. Jeder Fürst sollte für mitleidig und nicht für grausam gehalten werden. Dennoch muß dieses Mitleid vorsichtig angewendet werden. Als Beispiel Cesare Borgia (s.o., Kap.7), der als grausam galt, und dennoch Romagna wiederherstellen konnte. Ein Fürst braucht sich nicht vor der Nachrede der Grausamkeit schützten, wenn er dadurch seine Untertanen eint und treu macht. Denn wenn man durch wenige Grausamkeiten Ordnung hält, ist dies besser, als wenn man durch sein Mitleid Mord und Gesetzlosigkeit hervorruft.
. Der Fürst, der einem neuerworbenen Staat vorsteht, kann der Grausamkeit kaum ausweichen. Aeneis I, 563-564:
,,Hierzu zwingt mich die Not und die Jugend des geschaffenen Reiches, seine weiten Grenzen zu schützen, mit bewaffneter Wehr.``
Dennoch muß ein Fürst mit aller gebotenen Vorsicht und Menschlichkeit vorgehen.
. Ein Fürst sollte ebenso geliebt wie gefürchtet werden. Da sich dies aber kaum vereinen läßt, ist es für ihn sicherer, gehaßt zu werden, wenn er schon auf eines von beiden verzichten muß. Dies ist so, weil man von den Menschen im allgemeinen sagen kann, sie sind undankbar, wankelmütig, heuchlerisch, feige und gierig. Sie dienen dir ohne Wenn und Aber, doch nur, solange die Not fern ist. Ist die Not aber erst da, so wird der Fürst, der sich auf ihr Wort verlassen hat, untergehen. Denn Treue, die nicht durch Persönlichkeit oder Charakter entstanden ist (also nur auf vager Zuneigung basiert), existiert zwar, bewährt sich aber nie. Die Menschen haben weniger Angst davor, einen Fürsten anzugreifen, der beliebt ist. Liebe ist an die Dankbarkeit gebunden, die in der Not aber leicht verschwindet. Grausamkeit aber ist ein Ruf, der sich lange erhält.
,,(...); denn die Liebe wird von der Fessel der Dankbarkeit zusammengehalten, die, wie die Menschen leider sind, sofort zerbricht, wenn der Eigennutz im Spiele ist; aber die Furcht erhält sich durch die Angst bestraft zu werden, die niemals aufhört.``
Allerdings sollte der Fürst versuchen, dem Haß zu entgehen. Gefürchtet zu werden, ohne Haß hervorzurufen, ist ideal. Haß entsteht, wenn man sich am Eigentum oder den Weibern der Bürger vergreift. Grausamkeiten dürfen nur im Schutze des Gesetzes stattfinden. Vor allem muß der Besitz anderer unangetastet bleiben.
,,(...), denn die Menschen vergessen schneller den Tod ihres Vaters, als den Verlust des väterlichen Erbes.``
Wer von Ausbeutung lebt, wird allerdings oft die Gelegenheit dazu finden. Blutvergießen, welches dadurch hervorgerufen wird, gibt es aber vergleichsweise seltener.
. Auch im Krieg kann der Fürst als grausam gelten, sonst könnte sein Heer meutern oder desertieren. Als Beispiel Hannibal, der seine großen Taten mit seinem aus etlichen Völkern gemischtem Heer nicht hätte verbringen können, hätte er bei seinen Soldaten nicht als grausam gegolten.
,,Unüberlegte Schriftsteller bewundern einerseits diese [großartigen] Tatsachen und tadeln andererseits ihre Hauptursache [die Grausamkeit].``
. Ein Fürst muß ein solch großes Maß an Liebe zu seiner Person erschaffen, wie es ihm möglich ist. Da er sich nicht auf andere verlassen kann, darf er aber auch den Ruf der Grausamkeit, wenn er dazu gezwungen ist, nicht schrecken. Vor allem muß ein Fürst sich davor hüten, gehaßt zu werden.
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