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Wie in all seinen Werken sind auch im Roman Gertrud Spuren seines Lebens zu finden, wie sein Kampf mit sich selbst und das Verarbeiten seiner Empfindungen in Texten. Unter anderem praktizierte er selbst Musik. Er liebte die Musik, in seiner Jugend war Chopin der Komponist, den Hesse am meisten mochte. Hesse sieht die Voraussetzungen zum Künstlertum in der Außenseiterrolle.
Hesse sowie Kuhn hatte um die 20 ein Tiefpunkt in ihrem Leben. Doch stand auch für beide früh fest Künstler zu werden, Hesse Dichter, Kuhn Musiker. Sowohl Hesse als auch Kuhns Eltern hätten sich gerne einen anderen Werdegang ihres Sohnes gewünscht. Hesse war ein Begabter Schüler im Lateinunterricht und hatte seinen Lehrer sehr gern. Er mochte dessen Sinn für Humor und seine Menschlichkeit. In Gertrud trifft Kuhn auf seinen ehemaligen Lateinlehrer Konrad Lohe und liebt es, sich mit ihm über "die wichtigen Fragen seines Lebens zu sprechen". Selbst über seinen Selbstmordversuch verkörpert in Kuhn schreibt er in diesem Roman, in dem Kuhn sich mit einem Revolver (genau wie bei Hesse) das Leben nehmen will. Beide Charaktere verbinden auch das Reisen, in denen sie sich Inspiration für deren Arbeit finden. Auch Religion und Glauben finden in diesem Roman einen gemeinsamen Standpunkt "...ich glaube nämlich wie Buddha, dass das Leben nichts wert ist" (Roman S.121).
Die Person Gertrud hat eine ganz besondere Bedeutung in Hesses Leben und somit auch in vielen seiner Werke "...er begegnete der großartigen Gertrud, der Heiligen-Herrin-Mutter, einer Frauengestallt, die immer wieder in Hesses Bücher auftaucht, und verliebt sich in Sie. Diese "Mutter" aller Künstler (in früheren Versionen von 1905/1906 war Gertrud selbst eine Malerin) verfällt jedoch ihrerseits Kuhns zweitem Ich, dem bewunderten, aber auch leidenschaftlich gewissenlosen Mouth..." (Hesse Biographie von Freedman S.181).
Gertrud erreicht dabei eine oft außergewöhnliche Höhe und erscheint doch, anders als die meisten Frauengestallten bei Hesse, manchmal wie eine reale Person, zumindest wie eine real mögliche. Mit ihrer zarten musikalischen Sensibilität und ihrer freundschaftlich-mütterlichen Rolle den Künstlern gegenüber verweist sie auf wesentliche Eigenschaften Maria Hesses, agiert andererseits aber auch als jenes Göttinen-Idol, jene unendliche Quelle der Inspiration, der wir in Hesses Büchern so häufig begegnen.
Hesse beschreibt in seinem Roman, dass der Künstler, der auf der Suche nach der Erfüllung ist, erst dann eintreten kann, wenn ein Teil seines Selbst verkrüppelt ist und der andere getötet worden ist von eigener Hand "...und die eigentliche Integration seines Ich geschieht am Ende durch Gertrud, ein Bild des stabilisierenden Mütterlichen und seiner sinnbildlichen Ergänzung ..." (Hesse Biographie von Freedman S.183).
"Ich habe mich im Laufe meiner Entwicklung den Problemen der Zeit nicht entzogen und nie, wie meine politischen Kritiker meinen, im elfenbeinernen Turme gelebt - aber das erste und brennendste meiner
Probleme war nie der Staat, die Gesellschaft oder die Kirche, sondern der einzelne Mensch, die Persönlichkeit, das einmalige, nicht normierte Individuum."
Hermann Hesse
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