Die Bezeichnung "lebendes Fossil" ist ein Widerspruch in sich. Der Ausdruck "Fossil" bezeichnet Reste vorzeitlicher Lebewesen und deren Lebensspuren, wobei unter Vorzeit die vor der geologischen Gegenwart (Holozän) gelegene Zeitspanne gemeint ist. Fossilien sind gewöhnlich als Versteinerungen oder Abdrücke überliefert und stellen Überreste von meist längst ausgestorbenen Lebewesen aus vergangenen erdgeschichtlichen Epochen dar. Es ist also ausgeschlossen, dass ein Fossil im wahrsten Sinn des Wortes noch lebt. Allerdings sind mehrere Fälle bekannt, in denen schon längst für ausgestorben gehaltene Lebewesen rezent in einem Rückzugslebensraum entdeckt worden sind. So sorgte zum Beispiel 1941 in China der Sensationsfund des Urweltmammutbaums Metasequoia für großes Aufsehen. Aus dem Tierreich machte 1938 die Entdeckung eines lebenden Quastenflossers (Latimeria) Schlagzeilen.
Eine einheitliche Definition des Begriffes "lebende Fossilien" gibt es nicht. Zahlreiche Beispiele werden zu den "lebenden Fossilien" gerechnet, die teilweise doch sehr unterschiedlich sein können.
Folgende Kriterien sind für die Kennzeichnung jedoch notwendig (THENIUS 2000: 18):
1) Reliktartige gegenwärtige räumliche Verbreitung, d.h. gegenüber der vorzeitlichen Verbreitung (fossile Verwandte einst weit verbreitet) sehr beschränkt.
2) Isolierte Stellung im System der rezenten Lebewesen.
3) Relativ hohes erdgeschichtliches Alter gegenüber den nächsten Verwandten.
4) Relativ langsame Evolutionsgeschwindigkeit im Vergleich zu verwandten Taxa.
5) Zahlreiche Merkmale mit konservativem, gegenüber den übrigen Vertretern der gegenwärtigen Fauna bzw. Flora altertümlichem Charakter.
Es ist verständlich, dass der Nachweis lebender Fossilien in der heutigen Flora bzw. Fauna auch eine entsprechende Fossildokumentation voraussetzt.
Alle hier genannte Eigenschaften müssen zutreffen, um von einem "lebenden Fossil" sprechen zu können. Es genügt nicht bereits eines dieser Merkmale zur Kennzeichnung. Zum Beispiel ist das geologische Alter der Gruppe allein nicht ausschlaggebend; zudem kann dieses zwischen wenigen und hunderten Millionen von Jahren schwanken.
Entscheidend ist das stammesgeschichtlich konservative Verhalten dieser Formen über eine längere Zeit hinweg. Durch eine geringe stammesgeschichtliche Entwicklung haben sie im Gegensatz zu ihren verwandten Formen, die rascher evoluierten, seit ihrer Entstehung vielfach einen sehr altertümlichen Bauplan bewahrt. Allerdings können neben stammesgeschichtlich primitiven Merkmalen auch zusätzlich erworbene, teils hochspezialisierte Eigenschaften auftreten, welche den ursprünglichen Charakter zu überdecken vermögen (Prinzip der Heterobathmie ).
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