Ab dem Jahre 1888 gab es einerseits die professionellen Fotografen mit Ateliereinrichtungen und großformatigen Plattenkameras und dann gab es unzählige \"Knipser\" mit Box-Kameras und Rollfilmen, die begannen, Erinnerungsfotos zu schießen.
In dieser Zeit begann man auch, sich mit wirklichkeitsnahen und dokumentarischen Schilderungen des Lebens der unteren und untersten Gesellschaftsschichte zu beschäftigen. Mit Hilfe der Fotografie konnte man Menschen, Szenen, Verhältnisse vorführen, zu denen sonst kaum Kontakt bestehen würde. Eine einzige Fotografie kann mehr erschüttern als Bände einer Sittenbeschreibung. Der Realismus der Jahrhundertwende öffnet vielen auch die Augen: Bilddokumente bestätigten nämlich das bisher nicht-für-möglich-gehaltene, die Fotografie klagte an und forderte Veränderung.
Es gab keinen Platz mehr für die romantisierende Stimmung der Kunstfotografie. Einige wollten kein Weichzeichnen und keine durch Unschärfe erzeugten träumerischen verschleierten Bilder. Man wollte optische Bildschärfe.
Der Däne Jakob Rijs begann in den USA mit dokumentarischen Schilderungen über menschenunwürdige Verhältnisse, unter denen die Einwanderer in New York lebten.
Lewis Wickes Hine begann sachlich und klar über Arbeits- und Lebensbedingungen der Fabrikarbeiter in amerikanischen Vorstädten zu schildern. Seine Anklagen galten vor allem der Kinderarbeit unter den unwürdigsten Verhältnissen in Fabriken, selbst in Bergwerken, und es ist erwiesen, daß seine Dokumentation, die er selbst \"photo-interpretations\" nannte, wesentlich zur Änderung dieser Verhältnisse beitrugen.
Man sieht, daß die Fotografie immer stärker ihre eigene kreative Fähigkeit, die Vielfalt der Möglichkeiten und auch ihre Hintergründe zu entdecken begann.
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