innerhalb und außerhalb Frankreichs der Bourgeoisie zum Sieg verholfen hat, wird endgültig der Platz auf der Verliererseite der bürgerlichen Revolution angewiesen. Erst jetzt wird die Lösung der >sozialen Frage< in Angriff genommen: im Sinne des kapitalistischen Bürgertums.Büchners dramatische Autopsie der Französischen Revolution legt schonungslos die klassenbedingte Borniertheit der bürgerlichen Positionen frei. Sie demonstriert aber zugleich die Unfähigkeit des Volkes, die Rolle eines Subjekts im historischen Prozeß der Revolution zu übernehmen. Der politische Diskurs in Dantons Tod steht im Zeichen radikaler Ideologiekritik. Die irritierend perspektivische Darstellung des Volkes und der beiden bürgerlichen Fraktiosellschaftliche Isolation, die schließlich mit dem Sturz Robespierres am 9. Thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) ihre eigene Liquidierung zur Folge haben wird. Durch diese Ereignisse wird die Entmachtung der Volksbewegung, die bereits von der Revolutionsregierung vorbereitet wurde, zu Ende geführt. Dem Volk, dessen wiederholte Mobilisierung gegen die Feinde der Revolution innerhalb und außerhalb Frankreichs der Bourgeoisie zum Sieg verholfen hat, wird endgültig der Platz auf der Verliererseite der bürgerlichen Revolution angewiesen. Erst jetzt wird die Lösung der >sozialen Frage< in Angriff genommen: im Sinne des kapitalistischen Bürgertums.
Büchners dramatische Autopsie der Französischen Revolution legt schonungslos die klassenbedingte Borniertheit der bürgerlichen Positionen frei. Sie demonstriert aber zugleich die Unfähigkeit des Volkes, die Rolle eines Subjekts im historischen Prozeß der Revolution zu übernehmen. Der politische Diskurs in Dantons Tod steht im Zeichen radikaler Ideologiekritik. Die irritierend perspektivische Darstellung des Volkes und der beiden bürgerlichen Fraktioeine schon frühzeitig ausgeprägte Ablehnung des bürgerlichen Liberalismus. Sie überliefern zudem Büchners tiefe Verachtung für politische Theatralik, für jede pseudorevolutionäre Pose, die sich unkritisch glorifizierend auf das bürgerliche Heldenzeitalter der Französischen Revolution zurückbezieht. Aus kritischer Distanz wird ebenso das Junge Deutschland betrachtet, zu dem Büchner neben Karl Gutzkow ausdrücklich auch Heinrich Heine rechnet. Eine grundlegende Verkennung der gesellschaftlichen Verhältnisse führe dort zu einer Überschätzung der bürgerlichen Intelligenz und des literarischen Mediums, das auf die Bildung der gesellschaftlichen und religiösen Ideen Einfluß nehmen soll: »Die Gesellschaft mittelst der Idee, von der gebildeten Klasse aus reformiren? Unmöglich!«
Mit der Französischen Revolution von 1789 verfügten Büchners Zeitgenossen über ein historisch verbürgtes Modell politischen Handelns, in dessen Rahmen die eigenen politischen Positionen zugleich formuliert und legitimiert werden konnten. Während sich aber ein großer Teil der bürgerlichen Opposition im Vormärz um eine ideologisch motivierte Aktualisierung der historischen Programme der bürgerlichen Revolution bemühte, ging es Büchner im Gegenteil um eine konsequente Historisierung gegenwärtiger Probleme der politischen Praxis der sozialen Revolution. Der Rekurs auf die Geschichte ist somit politisch motiviert. Das ästhetisch verdichtete Modell der bürgerlichen Revolution bewirkt eine gesteigerte Reflexivität des politischen Bewußtseins, das seinen eigenen Standort im Prozeß der Kritik der bürgerlichen Programme und Positionen gewinnt. Wenn also Büchner nachträglich in das bereits abgeschlossene Manuskript von Dantons Tod eine Reihe von Heine Zitaten einfügte, die das Stück durchsichtig auf die zeitgenössische Kontroverse um >Sensualisten< und >Spiritualisten< beziehen, so geht dies keineswegs mit einer Aufhebung des strengen Perspektivismus im politischen Diskurs des Dramas einher. Vielmehr unterstreicht die Einbeziehung der BörneHeineDebatte, als ein kalkulierter Anachronismus neben anderen, gerade das Bemühen um eine objektivierende Historisierung aktueller politischer Auseinandersetzungen im fortschrittlichen bürgerlichen Lager. Das Ergebnis des »projet idéologique« (Th. M. Mayer) ist auch in diesem Fall negativ. Die historischen wie die gegenwärtigen Programme der bürgerlichen Opposition erweisen sich sämtlich als untauglich, die soziale Revolution des Volkes zu befördern. Auf der Ebene des politischen Diskurses verharrt das Stück in der radikalen Negation.Büchner fand in seiner Zeit keine revolutionäre Situation vor, die eine risikoreiche politische Tätigkeit auf Dauer hätte rechtfertigen können. Zudem hat die politische Reflexion in Dantons Tod den Entwurf eines revolutionären Handlungsmodells sicher erschwert. Gleichwohl bedeutet dies nicht notwendig Resignation, und es ist wohl nicht Koketterie, wenn Büchner im Mai 1835 an Gutzkow schreibt: »Mein Danton ist vorläufig ein seidenes Schnürchen und meine Muse ein verkleideter Samson.« Im ästhetischen Medium praktiziert Büchner revolutionäre Ideologiekritik: ein Jahrzehnt vor Marx werden zentrale Positionen der bürgerlichen Opposition einer materialistischen Kritik unterzogen.Das in Dantons Tod praktizierte Verfahren der dramatischen Ideologiekritik muß zugleich als zentrale Vermittlungsform eines ästhetischen Realismus gelten, der so direkt auf die politische Intention des Stücks verweist. An der Verwendung der Theatermetaphorik in Dantons Tod läßt sich die Genese dieses kritischen Realismus exemplarisch veranschaulichen: Der ästhetische Diskurs des Stücks ist fundiert in einem neuen Wirklichkeitsbegriff, der aus der ideologiekritischen Analyse einer umfassenden Theatralisierung der Politik gewonnen wird. Die Kritik der gesellschaftlichen Vorstellungen wird überführt in eine Fundamentalkritik der gesellschaftlichen Produktion von Wirklichkeit, wobei der kritische Realismus weit über die Ergebnisse des >Kunstgesprächs< (35 f.) hinausgeht. Zwar gelangen Danton und Camille zu einer ersten Thematisierung der fatalen Theatralisierung der Wirklichkeit, doch verbleiben ihre eigenen ästhetischen Konzepte vage, und auch die kunsttheoretische Reflexion in Lenz bewegt sich auf der Ebene eines vergleichsweise naiven Realismus, der die Mittelbarkeit der Kunst beharrlich unterschätzt. Die neue politischästhetisch fundierte Strategie des Realismus wird erst auf der Ebene der dramatischen Struktur eingelöst.
Als Geschichtsdrama kann Dantons Tod nur in einem spezifisch eingeschränkten Sinn gelten. Eine neue, eigenständige Deutung der Geschichte der Französischen Revolution ist eher die politische Prämisse als das Ergebnis des »dramatischen Versuchs«, der einen »Stoff der neueren Geschichte« behandelt. Vielmehr wird das politische Drama der Revolution in dem Maße zum Geschichtsdrama, wie Geschichte in ihm als eine transzendentale Bedingung politischen Handelns an Bedeutung gewinnt. Das historische Modell der bürgerlichen Revolution wird zum exemplarischen Vorwurf für die dramatische Reflexion der Grenzen und Möglichkeiten eines subjektiven Eingriffs in den geschichtlichen Prozeß - im Handlungsraum des Dramas wird der Spielraum historischer Subjekte vermessen. Das unvermeidliche Scheitern der sozialen Revolution und die unaufhebbaren Widersprüche des politischen Handelns lösen eine transzendental gerichtete geschichtliche Reflexion aus, die die vielfältige Bedingtheit menschlichen Handelns zum Gegenstand hat. Der berüchtigte >FatalismusBrief< vom März 1834 formuliert bereits umfassend den Problemhorizont der dramatischen Reflexion über Geschichte, die kaum zufällig in Danton als einem Opfer der Geschichte Gestalt gewinnt. Auch den historischen Diskurs in Dantons Tod läßt Büchner radikal negativ enden: Die Aporien geschichtlichen Handelns werden nicht aufgelöst. Die unbegriffene Geschichte, die das geschichtliche Handeln des Subjekts unabweislich mit dem Stigma des Absurden versieht, führt Danton zeitweise in das Extrem einer nihilistisch artikulierten Verzweiflung an der Welt.
Die Negativität des Dramas wird tendenziell durchbrochen in einer Sphäre, die als private und intime der geschichtlichen Sphäre politischen Handelns diametral gegenübersteht. Im Angesicht des Todes, dessen sinnhafte Aneignung im historischen Diskurs nicht gelingen mag, scheint mit den intimen, von zwischenmenschlicher Verständigung getragenen Beziehungen Dantons zu Julie und Camilles zu Lucile die Aufhebung von Entfremdung und Isolation möglich. Zu den zentralen Problemen einer Deutung von Dantons Tod zählt daher die Frage, ob die besonders im letzten Akt des Dramas stärker akzentuierte Privatsphäre als Ausdruck politischerRatlosigkeit und Resignation, als unverbindlicher Fluchtraum der privaten Existenz verstanden werden muß, oder ob die private Sphäre als bestimmte Negation kritisch auf den politischen Diskurs des Stücks bezogen bleibt.
Die Interpretation wird zunächst Aspekte des politischen (Abschnitt 1), des ästhetischen (Abschnitt 2) und des historischen Diskurses (Abschnitt 3) in Dantons Tod behandeln und sich abschliessend der Frage nach der Funktion der Privatsphäre (Abschnitt 4) zuwenden.

 
 

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